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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Religion in der Schule

Schule auf der einen Seite und den Konfirmandenunterricht auf der andern
empfinden sie nicht. Die Gefahr des Konflikts schwinde, wenn sich jeder Teil
seiner Eigentümlichkeit bewußt werde. -- Nun, die Schule ist sich ihrer eignen
Art bewußt und wünscht eben darum, den Katechismusunterricht an die Kirche
abzutreten. Dieser Stoff -- man mag ihn behandeln, wie man will -- fällt
aus dem Rahmen des Schulunterrichts hinaus, der es sonst überall mit Er¬
fahrungsgebieten zu thun hat, mit naturwissenschaftlichen und geschichtlichen
Thatsachen, kontrollierbaren Sprachgesetzen und logischen Notwendigkeiten, aber
nicht mit Dingen, die nur der Glaube erfaßt, deren Verständnis im Grunde
Sache persönlicher Stimmung ist.

Man führe nicht den deutschen Unterricht zur Verteidigung des Kate¬
chismus auf der Schule ins Feld. Dem Lyrischen ist auf der Schule, zumal
auf der hier in Betracht kommenden Stufe, nur ein recht bescheidner Raum
gegönnt, und mit Recht; der Kindesnatur entspricht das Epische mehr. Das
wenige Lyrische wird sorgsam so gewählt, daß es ein Echo in der Kindesseele
wecken kann. Nun denke man sich aber die in lyrischen Stücken enthaltnen
Gedanken auf kurze, auswendig zu lernende Formeln gebracht, etwa:


Du sollst das Vaterland lieb haben; oder
Ich glaube an die Mutterliebe --

und das Unerträgliche eines solchen Verfahrens ist sofort klar. Was kann
aber der Katechismus, was können die Glaubensartikel zumal, wenn man sie
noch uicht geschichtlich würdigen kann, in der Schule anders sein als solche
Formeln, abstrahiert aus biblischem Stoff, Formeln, die noch dazu die Auswahl
aus diesem Stoff nachteilig beeinflussen? Kurze Merksätze sind gewiß oft
heilsam; aber der Schüler lernt sie sonst nur als allgemein zugestcmdne Axiome,
die ihm niemals erschüttert werden, als beweisbare Thatsachen oder Gesetze,
nicht als Formeln, deren Gestalt und Gehalt er sich auf bloße Autorität hin
anzueignen hätte. -- Aufgabe der Schule bleibe es, die Kinder unmittelbar
heranzuführen an das religiöse Leben, wie es in den Schriften des Alten und
des Neuen Testaments pulsiert. Der Katechismus -- ich denke immer an den
besten, den lutherischen -- könnte, wie die Dinge jetzt liegen, eine Stellung im
Schulunterricht nur dann behaupten, wenn er eine absolute pädagogische Be¬
deutung hätte; die hat er nicht.

Die Kirche aber steht ihm anders gegenüber. So lange sie in ihm einen
kurzen Inbegriff ihres Glaubens sieht, wird sie seine Kenntnis bei ihren Kon¬
firmanden wünschen müssen. Für den Konfirmandenunterricht fällt aber auch
ein gut Teil der prinzipiellen Bedenken, denen der Katechismus auf der Schule
begegnet. Der Schüler von heute hat meist schon ein Gefühl dafür, daß die
verschiednen Kirchen Gemeinschaften darstellen von einer bestimmten, keineswegs
selbstverständlichen und allgemeinen religiösen Überzeugung, und wird gewiß
eine dementsprechend" thetische Unterweisung kirchlicherseits ganz in der Ordnung
finden, während sie ihn auf der Schule befremdet. -- Schwierigkeiten bleiben
ja natürlich auch für den kirchlichen Katechismusunterricht bestehn. Aber da


Religion in der Schule

Schule auf der einen Seite und den Konfirmandenunterricht auf der andern
empfinden sie nicht. Die Gefahr des Konflikts schwinde, wenn sich jeder Teil
seiner Eigentümlichkeit bewußt werde. — Nun, die Schule ist sich ihrer eignen
Art bewußt und wünscht eben darum, den Katechismusunterricht an die Kirche
abzutreten. Dieser Stoff — man mag ihn behandeln, wie man will — fällt
aus dem Rahmen des Schulunterrichts hinaus, der es sonst überall mit Er¬
fahrungsgebieten zu thun hat, mit naturwissenschaftlichen und geschichtlichen
Thatsachen, kontrollierbaren Sprachgesetzen und logischen Notwendigkeiten, aber
nicht mit Dingen, die nur der Glaube erfaßt, deren Verständnis im Grunde
Sache persönlicher Stimmung ist.

Man führe nicht den deutschen Unterricht zur Verteidigung des Kate¬
chismus auf der Schule ins Feld. Dem Lyrischen ist auf der Schule, zumal
auf der hier in Betracht kommenden Stufe, nur ein recht bescheidner Raum
gegönnt, und mit Recht; der Kindesnatur entspricht das Epische mehr. Das
wenige Lyrische wird sorgsam so gewählt, daß es ein Echo in der Kindesseele
wecken kann. Nun denke man sich aber die in lyrischen Stücken enthaltnen
Gedanken auf kurze, auswendig zu lernende Formeln gebracht, etwa:


