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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Reformgedanken und Reformansätze im heutigen Italien

Endlich klagt man vielfach über den Mangel einer wirklichen Autonomie
nach der Weise der deutschen und der englischen Universitäten. In der That ist
es besonders bei dem Ursprung der alten ober- und mittelitalienischen Uni¬
versitäten aus freien Studentengenossenschaften (Neapel war seit seiner Gründung
durch Kaiser Friedrich II. im Jahre 1224 immer Staatsanstalt) sehr auffällig,
wie wenig Selbständigkeit die jetzt königlichen Hochschulen haben oder hatten.
Der bei den meisten unmittelbar von der Regierung auf ein Jahr ernannte
Rektor war bisher kaum etwas andres als ein Beamter des Staats; er hat
die ganze Leitung und Verwaltung der Universität, berichtet darüber jährlich
an den Minister, verleiht die Diplome im Namen des Königs, leitet die
Sitzungen des akademischen Rats, der aus den xresicU der Fakultät, dem
ältesten Professor jeder und den xre8icii (Rektoren) der höhern Schulen besteht,
und beruft nur den Gesamtrat der ordentlichen Professoren auf den Befehl des
Ministers und nur, um Reformen der Einrichtungen und den neuen Rektor
vorzuschlagen. An der Wahl der Professoren hat die Universität nicht einmal
Anteil; die ordentlichen werden vom König, die außerordentlichen vom Minister
ernannt, beide auf Grund des Gutachtens einer Kommission des Oberschnlrats.
Freier ist natürlich die Verfassung der "freien" Universitäten (d.h. der städtischen:
Ferrara, Perugia, Urbino und Camerino). In Ferrara z. B. (gegründet 1391)
liegt die höchste Autorität in den Händen des Universitätsrats (Lou8iZ1lo rmi-
versitÄrio), der aus dem Schulrat der Provinz (provvöäitorö stuäi), dem
Rektor, den xrsMi der (drei) Fakultäten, sechs Vertretern der Stadtgemeinde
und drei Abgeordneten der Studentenschaft unter dem Vorsitze des Liuäaeo
(Bürgermeisters) besteht. Er berät das Budget und die andern wichtigen An¬
gelegenheiten der Hochschule, ernennt den Rektor und einige andre Organe.
Durch seine Zusammensetzung stellt er ein sehr enges Band zwischen Stadt
und Hochschule dar und erinnert in der Zuziehung auch der Studentenschaft
an den Ursprung der italienischen Universitäten.

Die neuen Reformforderungen und -Versuche richten sich vornehmlich auf
zwei Punkte: die Verminderung der (königlichen) Universitäten durch Einziehung
der kleinern und die Erweiterung oder vielmehr Begründung ihrer Autonomie.
Die erste schlug der Minister Martini 1892/93 vor, der nur elf von siebzehn
bestehn lassen wollte, doch scheiterte der Gesetzentwurf an dem unüberwindlichen
Sonderinteresse der Städte und Landschaften und ist wenigstens unmittelbar
nicht wieder aufgenommen worden. Die Begründung der Autonomie nach
deutschen: Vorbilde blieb lange Jahre hindurch ein Lieblingsgedanke G. Baecellis,
der selbst Professor (der klinischen Medizin) an der Universität Rom war und ist.
Er brachte schou, als er zum erstenmal das Unterrichtsministerium übernommen
hatte, 1883/84 einen tief einschneidenden Gesetzentwurf glücklich durch das
Abgeordnetenhaus, scheiterte aber damit im Senat und trat zurück. Abermals
Minister wiederholte er 1895 seine Vorschläge, ohne im ganzen damit durch-
zudringen, da sich auch in Universitätskreisen eine starke Opposition dagegen
erhob, setzte aber wenigstens die Einführung des Wahlrektorats vom Beginn


Reformgedanken und Reformansätze im heutigen Italien

Endlich klagt man vielfach über den Mangel einer wirklichen Autonomie
nach der Weise der deutschen und der englischen Universitäten. In der That ist
es besonders bei dem Ursprung der alten ober- und mittelitalienischen Uni¬
versitäten aus freien Studentengenossenschaften (Neapel war seit seiner Gründung
durch Kaiser Friedrich II. im Jahre 1224 immer Staatsanstalt) sehr auffällig,
wie wenig Selbständigkeit die jetzt königlichen Hochschulen haben oder hatten.
Der bei den meisten unmittelbar von der Regierung auf ein Jahr ernannte
Rektor war bisher kaum etwas andres als ein Beamter des Staats; er hat
die ganze Leitung und Verwaltung der Universität, berichtet darüber jährlich
an den Minister, verleiht die Diplome im Namen des Königs, leitet die
Sitzungen des akademischen Rats, der aus den xresicU der Fakultät, dem
ältesten Professor jeder und den xre8icii (Rektoren) der höhern Schulen besteht,
und beruft nur den Gesamtrat der ordentlichen Professoren auf den Befehl des
Ministers und nur, um Reformen der Einrichtungen und den neuen Rektor
vorzuschlagen. An der Wahl der Professoren hat die Universität nicht einmal
Anteil; die ordentlichen werden vom König, die außerordentlichen vom Minister
ernannt, beide auf Grund des Gutachtens einer Kommission des Oberschnlrats.
Freier ist natürlich die Verfassung der „freien" Universitäten (d.h. der städtischen:
Ferrara, Perugia, Urbino und Camerino). In Ferrara z. B. (gegründet 1391)
liegt die höchste Autorität in den Händen des Universitätsrats (Lou8iZ1lo rmi-
versitÄrio), der aus dem Schulrat der Provinz (provvöäitorö stuäi), dem
Rektor, den xrsMi der (drei) Fakultäten, sechs Vertretern der Stadtgemeinde
und drei Abgeordneten der Studentenschaft unter dem Vorsitze des Liuäaeo
(Bürgermeisters) besteht. Er berät das Budget und die andern wichtigen An¬
gelegenheiten der Hochschule, ernennt den Rektor und einige andre Organe.
Durch seine Zusammensetzung stellt er ein sehr enges Band zwischen Stadt
und Hochschule dar und erinnert in der Zuziehung auch der Studentenschaft
an den Ursprung der italienischen Universitäten.

