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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Religion in der Schule

muß die Kirche zusehen. Auf die Schule, wo sie sich mehren, darf man sie
nicht abwälzen. Wir haben christliche, nicht kirchliche Schulen.

Wie ich mir nun positiv den Religionsunterricht auf dieser Stufe wünsche,
und wie ich ihn erteile, dafür darf ich auf eine kürzlich erschienene Schrift ver¬
weisen.^) Nur zweierlei sei noch bemerkt. Sämtliche sogenannten biblischen
Historienbiicher sollten verbannt werden. Der Lehrer müßte das Buch ersetzen.
Erzählt er frei und frisch, so wissen die kleinen Leute die Geschichten auf lange
Zeit fast wörtlich nach seinem Bericht wieder zu erzählen. Das weiß jeder
Lehrer, der einmal den vorbereitenden Geschichtsunterricht, die griechisch-römischen
und die deutschen Sagen behandelt hat. Der Buchstabe ist tot gegenüber der
persönlichen Vermittlung durch den Lehrer. Ein wirtlich brauchbares Historien¬
buch aber, das vorab der Lehrer wegen noch zu wünschen ist, müßte sich weit
mehr als bisher vom biblischen Wortlaut befreien. Das würde es auch er¬
möglichen, manches sehr Geeignete zu bringen, was bisher wegen der skizzen¬
haften Form des biblischen Berichts wegblieb, wie etwa das Auftreten des
Jeremia am Tempelthor, oder das so sehr geeignete Gleichnis Jesu von den
spielenden Kindern. Dieses Prinzip der ausgestaltenden Darstellung habe ich
an andrer Stelle dnrch Proben näher erläutert.

Für den Religionsunterricht der Mittelstufe aber ist zu bedenken, daß
diese Stufe für einen großen Teil der Schüler die Oberstufe bedeutet,
für die große Zahl derer, die die einzelnen Klassen der Mittelstufe oft mit
zweijähriger Ausdauer durchhitzen, nur um schließlich einjährig dienen zu
können. So wenig die höhern Schulen meines Erachtens im übrigen Unter¬
richt auf diesen Ballast Rücksicht nehmen sollten, um ihn womöglich los zu
werden- der Religionsunterricht wird sich um der Religion willen einstweilen
noch auf ihn einrichten müssen. Es muß für die Untersekunda und für die
erste Klasse der Realschule in jedem Falle Zeit zu einem kirchengeschichtlichen
Überblick erübrigt werden, bei dem es besonders auf die hervorragenden kirchen-
geschichtlichen Persönlichkeiten und auf Anbahnung geschichtlichen Verständ¬
nisses für die gegenwärtigen kirchlichen Verhältnisse ankommt. Das kann
erreicht werden.

Von der allgemeinen Durchführung solcher oder ähnlicher Vorschläge sind
wir freilich noch sehr weit entfernt. Der Versuch würde gegenwärtig schon
an der Unfähigkeit der Lehrer scheitern. Damit berühre ich nach meinem Er¬
messen deu wundesten Punkt des Religionsunterrichts ein höhern Schulen.
Ans der untern und der mittlern Stufe liegt er in sehr vielen, wenn nicht in
den meisten Fällen in ungeeigneten Händen. Auf der Oberstufe überträgt man
ihn ja fast ausschließlich studierten Theologen. Aber darunter pflegen es die
Direktoren mit der Fakultas weniger genau zu nehmen und Religion wie etwa
Turnen für ein Fach zu halten, zu den: im Notfall jeder Lehrer tauge. Aber
freilich, sie würden bei strengern Prinzipien in der Besetzung der Religions¬
stunden auch recht oft in die größte Verlegenheit geraten. Hier muß Wandel



*) Vgl. "Vom evangel, Religionsunterricht an höheren Schulen." ^Tübingen, Mohr, 1900.)
Religion in der Schule

muß die Kirche zusehen. Auf die Schule, wo sie sich mehren, darf man sie
nicht abwälzen. Wir haben christliche, nicht kirchliche Schulen.

Wie ich mir nun positiv den Religionsunterricht auf dieser Stufe wünsche,
und wie ich ihn erteile, dafür darf ich auf eine kürzlich erschienene Schrift ver¬
weisen.^) Nur zweierlei sei noch bemerkt. Sämtliche sogenannten biblischen
Historienbiicher sollten verbannt werden. Der Lehrer müßte das Buch ersetzen.
Erzählt er frei und frisch, so wissen die kleinen Leute die Geschichten auf lange
Zeit fast wörtlich nach seinem Bericht wieder zu erzählen. Das weiß jeder
Lehrer, der einmal den vorbereitenden Geschichtsunterricht, die griechisch-römischen
und die deutschen Sagen behandelt hat. Der Buchstabe ist tot gegenüber der
persönlichen Vermittlung durch den Lehrer. Ein wirtlich brauchbares Historien¬
buch aber, das vorab der Lehrer wegen noch zu wünschen ist, müßte sich weit
mehr als bisher vom biblischen Wortlaut befreien. Das würde es auch er¬
möglichen, manches sehr Geeignete zu bringen, was bisher wegen der skizzen¬
haften Form des biblischen Berichts wegblieb, wie etwa das Auftreten des
Jeremia am Tempelthor, oder das so sehr geeignete Gleichnis Jesu von den
spielenden Kindern. Dieses Prinzip der ausgestaltenden Darstellung habe ich
an andrer Stelle dnrch Proben näher erläutert.

