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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Neue Weltgeschichten

weil dieser Gegenstand teils vorher teils nachher behandelt wird, so kommt
auch er über eine Skizze der Kämpfe um die Unterwerfung des Ostens und
Westens nicht hinaus und nicht einmal dazu, von der großartigen Kulturarbeit
der Römer in Westeuropa, seinem eignen wissenschaftlichen Spezialgebiet, ein
zusammenhängendes Bild zu entwerfen. Was darüber später in dem Abschnitt
über Spanien Seite 478 f. auf anderthalb Seiten geboten wird, ist wertlos.
Aber auch das, was Jung nun bieten kann, befriedigt teilweise wenig. Die Ent¬
wicklung der römischen Verfassung im Ständekampfe und die Kriege um die
Herrschaft Italiens bis 272 sind in jedem Schulbuche besser behandelt als
hier, wo es an jeder Präzision (sogar in den Jahreszahlen, die fast ganz aus¬
gefallen sind) und jeder Anschaulichkeit fehlt; nicht besser ist es um die Kultur-
entwicklung dieser Zeiten bestellt, und die geographisch-ethnographische Ein¬
leitung enthält zwar manches Gute, namentlich in der scharfen Bestimmung
der antiken Örtlichkeiten und der Ansiedlungsweise, ist aber in der Disposition
sonderbar verworren. Mehr befriedigt die Geschichte der punischen Kriege und
dann die Kaiserzeit. Einem so feinsinnigen Forscher und lebendigen Dar¬
steller, wie I. Jung es sonst ist, scheint die ganze Arbeit eben wenig Freude
gemacht zu haben, weil er überall auf unnatürliche Schranken gestoßen ist.

Die meisten andern Abschnitte sind weit besser gelungen, wie ich aus¬
drücklich betonen will, denn es macht mir nicht das geringste Vergnügen, zu
tadeln, es ist mir vielmehr peinlich zu sehen, wie sich so viele redliche Arbeit
an einer unmöglichen Aufgabe abgemüht hat. Ich hebe darum als besonders
tüchtige Arbeiten hervor "Die alten Völker am Schwarzen Meer und am öst¬
lichen Mittelmeere" von Karl Georg Brandis, die ganze erste Hälfte des
dritten Bandes "Das alte Westasien" von Hugo Winckler und "Westasien im
Zeichen des Islam" von Heinrich Schurtz, "Die Entstehung des Christentums
und seine östliche Entfaltung," ein durch klare Darstellung und besonneneres
Urteil ausgezeichnetes Kapitel von Wilhelm Walther, und "Die UrVölker der
Apenninenhalbinsel" von Carl Pauli, einem der ersten Kenner dieses schwierigen
Gebiets, der auch hier mit voller Bestimmtheit die Ansicht vertritt, daß die
rätselhaften Etrusker weder Indogermanen noch Semiten, sondern Verwandte
andrer vorderasiatischer Stämme gewesen sind, was die Alten immer behauptet
haben, nur daß es die Modernen dann besser wußten. In solchen Einzel¬
darstellungen liegt der dauernde und große Wert des Unternehmens, nicht im
ganzen, dem jede innere Einheit fehlt. Die bildliche und kartographische Aus¬
stattung auch dieser Teile ist, wie bei der Verlagshandlung selbstverständlich,
vorzüglich, aber manches wäre anders zu wünschen. Sonderbar berührt es
namentlich, daß die Entwicklung der griechischen Kunst so gut wie gar nicht
zur bildlichen Darstellung kommt, während den Burgen der mhkenischen Kultur
zwei Tafeln gewidmet sind; sie ist also gerade so stiefmütterlich behandelt, wie
die griechische Geschichte überhaupt.

