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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Briefe eines Zurückgekehrte"

Augsburg aufhörte", die geographischen Karten für die halbe Welt zu machen,
traten Weimar und Gotha an ihre Stelle. Ein Gang durch die herzogliche
Bibliothek zu Gotha zeigt, daß es den vielbespöttelten und wohlgehaßten
Duodeztyraunen zu Zeiten nicht an Sinn für Besseres als Jagd und Soldnten-
spiel gefehlt hat. Hatte doch jeder seine Bibliothek und seine Kunstknmmer.
Wenn nicht alle Perlen italienischer und deutscher Kunst ihren Weg in die
englischen Schlösser gefunden haben, so hat man den Liebhabereien deutscher
Kleiufürsten dafür Dank zu wissen. Eine merkwürdige Wirkung dieser Art
zeigte mir übrigens der Besuch der Gothaischen Bibliothek; dort füllt nämlich
die seltne vollständige Reihe der dem englischen Parlament vorgelegten Blau¬
bücher einen großen Raum. Gotha verdankt sie dem Prinzen Albert. In
ihrer Art gefiel mir die Bibliothek des Perthesschen Geographischen Instituts
noch besser, denn sie ist das Werk einer Privntanstalt, die vollkommen auf sich
selbst gestellt ist. Es ist eine umfassende, an neuern, seltnen Reisewerken und
amtlichen Berichte" besonders reiche, trefflich geordnete und schön aufgestellte
Bibliothek. Dazu die Kartensammlnng, von der mir ein englischer Fachmann
sagte: Es gab eine Zeit, wo man sich weder in Petersburg noch in London
oder Paris, sondern mir im Perthesschen Archiv zu Gotha über die unbekannten
Teile von Zentralasien und das "dunkelste Afrika" unterrichten konnte. Ich
finde am rührendsten die Geringfiigigkeit der Mittel, mit denen hier Großes
geleistet worden ist. Das Wirken eines Stieler, Sydow, Behm, Hassenstein
und vieler andrer ist ein lebendiger Protest gegen die landlünfige Meinung,
man könne das Beste und Größte in der Welt nur mit viel Geld schaffen.
Die ideale Genügsamkeit und das Genügen am Ideal hat die Blüte der Karto¬
graphie in dem kleinen Gotha allein möglich gemacht. Es ist dabei ganz
charakteristisch deutsch-klcinstaatlich, daß Hoff und Stieler, die Säulen der
wissenschaftlichen Arbeit des Gothas der zwanziger Jahre, herzogliche und
Staatsbeamte waren, die so bedeutendes in ihren Mußestunden schufen.

Eisenach liegt am Rande Thüringens, aber gerade darum hat es vou
allen thüringischen Städten am meisten gemeindeutsche Bedeutung, die freilich
vou der litterarischen Blüte Weimars überragt wird. Sängerkrieg, Luther,
Bernhard, Goethe, Wartburgfest, Scheffel, Reuter, in unsrer Zeit der Kongresse
die Vorliebe, womit Eisenach als Versmnmlnngsstadt gewählt wird, zeigen,
wie der Begriff mitteldeutsche Lage hier praktisch und lebendig wird. Eisenach
selbst muß als Städtchen einen tiefen, schweren Eindruck gemacht haben, solange
nicht die Zierlichkeit und das Behagen der Villenquartiere aufgeblüht war.
Der überall hervortretende rotbraune Fels des Notliegenden und die Vorliebe
für das Bauen mit rotem Sandstein machen Eisenach den hessischen Städten
verwandt. Nur die Werra trennt gerade hier Thüringen und Hessen. Auf
demselben Rotliegenden führt der Weg zur Wartburg, die auf einem dein Wald
ertragenden Fels aus demselben rotbraunen Stein gebaut ist. Auch die Wart¬
burg, so groß ihr Ruhm ist, ist thüringisch eng und einfach. Ihre einzelnen
Bauten sind nicht nach einem Plan entworfen, der Stil ist der der romanischen


