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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Die Erwerbung der preußischen Königskrone durch Aurfürst Friedrich III.

König Ludwig XIV. von Frankreich die ganze spanische Erbschaft für seinen
Enkel, den Herzog von Anjou, in Anspruch nähme. Durch allerlei Ränke, bei
denen auch die Jesuiten ihre Hand im Spiele hatten, war es diesem raub-
und habsüchtigen Könige gelungen, den halb Sinn- und willenlosen König Karl
noch vor seinem Tode zur Unterzeichnung eines Testaments zu drängen, worin
er den genannten Enkel Ludwigs zum Erben der spanischen Monarchie ein¬
gesetzt hatte. Mit der Annahme dieses Testaments war Ludwig XIV. von dem
mit den Seemächten geschlossenen Vertrage zurückgetreten, und diese waren da¬
durch genötigt, sich wieder auf die Seite Österreichs zu stellen, das nun keinen
Augenblick zögerte, seine Ansprüche auf die spanische Erbschaft mit den Waffen
zu verteidigen. Diese Wendung sicherte der neuen Krone deren Anerkennung
auch durch England und Holland. Was im Dienste allein Österreichs über¬
nommen, als eine unbelohnte oder ungenügend belohnte Belastung erschienen
war, wurde nun zu einem Verdienst, das sich Kurfürst Friedrich um die von
Frankreich bedrohte Freiheit Europas erwarb. Von allen deutschen Fürsten
nahm Kurfürst Friedrich jetzt Frankreich gegenüber die entschiedenste Haltung
an. Er weigerte sich, den Herzog von Anjou auch nur vorläufig als König
anzuerkennen. Bei einer Audienz, die er dem französischen Gesandten gab,
vermied er diesen Ausdruck. Dieser aber verließ Berlin, sobald der Abschluß
des mit dem Kaiser vereinbarten Kronvertrags bekannt wurde. So hat Kur¬
fürst Friedrich seine Krönung im offnen Gegensatz gegen die damaligen Ent¬
würfe der französischen Macht vollzogen, und sie ist dadurch ohne sein Wissen
und Wollen zu einer Weissagung auf die in demselben Gegensatz am 18. Ja¬
nuar 1871 vollzogne Vereinigung der deutschen Kaiserwürde mit der preu¬
ßischen Königskrone geworden.

Zur feierlichen Annahme der Königswürde ersah sich Kurfürst Friedrich
die Stadt Königsberg, die Hauptstadt des Landes, auf das sich der königliche
Titel gründen sollte, seine eigne Geburtsstadt, deren Name zu Prophezeiungen
Veranlassung gegeben hatte, von denen schon seine Wiege umgeben gewesen ist.
Aus Anlaß seiner Geburt hatte der preußische Dichter Simon Dach, obwohl
der neugeborne Prinz damals keine unmittelbare Aussicht auf die Thronfolge
hatte, gesungen:

In einem in lateinischer Sprache verfaßten Gedicht aber war dem neu-
gebornen Prinzen geradezu die Königskrone verheißen worden, indem es in
deutscher Übersetzung hieß:

Am 17- Dezember 1700 trat der Kurfürst mit dem ganzen Hofe die Reise


Die Erwerbung der preußischen Königskrone durch Aurfürst Friedrich III.

König Ludwig XIV. von Frankreich die ganze spanische Erbschaft für seinen
Enkel, den Herzog von Anjou, in Anspruch nähme. Durch allerlei Ränke, bei
denen auch die Jesuiten ihre Hand im Spiele hatten, war es diesem raub-
und habsüchtigen Könige gelungen, den halb Sinn- und willenlosen König Karl
noch vor seinem Tode zur Unterzeichnung eines Testaments zu drängen, worin
er den genannten Enkel Ludwigs zum Erben der spanischen Monarchie ein¬
gesetzt hatte. Mit der Annahme dieses Testaments war Ludwig XIV. von dem
mit den Seemächten geschlossenen Vertrage zurückgetreten, und diese waren da¬
durch genötigt, sich wieder auf die Seite Österreichs zu stellen, das nun keinen
Augenblick zögerte, seine Ansprüche auf die spanische Erbschaft mit den Waffen
zu verteidigen. Diese Wendung sicherte der neuen Krone deren Anerkennung
auch durch England und Holland. Was im Dienste allein Österreichs über¬
nommen, als eine unbelohnte oder ungenügend belohnte Belastung erschienen
war, wurde nun zu einem Verdienst, das sich Kurfürst Friedrich um die von
Frankreich bedrohte Freiheit Europas erwarb. Von allen deutschen Fürsten
nahm Kurfürst Friedrich jetzt Frankreich gegenüber die entschiedenste Haltung
an. Er weigerte sich, den Herzog von Anjou auch nur vorläufig als König
anzuerkennen. Bei einer Audienz, die er dem französischen Gesandten gab,
vermied er diesen Ausdruck. Dieser aber verließ Berlin, sobald der Abschluß
des mit dem Kaiser vereinbarten Kronvertrags bekannt wurde. So hat Kur¬
fürst Friedrich seine Krönung im offnen Gegensatz gegen die damaligen Ent¬
würfe der französischen Macht vollzogen, und sie ist dadurch ohne sein Wissen
und Wollen zu einer Weissagung auf die in demselben Gegensatz am 18. Ja¬
nuar 1871 vollzogne Vereinigung der deutschen Kaiserwürde mit der preu¬
ßischen Königskrone geworden.

