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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Briefe eines Zurückgekehrten

Profanbauten, ernst und zierlich, schwer und leicht zugleich. Von unten hernuf-
wandelud glaubt man einer Kirche zu nahen, bis der sogenannte Kleine Turm
hervortritt. Das alte Eisenach liegt recht waldverloren da unten.

Die Eisenacher Landschaft gehört nur einem Ausläufer des Thüringer¬
waldes an, sie hat keine so hohen Berge, aber mehr intime Reize als Friedrichs-
roda oder Ilmenau. Von der Wartburg ans führen unzählige Kamm- und
Abhangwege durch Fichten und Buchen hin. Das Annathal ist eine "Klamm"
mit allen Requisiten, aber in Miniatur: schroffe Felsen, moosbedeckt, Wasser,
das bald neben, bald unter uns murmelt, junge Ahorne aus den Spalten, darüber
hoher, lichter Buchenwald. In der vou Moos sammetgrünen Landgrafenschlucht
zwängt man sich zwischen Felsen durch und tritt zuletzt auf ein natürliches
Rund, das von einer hohen, schlanken Buche beschattet wird. Ein ganz andrer
Weg ist die geradlinige Schneise von der Wartburg zur Hohen Sonne, die
ein herrliches, waldnmrahmtcs Bild der Burg gewährt.
'

Wir wollen es den Tiuiringern nicht übel nehmen, daß sie sich in klein¬
licher, philiströser Neigung nicht genug thun können in der Schöpfung von
gruseligen oder gefälligen Namen für jeden Zug ihrer Landschaft. Der Drachen¬
stein ist nichts als eine Steinbank mit wundervollem Blick auf den Hörselberg.
So dumm war gewiß niemals ein Drache, daß er sich hier in die Sonne gelegt
hätte. Der Marienblick, der Elisabethenblick gewinnen an Schönheit für diese
Leute durch deu empfehlenden Namen. Gut, benennt sie, wollet uns aber
eure sentimentalen Namen nicht durch aufdringliche Inschriften und überflüssige
Wegweiser vertrauter machen.

Welcher Gegensatz zu dem Blick von der Wartburg die weite Aussicht
von der Feste Koburg. Diese fränkischen Gauen wie heiter, wie reich an
Städten und Dörfern, und auf den Bergen welche Fülle von Schlössern,
Klöstern und Kirchen. Was macht allein das reiche Banz für einen Eindruck.
Wahrlich, das Koburger Bier und der gleich vorzügliche Koburger Schinken
sind keine Zufälligkeiten, sie symbolisieren dem denkenden Genießer das Franken-
tum Koburgs. Der Wald, der auf der andern Seite alles beherrscht, kommt
hier nur noch parzelleuweise vor. Die thüringischen Landschaften haben alle
etwas jugendliches in ihrer Waldumgreuztheit; hier dagegen flutet die alte
Geschichte des Maingaus zu unsern Füßen heran, die schon rötete und baute,
als jenseits des Nennsteigs noch das Brüllen des Urstiers den tiefen Wald
belebte.

Bei der Teilung zwischen den Residenzen Gotha und Koburg hat Gothn
den Löwenanteil davongetragen, es ist doch die eigentliche Hauptstadt des
Doppelherzogtums. Aber Koburg ist nicht ganz leer ausgegangen. Das herzog¬
liche Theater spielt zwar dort etwas weniger, was besonders schmerzlich empfunden
wird; aber nnter unteren beherbergt Koburg auf seiner Feste einen Schatz von
Kupferstichen und andern Werken der künstlerischen Vervielfältigung aus dem
vorkodatischen Zeitalter, der zu dem reichsten seiner Art gehört. Weniger Wert
wird man heute wohl auf die dort installierte Nuhmeshcille des vielgewandten


Grenzboten I V 1900 it
Briefe eines Zurückgekehrten

Profanbauten, ernst und zierlich, schwer und leicht zugleich. Von unten hernuf-
wandelud glaubt man einer Kirche zu nahen, bis der sogenannte Kleine Turm
hervortritt. Das alte Eisenach liegt recht waldverloren da unten.

Die Eisenacher Landschaft gehört nur einem Ausläufer des Thüringer¬
waldes an, sie hat keine so hohen Berge, aber mehr intime Reize als Friedrichs-
roda oder Ilmenau. Von der Wartburg ans führen unzählige Kamm- und
Abhangwege durch Fichten und Buchen hin. Das Annathal ist eine „Klamm"
mit allen Requisiten, aber in Miniatur: schroffe Felsen, moosbedeckt, Wasser,
das bald neben, bald unter uns murmelt, junge Ahorne aus den Spalten, darüber
hoher, lichter Buchenwald. In der vou Moos sammetgrünen Landgrafenschlucht
zwängt man sich zwischen Felsen durch und tritt zuletzt auf ein natürliches
Rund, das von einer hohen, schlanken Buche beschattet wird. Ein ganz andrer
Weg ist die geradlinige Schneise von der Wartburg zur Hohen Sonne, die
ein herrliches, waldnmrahmtcs Bild der Burg gewährt.
'

Wir wollen es den Tiuiringern nicht übel nehmen, daß sie sich in klein¬
licher, philiströser Neigung nicht genug thun können in der Schöpfung von
gruseligen oder gefälligen Namen für jeden Zug ihrer Landschaft. Der Drachen¬
stein ist nichts als eine Steinbank mit wundervollem Blick auf den Hörselberg.
So dumm war gewiß niemals ein Drache, daß er sich hier in die Sonne gelegt
hätte. Der Marienblick, der Elisabethenblick gewinnen an Schönheit für diese
Leute durch deu empfehlenden Namen. Gut, benennt sie, wollet uns aber
eure sentimentalen Namen nicht durch aufdringliche Inschriften und überflüssige
Wegweiser vertrauter machen.

Welcher Gegensatz zu dem Blick von der Wartburg die weite Aussicht
von der Feste Koburg. Diese fränkischen Gauen wie heiter, wie reich an
Städten und Dörfern, und auf den Bergen welche Fülle von Schlössern,
Klöstern und Kirchen. Was macht allein das reiche Banz für einen Eindruck.
Wahrlich, das Koburger Bier und der gleich vorzügliche Koburger Schinken
sind keine Zufälligkeiten, sie symbolisieren dem denkenden Genießer das Franken-
tum Koburgs. Der Wald, der auf der andern Seite alles beherrscht, kommt
hier nur noch parzelleuweise vor. Die thüringischen Landschaften haben alle
etwas jugendliches in ihrer Waldumgreuztheit; hier dagegen flutet die alte
Geschichte des Maingaus zu unsern Füßen heran, die schon rötete und baute,
als jenseits des Nennsteigs noch das Brüllen des Urstiers den tiefen Wald
belebte.

Bei der Teilung zwischen den Residenzen Gotha und Koburg hat Gothn
den Löwenanteil davongetragen, es ist doch die eigentliche Hauptstadt des
Doppelherzogtums. Aber Koburg ist nicht ganz leer ausgegangen. Das herzog¬
liche Theater spielt zwar dort etwas weniger, was besonders schmerzlich empfunden
wird; aber nnter unteren beherbergt Koburg auf seiner Feste einen Schatz von
Kupferstichen und andern Werken der künstlerischen Vervielfältigung aus dem
vorkodatischen Zeitalter, der zu dem reichsten seiner Art gehört. Weniger Wert
wird man heute wohl auf die dort installierte Nuhmeshcille des vielgewandten


Grenzboten I V 1900 it
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/95>, abgerufen am 26.06.2024.