Briefe eines Zurückgekehrte»

Augsburg aufhörte», die geographischen Karten für die halbe Welt zu machen,
traten Weimar und Gotha an ihre Stelle. Ein Gang durch die herzogliche
Bibliothek zu Gotha zeigt, daß es den vielbespöttelten und wohlgehaßten
Duodeztyraunen zu Zeiten nicht an Sinn für Besseres als Jagd und Soldnten-
spiel gefehlt hat. Hatte doch jeder seine Bibliothek und seine Kunstknmmer.
Wenn nicht alle Perlen italienischer und deutscher Kunst ihren Weg in die
englischen Schlösser gefunden haben, so hat man den Liebhabereien deutscher
Kleiufürsten dafür Dank zu wissen. Eine merkwürdige Wirkung dieser Art
zeigte mir übrigens der Besuch der Gothaischen Bibliothek; dort füllt nämlich
die seltne vollständige Reihe der dem englischen Parlament vorgelegten Blau¬
bücher einen großen Raum. Gotha verdankt sie dem Prinzen Albert. In
ihrer Art gefiel mir die Bibliothek des Perthesschen Geographischen Instituts
noch besser, denn sie ist das Werk einer Privntanstalt, die vollkommen auf sich
selbst gestellt ist. Es ist eine umfassende, an neuern, seltnen Reisewerken und
amtlichen Berichte» besonders reiche, trefflich geordnete und schön aufgestellte
Bibliothek. Dazu die Kartensammlnng, von der mir ein englischer Fachmann
sagte: Es gab eine Zeit, wo man sich weder in Petersburg noch in London
oder Paris, sondern mir im Perthesschen Archiv zu Gotha über die unbekannten
Teile von Zentralasien und das „dunkelste Afrika" unterrichten konnte. Ich
finde am rührendsten die Geringfiigigkeit der Mittel, mit denen hier Großes
geleistet worden ist. Das Wirken eines Stieler, Sydow, Behm, Hassenstein
und vieler andrer ist ein lebendiger Protest gegen die landlünfige Meinung,
man könne das Beste und Größte in der Welt nur mit viel Geld schaffen.
Die ideale Genügsamkeit und das Genügen am Ideal hat die Blüte der Karto¬
graphie in dem kleinen Gotha allein möglich gemacht. Es ist dabei ganz
charakteristisch deutsch-klcinstaatlich, daß Hoff und Stieler, die Säulen der
wissenschaftlichen Arbeit des Gothas der zwanziger Jahre, herzogliche und
Staatsbeamte waren, die so bedeutendes in ihren Mußestunden schufen.

Eisenach liegt am Rande Thüringens, aber gerade darum hat es vou
allen thüringischen Städten am meisten gemeindeutsche Bedeutung, die freilich
vou der litterarischen Blüte Weimars überragt wird. Sängerkrieg, Luther,
Bernhard, Goethe, Wartburgfest, Scheffel, Reuter, in unsrer Zeit der Kongresse
die Vorliebe, womit Eisenach als Versmnmlnngsstadt gewählt wird, zeigen,
wie der Begriff mitteldeutsche Lage hier praktisch und lebendig wird. Eisenach
selbst muß als Städtchen einen tiefen, schweren Eindruck gemacht haben, solange
nicht die Zierlichkeit und das Behagen der Villenquartiere aufgeblüht war.
Der überall hervortretende rotbraune Fels des Notliegenden und die Vorliebe
für das Bauen mit rotem Sandstein machen Eisenach den hessischen Städten
verwandt. Nur die Werra trennt gerade hier Thüringen und Hessen. Auf
demselben Rotliegenden führt der Weg zur Wartburg, die auf einem dein Wald
ertragenden Fels aus demselben rotbraunen Stein gebaut ist. Auch die Wart¬
burg, so groß ihr Ruhm ist, ist thüringisch eng und einfach. Ihre einzelnen
Bauten sind nicht nach einem Plan entworfen, der Stil ist der der romanischen