Zur feierlichen Annahme der Königswürde ersah sich Kurfürst Friedrich
die Stadt Königsberg, die Hauptstadt des Landes, auf das sich der königliche
Titel gründen sollte, seine eigne Geburtsstadt, deren Name zu Prophezeiungen
Veranlassung gegeben hatte, von denen schon seine Wiege umgeben gewesen ist.
Aus Anlaß seiner Geburt hatte der preußische Dichter Simon Dach, obwohl
der neugeborne Prinz damals keine unmittelbare Aussicht auf die Thronfolge
hatte, gesungen:

In einem in lateinischer Sprache verfaßten Gedicht aber war dem neu-
gebornen Prinzen geradezu die Königskrone verheißen worden, indem es in
deutscher Übersetzung hieß:

Am 17- Dezember 1700 trat der Kurfürst mit dem ganzen Hofe die Reise


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[0654] Die Erwerbung der preußischen Königskrone durch Aurfürst Friedrich III. König Ludwig XIV. von Frankreich die ganze spanische Erbschaft für seinen Enkel, den Herzog von Anjou, in Anspruch nähme. Durch allerlei Ränke, bei denen auch die Jesuiten ihre Hand im Spiele hatten, war es diesem raub- und habsüchtigen Könige gelungen, den halb Sinn- und willenlosen König Karl noch vor seinem Tode zur Unterzeichnung eines Testaments zu drängen, worin er den genannten Enkel Ludwigs zum Erben der spanischen Monarchie ein¬ gesetzt hatte. Mit der Annahme dieses Testaments war Ludwig XIV. von dem mit den Seemächten geschlossenen Vertrage zurückgetreten, und diese waren da¬ durch genötigt, sich wieder auf die Seite Österreichs zu stellen, das nun keinen Augenblick zögerte, seine Ansprüche auf die spanische Erbschaft mit den Waffen zu verteidigen. Diese Wendung sicherte der neuen Krone deren Anerkennung auch durch England und Holland. Was im Dienste allein Österreichs über¬ nommen, als eine unbelohnte oder ungenügend belohnte Belastung erschienen war, wurde nun zu einem Verdienst, das sich Kurfürst Friedrich um die von Frankreich bedrohte Freiheit Europas erwarb. Von allen deutschen Fürsten nahm Kurfürst Friedrich jetzt Frankreich gegenüber die entschiedenste Haltung an. Er weigerte sich, den Herzog von Anjou auch nur vorläufig als König anzuerkennen. Bei einer Audienz, die er dem französischen Gesandten gab, vermied er diesen Ausdruck. Dieser aber verließ Berlin, sobald der Abschluß des mit dem Kaiser vereinbarten Kronvertrags bekannt wurde. So hat Kur¬ fürst Friedrich seine Krönung im offnen Gegensatz gegen die damaligen Ent¬ würfe der französischen Macht vollzogen, und sie ist dadurch ohne sein Wissen und Wollen zu einer Weissagung auf die in demselben Gegensatz am 18. Ja¬ nuar 1871 vollzogne Vereinigung der deutschen Kaiserwürde mit der preu¬ ßischen Königskrone geworden. Zur feierlichen Annahme der Königswürde ersah sich Kurfürst Friedrich die Stadt Königsberg, die Hauptstadt des Landes, auf das sich der königliche Titel gründen sollte, seine eigne Geburtsstadt, deren Name zu Prophezeiungen Veranlassung gegeben hatte, von denen schon seine Wiege umgeben gewesen ist. Aus Anlaß seiner Geburt hatte der preußische Dichter Simon Dach, obwohl der neugeborne Prinz damals keine unmittelbare Aussicht auf die Thronfolge hatte, gesungen: In einem in lateinischer Sprache verfaßten Gedicht aber war dem neu- gebornen Prinzen geradezu die Königskrone verheißen worden, indem es in deutscher Übersetzung hieß: Am 17- Dezember 1700 trat der Kurfürst mit dem ganzen Hofe die Reise

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/654>, abgerufen am 29.06.2024.