Für den Religionsunterricht der Mittelstufe aber ist zu bedenken, daß
diese Stufe für einen großen Teil der Schüler die Oberstufe bedeutet,
für die große Zahl derer, die die einzelnen Klassen der Mittelstufe oft mit
zweijähriger Ausdauer durchhitzen, nur um schließlich einjährig dienen zu
können. So wenig die höhern Schulen meines Erachtens im übrigen Unter¬
richt auf diesen Ballast Rücksicht nehmen sollten, um ihn womöglich los zu
werden- der Religionsunterricht wird sich um der Religion willen einstweilen
noch auf ihn einrichten müssen. Es muß für die Untersekunda und für die
erste Klasse der Realschule in jedem Falle Zeit zu einem kirchengeschichtlichen
Überblick erübrigt werden, bei dem es besonders auf die hervorragenden kirchen-
geschichtlichen Persönlichkeiten und auf Anbahnung geschichtlichen Verständ¬
nisses für die gegenwärtigen kirchlichen Verhältnisse ankommt. Das kann
erreicht werden.

Von der allgemeinen Durchführung solcher oder ähnlicher Vorschläge sind
wir freilich noch sehr weit entfernt. Der Versuch würde gegenwärtig schon
an der Unfähigkeit der Lehrer scheitern. Damit berühre ich nach meinem Er¬
messen deu wundesten Punkt des Religionsunterrichts ein höhern Schulen.
Ans der untern und der mittlern Stufe liegt er in sehr vielen, wenn nicht in
den meisten Fällen in ungeeigneten Händen. Auf der Oberstufe überträgt man
ihn ja fast ausschließlich studierten Theologen. Aber darunter pflegen es die
Direktoren mit der Fakultas weniger genau zu nehmen und Religion wie etwa
Turnen für ein Fach zu halten, zu den: im Notfall jeder Lehrer tauge. Aber
freilich, sie würden bei strengern Prinzipien in der Besetzung der Religions¬
stunden auch recht oft in die größte Verlegenheit geraten. Hier muß Wandel



*) Vgl. „Vom evangel, Religionsunterricht an höheren Schulen." ^Tübingen, Mohr, 1900.)
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[0621] Religion in der Schule muß die Kirche zusehen. Auf die Schule, wo sie sich mehren, darf man sie nicht abwälzen. Wir haben christliche, nicht kirchliche Schulen. Wie ich mir nun positiv den Religionsunterricht auf dieser Stufe wünsche, und wie ich ihn erteile, dafür darf ich auf eine kürzlich erschienene Schrift ver¬ weisen.^) Nur zweierlei sei noch bemerkt. Sämtliche sogenannten biblischen Historienbiicher sollten verbannt werden. Der Lehrer müßte das Buch ersetzen. Erzählt er frei und frisch, so wissen die kleinen Leute die Geschichten auf lange Zeit fast wörtlich nach seinem Bericht wieder zu erzählen. Das weiß jeder Lehrer, der einmal den vorbereitenden Geschichtsunterricht, die griechisch-römischen und die deutschen Sagen behandelt hat. Der Buchstabe ist tot gegenüber der persönlichen Vermittlung durch den Lehrer. Ein wirtlich brauchbares Historien¬ buch aber, das vorab der Lehrer wegen noch zu wünschen ist, müßte sich weit mehr als bisher vom biblischen Wortlaut befreien. Das würde es auch er¬ möglichen, manches sehr Geeignete zu bringen, was bisher wegen der skizzen¬ haften Form des biblischen Berichts wegblieb, wie etwa das Auftreten des Jeremia am Tempelthor, oder das so sehr geeignete Gleichnis Jesu von den spielenden Kindern. Dieses Prinzip der ausgestaltenden Darstellung habe ich an andrer Stelle dnrch Proben näher erläutert. Für den Religionsunterricht der Mittelstufe aber ist zu bedenken, daß diese Stufe für einen großen Teil der Schüler die Oberstufe bedeutet, für die große Zahl derer, die die einzelnen Klassen der Mittelstufe oft mit zweijähriger Ausdauer durchhitzen, nur um schließlich einjährig dienen zu können. So wenig die höhern Schulen meines Erachtens im übrigen Unter¬ richt auf diesen Ballast Rücksicht nehmen sollten, um ihn womöglich los zu werden- der Religionsunterricht wird sich um der Religion willen einstweilen noch auf ihn einrichten müssen. Es muß für die Untersekunda und für die erste Klasse der Realschule in jedem Falle Zeit zu einem kirchengeschichtlichen Überblick erübrigt werden, bei dem es besonders auf die hervorragenden kirchen- geschichtlichen Persönlichkeiten und auf Anbahnung geschichtlichen Verständ¬ nisses für die gegenwärtigen kirchlichen Verhältnisse ankommt. Das kann erreicht werden. Von der allgemeinen Durchführung solcher oder ähnlicher Vorschläge sind wir freilich noch sehr weit entfernt. Der Versuch würde gegenwärtig schon an der Unfähigkeit der Lehrer scheitern. Damit berühre ich nach meinem Er¬ messen deu wundesten Punkt des Religionsunterrichts ein höhern Schulen. Ans der untern und der mittlern Stufe liegt er in sehr vielen, wenn nicht in den meisten Fällen in ungeeigneten Händen. Auf der Oberstufe überträgt man ihn ja fast ausschließlich studierten Theologen. Aber darunter pflegen es die Direktoren mit der Fakultas weniger genau zu nehmen und Religion wie etwa Turnen für ein Fach zu halten, zu den: im Notfall jeder Lehrer tauge. Aber freilich, sie würden bei strengern Prinzipien in der Besetzung der Religions¬ stunden auch recht oft in die größte Verlegenheit geraten. Hier muß Wandel *) Vgl. „Vom evangel, Religionsunterricht an höheren Schulen." ^Tübingen, Mohr, 1900.)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/621>, abgerufen am 26.06.2024.