Die neuen Reformforderungen und -Versuche richten sich vornehmlich auf
zwei Punkte: die Verminderung der (königlichen) Universitäten durch Einziehung
der kleinern und die Erweiterung oder vielmehr Begründung ihrer Autonomie.
Die erste schlug der Minister Martini 1892/93 vor, der nur elf von siebzehn
bestehn lassen wollte, doch scheiterte der Gesetzentwurf an dem unüberwindlichen
Sonderinteresse der Städte und Landschaften und ist wenigstens unmittelbar
nicht wieder aufgenommen worden. Die Begründung der Autonomie nach
deutschen: Vorbilde blieb lange Jahre hindurch ein Lieblingsgedanke G. Baecellis,
der selbst Professor (der klinischen Medizin) an der Universität Rom war und ist.
Er brachte schou, als er zum erstenmal das Unterrichtsministerium übernommen
hatte, 1883/84 einen tief einschneidenden Gesetzentwurf glücklich durch das
Abgeordnetenhaus, scheiterte aber damit im Senat und trat zurück. Abermals
Minister wiederholte er 1895 seine Vorschläge, ohne im ganzen damit durch-
zudringen, da sich auch in Universitätskreisen eine starke Opposition dagegen
erhob, setzte aber wenigstens die Einführung des Wahlrektorats vom Beginn


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[0666] Reformgedanken und Reformansätze im heutigen Italien Endlich klagt man vielfach über den Mangel einer wirklichen Autonomie nach der Weise der deutschen und der englischen Universitäten. In der That ist es besonders bei dem Ursprung der alten ober- und mittelitalienischen Uni¬ versitäten aus freien Studentengenossenschaften (Neapel war seit seiner Gründung durch Kaiser Friedrich II. im Jahre 1224 immer Staatsanstalt) sehr auffällig, wie wenig Selbständigkeit die jetzt königlichen Hochschulen haben oder hatten. Der bei den meisten unmittelbar von der Regierung auf ein Jahr ernannte Rektor war bisher kaum etwas andres als ein Beamter des Staats; er hat die ganze Leitung und Verwaltung der Universität, berichtet darüber jährlich an den Minister, verleiht die Diplome im Namen des Königs, leitet die Sitzungen des akademischen Rats, der aus den xresicU der Fakultät, dem ältesten Professor jeder und den xre8icii (Rektoren) der höhern Schulen besteht, und beruft nur den Gesamtrat der ordentlichen Professoren auf den Befehl des Ministers und nur, um Reformen der Einrichtungen und den neuen Rektor vorzuschlagen. An der Wahl der Professoren hat die Universität nicht einmal Anteil; die ordentlichen werden vom König, die außerordentlichen vom Minister ernannt, beide auf Grund des Gutachtens einer Kommission des Oberschnlrats. Freier ist natürlich die Verfassung der „freien" Universitäten (d.h. der städtischen: Ferrara, Perugia, Urbino und Camerino). In Ferrara z. B. (gegründet 1391) liegt die höchste Autorität in den Händen des Universitätsrats (Lou8iZ1lo rmi- versitÄrio), der aus dem Schulrat der Provinz (provvöäitorö stuäi), dem Rektor, den xrsMi der (drei) Fakultäten, sechs Vertretern der Stadtgemeinde und drei Abgeordneten der Studentenschaft unter dem Vorsitze des Liuäaeo (Bürgermeisters) besteht. Er berät das Budget und die andern wichtigen An¬ gelegenheiten der Hochschule, ernennt den Rektor und einige andre Organe. Durch seine Zusammensetzung stellt er ein sehr enges Band zwischen Stadt und Hochschule dar und erinnert in der Zuziehung auch der Studentenschaft an den Ursprung der italienischen Universitäten. Die neuen Reformforderungen und -Versuche richten sich vornehmlich auf zwei Punkte: die Verminderung der (königlichen) Universitäten durch Einziehung der kleinern und die Erweiterung oder vielmehr Begründung ihrer Autonomie. Die erste schlug der Minister Martini 1892/93 vor, der nur elf von siebzehn bestehn lassen wollte, doch scheiterte der Gesetzentwurf an dem unüberwindlichen Sonderinteresse der Städte und Landschaften und ist wenigstens unmittelbar nicht wieder aufgenommen worden. Die Begründung der Autonomie nach deutschen: Vorbilde blieb lange Jahre hindurch ein Lieblingsgedanke G. Baecellis, der selbst Professor (der klinischen Medizin) an der Universität Rom war und ist. Er brachte schou, als er zum erstenmal das Unterrichtsministerium übernommen hatte, 1883/84 einen tief einschneidenden Gesetzentwurf glücklich durch das Abgeordnetenhaus, scheiterte aber damit im Senat und trat zurück. Abermals Minister wiederholte er 1895 seine Vorschläge, ohne im ganzen damit durch- zudringen, da sich auch in Universitätskreisen eine starke Opposition dagegen erhob, setzte aber wenigstens die Einführung des Wahlrektorats vom Beginn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/666>, abgerufen am 29.06.2024.