Du sollst das Vaterland lieb haben; oder
Ich glaube an die Mutterliebe —

und das Unerträgliche eines solchen Verfahrens ist sofort klar. Was kann
aber der Katechismus, was können die Glaubensartikel zumal, wenn man sie
noch uicht geschichtlich würdigen kann, in der Schule anders sein als solche
Formeln, abstrahiert aus biblischem Stoff, Formeln, die noch dazu die Auswahl
aus diesem Stoff nachteilig beeinflussen? Kurze Merksätze sind gewiß oft
heilsam; aber der Schüler lernt sie sonst nur als allgemein zugestcmdne Axiome,
die ihm niemals erschüttert werden, als beweisbare Thatsachen oder Gesetze,
nicht als Formeln, deren Gestalt und Gehalt er sich auf bloße Autorität hin
anzueignen hätte. — Aufgabe der Schule bleibe es, die Kinder unmittelbar
heranzuführen an das religiöse Leben, wie es in den Schriften des Alten und
des Neuen Testaments pulsiert. Der Katechismus — ich denke immer an den
besten, den lutherischen — könnte, wie die Dinge jetzt liegen, eine Stellung im
Schulunterricht nur dann behaupten, wenn er eine absolute pädagogische Be¬
deutung hätte; die hat er nicht.

Die Kirche aber steht ihm anders gegenüber. So lange sie in ihm einen
kurzen Inbegriff ihres Glaubens sieht, wird sie seine Kenntnis bei ihren Kon¬
firmanden wünschen müssen. Für den Konfirmandenunterricht fällt aber auch
ein gut Teil der prinzipiellen Bedenken, denen der Katechismus auf der Schule
begegnet. Der Schüler von heute hat meist schon ein Gefühl dafür, daß die
verschiednen Kirchen Gemeinschaften darstellen von einer bestimmten, keineswegs
selbstverständlichen und allgemeinen religiösen Überzeugung, und wird gewiß
eine dementsprechend« thetische Unterweisung kirchlicherseits ganz in der Ordnung
finden, während sie ihn auf der Schule befremdet. — Schwierigkeiten bleiben
ja natürlich auch für den kirchlichen Katechismusunterricht bestehn. Aber da


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[0620] Religion in der Schule Schule auf der einen Seite und den Konfirmandenunterricht auf der andern empfinden sie nicht. Die Gefahr des Konflikts schwinde, wenn sich jeder Teil seiner Eigentümlichkeit bewußt werde. — Nun, die Schule ist sich ihrer eignen Art bewußt und wünscht eben darum, den Katechismusunterricht an die Kirche abzutreten. Dieser Stoff — man mag ihn behandeln, wie man will — fällt aus dem Rahmen des Schulunterrichts hinaus, der es sonst überall mit Er¬ fahrungsgebieten zu thun hat, mit naturwissenschaftlichen und geschichtlichen Thatsachen, kontrollierbaren Sprachgesetzen und logischen Notwendigkeiten, aber nicht mit Dingen, die nur der Glaube erfaßt, deren Verständnis im Grunde Sache persönlicher Stimmung ist. Man führe nicht den deutschen Unterricht zur Verteidigung des Kate¬ chismus auf der Schule ins Feld. Dem Lyrischen ist auf der Schule, zumal auf der hier in Betracht kommenden Stufe, nur ein recht bescheidner Raum gegönnt, und mit Recht; der Kindesnatur entspricht das Epische mehr. Das wenige Lyrische wird sorgsam so gewählt, daß es ein Echo in der Kindesseele wecken kann. Nun denke man sich aber die in lyrischen Stücken enthaltnen Gedanken auf kurze, auswendig zu lernende Formeln gebracht, etwa: Du sollst das Vaterland lieb haben; oder Ich glaube an die Mutterliebe — und das Unerträgliche eines solchen Verfahrens ist sofort klar. Was kann aber der Katechismus, was können die Glaubensartikel zumal, wenn man sie noch uicht geschichtlich würdigen kann, in der Schule anders sein als solche Formeln, abstrahiert aus biblischem Stoff, Formeln, die noch dazu die Auswahl aus diesem Stoff nachteilig beeinflussen? Kurze Merksätze sind gewiß oft heilsam; aber der Schüler lernt sie sonst nur als allgemein zugestcmdne Axiome, die ihm niemals erschüttert werden, als beweisbare Thatsachen oder Gesetze, nicht als Formeln, deren Gestalt und Gehalt er sich auf bloße Autorität hin anzueignen hätte. — Aufgabe der Schule bleibe es, die Kinder unmittelbar heranzuführen an das religiöse Leben, wie es in den Schriften des Alten und des Neuen Testaments pulsiert. Der Katechismus — ich denke immer an den besten, den lutherischen — könnte, wie die Dinge jetzt liegen, eine Stellung im Schulunterricht nur dann behaupten, wenn er eine absolute pädagogische Be¬ deutung hätte; die hat er nicht. Die Kirche aber steht ihm anders gegenüber. So lange sie in ihm einen kurzen Inbegriff ihres Glaubens sieht, wird sie seine Kenntnis bei ihren Kon¬ firmanden wünschen müssen. Für den Konfirmandenunterricht fällt aber auch ein gut Teil der prinzipiellen Bedenken, denen der Katechismus auf der Schule begegnet. Der Schüler von heute hat meist schon ein Gefühl dafür, daß die verschiednen Kirchen Gemeinschaften darstellen von einer bestimmten, keineswegs selbstverständlichen und allgemeinen religiösen Überzeugung, und wird gewiß eine dementsprechend« thetische Unterweisung kirchlicherseits ganz in der Ordnung finden, während sie ihn auf der Schule befremdet. — Schwierigkeiten bleiben ja natürlich auch für den kirchlichen Katechismusunterricht bestehn. Aber da

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/620>, abgerufen am 29.06.2024.