Den Mut, nach der alten Methode eine neue (vierhändige) Weltgeschichte
von den ältesten Zeiten bis zum Anfang des zwanzigsten Jahr-


Neue Weltgeschichten

weil dieser Gegenstand teils vorher teils nachher behandelt wird, so kommt
auch er über eine Skizze der Kämpfe um die Unterwerfung des Ostens und
Westens nicht hinaus und nicht einmal dazu, von der großartigen Kulturarbeit
der Römer in Westeuropa, seinem eignen wissenschaftlichen Spezialgebiet, ein
zusammenhängendes Bild zu entwerfen. Was darüber später in dem Abschnitt
über Spanien Seite 478 f. auf anderthalb Seiten geboten wird, ist wertlos.
Aber auch das, was Jung nun bieten kann, befriedigt teilweise wenig. Die Ent¬
wicklung der römischen Verfassung im Ständekampfe und die Kriege um die
Herrschaft Italiens bis 272 sind in jedem Schulbuche besser behandelt als
hier, wo es an jeder Präzision (sogar in den Jahreszahlen, die fast ganz aus¬
gefallen sind) und jeder Anschaulichkeit fehlt; nicht besser ist es um die Kultur-
entwicklung dieser Zeiten bestellt, und die geographisch-ethnographische Ein¬
leitung enthält zwar manches Gute, namentlich in der scharfen Bestimmung
der antiken Örtlichkeiten und der Ansiedlungsweise, ist aber in der Disposition
sonderbar verworren. Mehr befriedigt die Geschichte der punischen Kriege und
dann die Kaiserzeit. Einem so feinsinnigen Forscher und lebendigen Dar¬
steller, wie I. Jung es sonst ist, scheint die ganze Arbeit eben wenig Freude
gemacht zu haben, weil er überall auf unnatürliche Schranken gestoßen ist.

Die meisten andern Abschnitte sind weit besser gelungen, wie ich aus¬
drücklich betonen will, denn es macht mir nicht das geringste Vergnügen, zu
tadeln, es ist mir vielmehr peinlich zu sehen, wie sich so viele redliche Arbeit
an einer unmöglichen Aufgabe abgemüht hat. Ich hebe darum als besonders
tüchtige Arbeiten hervor „Die alten Völker am Schwarzen Meer und am öst¬
lichen Mittelmeere" von Karl Georg Brandis, die ganze erste Hälfte des
dritten Bandes „Das alte Westasien" von Hugo Winckler und „Westasien im
Zeichen des Islam" von Heinrich Schurtz, „Die Entstehung des Christentums
und seine östliche Entfaltung," ein durch klare Darstellung und besonneneres
Urteil ausgezeichnetes Kapitel von Wilhelm Walther, und „Die UrVölker der
Apenninenhalbinsel" von Carl Pauli, einem der ersten Kenner dieses schwierigen
Gebiets, der auch hier mit voller Bestimmtheit die Ansicht vertritt, daß die
rätselhaften Etrusker weder Indogermanen noch Semiten, sondern Verwandte
andrer vorderasiatischer Stämme gewesen sind, was die Alten immer behauptet
haben, nur daß es die Modernen dann besser wußten. In solchen Einzel¬
darstellungen liegt der dauernde und große Wert des Unternehmens, nicht im
ganzen, dem jede innere Einheit fehlt. Die bildliche und kartographische Aus¬
stattung auch dieser Teile ist, wie bei der Verlagshandlung selbstverständlich,
vorzüglich, aber manches wäre anders zu wünschen. Sonderbar berührt es
namentlich, daß die Entwicklung der griechischen Kunst so gut wie gar nicht
zur bildlichen Darstellung kommt, während den Burgen der mhkenischen Kultur
zwei Tafeln gewidmet sind; sie ist also gerade so stiefmütterlich behandelt, wie
die griechische Geschichte überhaupt.

Den Mut, nach der alten Methode eine neue (vierhändige) Weltgeschichte
von den ältesten Zeiten bis zum Anfang des zwanzigsten Jahr-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/520>, abgerufen am 22.07.2024.