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[0094] Briefe eines Zurückgekehrte» Augsburg aufhörte», die geographischen Karten für die halbe Welt zu machen, traten Weimar und Gotha an ihre Stelle. Ein Gang durch die herzogliche Bibliothek zu Gotha zeigt, daß es den vielbespöttelten und wohlgehaßten Duodeztyraunen zu Zeiten nicht an Sinn für Besseres als Jagd und Soldnten- spiel gefehlt hat. Hatte doch jeder seine Bibliothek und seine Kunstknmmer. Wenn nicht alle Perlen italienischer und deutscher Kunst ihren Weg in die englischen Schlösser gefunden haben, so hat man den Liebhabereien deutscher Kleiufürsten dafür Dank zu wissen. Eine merkwürdige Wirkung dieser Art zeigte mir übrigens der Besuch der Gothaischen Bibliothek; dort füllt nämlich die seltne vollständige Reihe der dem englischen Parlament vorgelegten Blau¬ bücher einen großen Raum. Gotha verdankt sie dem Prinzen Albert. In ihrer Art gefiel mir die Bibliothek des Perthesschen Geographischen Instituts noch besser, denn sie ist das Werk einer Privntanstalt, die vollkommen auf sich selbst gestellt ist. Es ist eine umfassende, an neuern, seltnen Reisewerken und amtlichen Berichte» besonders reiche, trefflich geordnete und schön aufgestellte Bibliothek. Dazu die Kartensammlnng, von der mir ein englischer Fachmann sagte: Es gab eine Zeit, wo man sich weder in Petersburg noch in London oder Paris, sondern mir im Perthesschen Archiv zu Gotha über die unbekannten Teile von Zentralasien und das „dunkelste Afrika" unterrichten konnte. Ich finde am rührendsten die Geringfiigigkeit der Mittel, mit denen hier Großes geleistet worden ist. Das Wirken eines Stieler, Sydow, Behm, Hassenstein und vieler andrer ist ein lebendiger Protest gegen die landlünfige Meinung, man könne das Beste und Größte in der Welt nur mit viel Geld schaffen. Die ideale Genügsamkeit und das Genügen am Ideal hat die Blüte der Karto¬ graphie in dem kleinen Gotha allein möglich gemacht. Es ist dabei ganz charakteristisch deutsch-klcinstaatlich, daß Hoff und Stieler, die Säulen der wissenschaftlichen Arbeit des Gothas der zwanziger Jahre, herzogliche und Staatsbeamte waren, die so bedeutendes in ihren Mußestunden schufen. Eisenach liegt am Rande Thüringens, aber gerade darum hat es vou allen thüringischen Städten am meisten gemeindeutsche Bedeutung, die freilich vou der litterarischen Blüte Weimars überragt wird. Sängerkrieg, Luther, Bernhard, Goethe, Wartburgfest, Scheffel, Reuter, in unsrer Zeit der Kongresse die Vorliebe, womit Eisenach als Versmnmlnngsstadt gewählt wird, zeigen, wie der Begriff mitteldeutsche Lage hier praktisch und lebendig wird. Eisenach selbst muß als Städtchen einen tiefen, schweren Eindruck gemacht haben, solange nicht die Zierlichkeit und das Behagen der Villenquartiere aufgeblüht war. Der überall hervortretende rotbraune Fels des Notliegenden und die Vorliebe für das Bauen mit rotem Sandstein machen Eisenach den hessischen Städten verwandt. Nur die Werra trennt gerade hier Thüringen und Hessen. Auf demselben Rotliegenden führt der Weg zur Wartburg, die auf einem dein Wald ertragenden Fels aus demselben rotbraunen Stein gebaut ist. Auch die Wart¬ burg, so groß ihr Ruhm ist, ist thüringisch eng und einfach. Ihre einzelnen Bauten sind nicht nach einem Plan entworfen, der Stil ist der der romanischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/94>, abgerufen am 26.06.2024.