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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Religion in der Schule

Eine schwierige Frage bei diesem Unterricht ist die Stoffauswahl, weniger
wegen Zeitmangels -- drei Jahre lang wöchentlich zwei Stunden sind gerade
genug;'wir wollen gar nicht mehr -- als aus pädagogischen Gründen. Es
ist ja sicher wünschenswert, die Schüler so viel wie möglich an die Quellen
selbst heranzuführen. Aber wenn diese Quellen thatsächlich nicht selbst zu ihnen
reden, wenn sie. erst durch mühsames und ermüdendes Erklären - Zerklären
nannte es Philipp Wackernagel -- verständlich werden, so taugen sie uicht
für die Schüler. Doch soll man den Lehrer nun uicht an einen bestimmten
Kanon binden. Es giebt recht verschiedne Jahrgänge, und einer glücklich
zusammengesetzten Oberprima darf man unter Umständen mehr zutrauen als
einem Konsortium von theologischen Füchsen, die von der Natur mit Geistes¬
gaben weniger verschwenderisch ausgestattet sind.

Der Römerbrief allerdings wird als Ganzes für Primaner wohl immer
unverdauliche Speise bleiben. Er ist aber auch entbehrlich. Ein Bild des
paulinischen Evangeliums läßt sich sehr wohl aus geeignetem Schriften, vor
allen aus den Korintherbriefen gewinnen, wenn erläuterungsweise die besonders
charakteristischen Stellen des Römer- und des Galaterbriefes herangezogen
werden.

Kein Lehrer, der es erfahren hat, mit welchem Interesse die jungen Leute
fast durchweg quellenmäßigen Mitteilungen aus der Kirchengeschichte begegnen,
wird sich dieses Vorteils begeben, zumal da er damit zugleich ein fast regel¬
mäßiges Versäumnis des Geschichtsunterrichts nachholen kann, den Schülern
eine Ahnung von historisch-kritischer Methode beizubringen. Es wäre zu
wünschen, daß sich der kirchengeschichtliche Unterricht immer enger an gemein¬
same Lektüre geeigneter Quellen anschlösse. Freilich ein dazu vollkommen
taugliches kirchengeschichtliches Lesebuch muß der Wettbewerb um die Palme
erst noch zu Tage fördern. In einen: Anhang wünschte ich ausgewählte Ab¬
schnitte aus Schriften wie Du Bois-Reymonds "Grenzen des Naturerkennens."
An einer Oberrealschule habe ich die besten Erfahrungen gerade mit dieser
Schrift gemacht.

Unsre bisherigen Erörterungen beschränkten sich auf die Oberstufe höherer
Lehranstalten. Ich gehe über diese Schranke hinaus mit der These: Auch
schon auf der untern und der mittlern Stufe soll der Unterricht geschichtlich
sein. -- Von den verschiedensten Seiten, auch gerade von praktisch theologischer
ist in der letzten Zeit die Forderung ausgesprochen worden: der Katechismus
soll dem Konfirmandenunterricht reserviert bleiben. In Sachsen hat man einen
erfreulichen Anfang gemacht und unter einheitlicher Regelung des Konfir¬
mandenunterrichts die Lehre von den Sakramenten, also das vierte und das
fünfte Hauptstück diesen: Unterricht zugewiesen.

Sonst sind die meisten Geistlichen freilich noch andrer Meinung: sie
wünschen für ihre Seelsorgearbeit im Konfirmandenunterricht den religiösen
Stoff im weitesten Umfang einschließlich des Katechismus bei den Kindern als
bekannt voraussetzen zu dürfen, um frei darüber verfügen zu können. Die
Notwendigkeit einer reinlichen Scheidung zweier Unterrichtsgebiete für die


Religion in der Schule

Eine schwierige Frage bei diesem Unterricht ist die Stoffauswahl, weniger
wegen Zeitmangels — drei Jahre lang wöchentlich zwei Stunden sind gerade
genug;'wir wollen gar nicht mehr — als aus pädagogischen Gründen. Es
ist ja sicher wünschenswert, die Schüler so viel wie möglich an die Quellen
selbst heranzuführen. Aber wenn diese Quellen thatsächlich nicht selbst zu ihnen
reden, wenn sie. erst durch mühsames und ermüdendes Erklären - Zerklären
nannte es Philipp Wackernagel — verständlich werden, so taugen sie uicht
für die Schüler. Doch soll man den Lehrer nun uicht an einen bestimmten
Kanon binden. Es giebt recht verschiedne Jahrgänge, und einer glücklich
zusammengesetzten Oberprima darf man unter Umständen mehr zutrauen als
einem Konsortium von theologischen Füchsen, die von der Natur mit Geistes¬
gaben weniger verschwenderisch ausgestattet sind.

Der Römerbrief allerdings wird als Ganzes für Primaner wohl immer
unverdauliche Speise bleiben. Er ist aber auch entbehrlich. Ein Bild des
paulinischen Evangeliums läßt sich sehr wohl aus geeignetem Schriften, vor
allen aus den Korintherbriefen gewinnen, wenn erläuterungsweise die besonders
charakteristischen Stellen des Römer- und des Galaterbriefes herangezogen
werden.

Kein Lehrer, der es erfahren hat, mit welchem Interesse die jungen Leute
fast durchweg quellenmäßigen Mitteilungen aus der Kirchengeschichte begegnen,
wird sich dieses Vorteils begeben, zumal da er damit zugleich ein fast regel¬
mäßiges Versäumnis des Geschichtsunterrichts nachholen kann, den Schülern
eine Ahnung von historisch-kritischer Methode beizubringen. Es wäre zu
wünschen, daß sich der kirchengeschichtliche Unterricht immer enger an gemein¬
same Lektüre geeigneter Quellen anschlösse. Freilich ein dazu vollkommen
taugliches kirchengeschichtliches Lesebuch muß der Wettbewerb um die Palme
erst noch zu Tage fördern. In einen: Anhang wünschte ich ausgewählte Ab¬
schnitte aus Schriften wie Du Bois-Reymonds „Grenzen des Naturerkennens."
An einer Oberrealschule habe ich die besten Erfahrungen gerade mit dieser
Schrift gemacht.

Unsre bisherigen Erörterungen beschränkten sich auf die Oberstufe höherer
Lehranstalten. Ich gehe über diese Schranke hinaus mit der These: Auch
schon auf der untern und der mittlern Stufe soll der Unterricht geschichtlich
sein. — Von den verschiedensten Seiten, auch gerade von praktisch theologischer
ist in der letzten Zeit die Forderung ausgesprochen worden: der Katechismus
soll dem Konfirmandenunterricht reserviert bleiben. In Sachsen hat man einen
erfreulichen Anfang gemacht und unter einheitlicher Regelung des Konfir¬
mandenunterrichts die Lehre von den Sakramenten, also das vierte und das
fünfte Hauptstück diesen: Unterricht zugewiesen.

Sonst sind die meisten Geistlichen freilich noch andrer Meinung: sie
wünschen für ihre Seelsorgearbeit im Konfirmandenunterricht den religiösen
Stoff im weitesten Umfang einschließlich des Katechismus bei den Kindern als
bekannt voraussetzen zu dürfen, um frei darüber verfügen zu können. Die
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/619>, abgerufen am 28.09.2024.