Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.Neue Weltgeschichten Hunderts für einen weitern Leserkreis zu schreiben, hat Hermann Schiller Neue Weltgeschichten Hunderts für einen weitern Leserkreis zu schreiben, hat Hermann Schiller <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0521" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/291598"/> <fw type="header" place="top"> Neue Weltgeschichten</fw><lb/> <p xml:id="ID_1788" prev="#ID_1787" next="#ID_1789"> Hunderts für einen weitern Leserkreis zu schreiben, hat Hermann Schiller<lb/> gehabt, der auch als tüchtiger Historiker bekannte hessische Schulmann. Davon<lb/> liegt jetzt der erste Band, die „Geschichte des Altertums" (Berlin und Stutt¬<lb/> gart, W. Spemann, 1900. XIV und 690 Seiten, mit einer Beilage und<lb/> dem Register, zusammen 78 Seiten, 7 Karten und 20 Porträts) vor. In der<lb/> Einleitung beschränkt der Verfasser den Begriff der Weltgeschichte nach Ranke<lb/> auf die thätigen, andre beeinflussenden und bestimmenden Völker, obwohl er<lb/> die mehr passiven nicht ausschließt, sondern sie dort behandeln will, wo sie<lb/> mit jenen zusammentreffen (z. B. die Inder beim Alexanderzuge), und auf die<lb/> Zeiten, von denen historische Überlieferungen beginnen, meiner Meinung nach<lb/> eine unzulässige Beschränkung; er sieht im Staate das wichtigste Erzeugnis<lb/> menschlicher Kultur, stellt die politische Geschichte also in den Vordergrund,<lb/> behandelt aber kaum minder ausführlich die Kultur; er leugnet nicht den<lb/> starken Einfluß von Boden und Klima, betont aber entschieden die Bedeutung<lb/> der geistigen, nicht von natürlichen Gesetzen, sondern vom Willen im fort¬<lb/> währenden Ringen mit den Umstünden bestimmten Völker- und Einzelpersön¬<lb/> lichkeit und glaubt auch an ein Ziel der Weltgeschichte, eine Vervollkommnung<lb/> in geistiger wie in sittlicher Beziehung. Ohne allzusehr ins einzelne einzu-<lb/> gehn, das er mit Recht Spezialwerken überläßt, will er doch von den Hnupt-<lb/> entwicklungsreihen ein lebendiges, einheitliches Bild ans Grund der modernen<lb/> Forschung geben, und das ist ihm im ganzen wohl gelungen. Für Leser, die<lb/> genauer auf einzelne Perioden oder Volksgeschichten eingehn wollen, giebt er<lb/> bei jedem Abschnitt ein Verzeichnis voll Spezialwerken und fügt außerdem am<lb/> Schlüsse — eine Eigentümlichkeit des Buchs — eine „Quellensammlung zur<lb/> Vertiefung des geschichtlichen Verständnisses" hinzu, die charakteristische Schrift¬<lb/> stücke der Ägypter, Babylonier, Assyrer, Perser, Griechen und Römer enthält.<lb/> In diesen Völkernamen ist zugleich der Umkreis des ersten Bandes abgegrenzt.<lb/> Schiller geht also wie Ranke von dem mittelländischen Völkerkreis ans, ohne,<lb/> wie andre Universalhistoriker, auch China und Indien selbständige Abschnitte<lb/> zu widmen. Er behandelt zunächst die morgenländischen Völker und Reiche<lb/> bis auf die Neichsgrüiiduug des Darius, dann die abendländischen Völker und<lb/> Reiche, denen nach alter guter Art weitaus der größte Teil des Raums ge¬<lb/> widmet ist, die Griechen in fünf Perioden bis zur Mitte des zweiten vor¬<lb/> christlichen Jahrhunderts, also bis zum vollständigen Untergänge der griechischen<lb/> Unabhängigkeit, und das Römerreich in sieben Perioden bis zum Ende des<lb/> sechsten Jahrhunderts n. Chr., demnach bis zur Aufrichtung der langobardischen<lb/> Herrschaft in Italien und der endgiltigen Beschränkung des Römerreichs auf den<lb/> hellenisierten Osten. Er betrachtet also die Völker- und Staatspersönlichkeiten<lb/> als die eigentlichen Subjekte der geschichtlichen Entwicklung, nicht die Länder,<lb/> und wenn er in diesem Bande bis auf die Vollendung des Römerreichs der<lb/> ethnographischen, nicht einer synchronistischen Einteilung folgt, so entspricht<lb/> das den Verhältnissen dieses wenn nicht verkehrslosen, so doch verkehrsarmen<lb/> Zeitraums. Denn hier ist die Entwicklung der einzelnen Völker in der That</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0521]
Neue Weltgeschichten
Hunderts für einen weitern Leserkreis zu schreiben, hat Hermann Schiller
gehabt, der auch als tüchtiger Historiker bekannte hessische Schulmann. Davon
liegt jetzt der erste Band, die „Geschichte des Altertums" (Berlin und Stutt¬
gart, W. Spemann, 1900. XIV und 690 Seiten, mit einer Beilage und
dem Register, zusammen 78 Seiten, 7 Karten und 20 Porträts) vor. In der
Einleitung beschränkt der Verfasser den Begriff der Weltgeschichte nach Ranke
auf die thätigen, andre beeinflussenden und bestimmenden Völker, obwohl er
die mehr passiven nicht ausschließt, sondern sie dort behandeln will, wo sie
mit jenen zusammentreffen (z. B. die Inder beim Alexanderzuge), und auf die
Zeiten, von denen historische Überlieferungen beginnen, meiner Meinung nach
eine unzulässige Beschränkung; er sieht im Staate das wichtigste Erzeugnis
menschlicher Kultur, stellt die politische Geschichte also in den Vordergrund,
behandelt aber kaum minder ausführlich die Kultur; er leugnet nicht den
starken Einfluß von Boden und Klima, betont aber entschieden die Bedeutung
der geistigen, nicht von natürlichen Gesetzen, sondern vom Willen im fort¬
währenden Ringen mit den Umstünden bestimmten Völker- und Einzelpersön¬
lichkeit und glaubt auch an ein Ziel der Weltgeschichte, eine Vervollkommnung
in geistiger wie in sittlicher Beziehung. Ohne allzusehr ins einzelne einzu-
gehn, das er mit Recht Spezialwerken überläßt, will er doch von den Hnupt-
entwicklungsreihen ein lebendiges, einheitliches Bild ans Grund der modernen
Forschung geben, und das ist ihm im ganzen wohl gelungen. Für Leser, die
genauer auf einzelne Perioden oder Volksgeschichten eingehn wollen, giebt er
bei jedem Abschnitt ein Verzeichnis voll Spezialwerken und fügt außerdem am
Schlüsse — eine Eigentümlichkeit des Buchs — eine „Quellensammlung zur
Vertiefung des geschichtlichen Verständnisses" hinzu, die charakteristische Schrift¬
stücke der Ägypter, Babylonier, Assyrer, Perser, Griechen und Römer enthält.
In diesen Völkernamen ist zugleich der Umkreis des ersten Bandes abgegrenzt.
Schiller geht also wie Ranke von dem mittelländischen Völkerkreis ans, ohne,
wie andre Universalhistoriker, auch China und Indien selbständige Abschnitte
zu widmen. Er behandelt zunächst die morgenländischen Völker und Reiche
bis auf die Neichsgrüiiduug des Darius, dann die abendländischen Völker und
Reiche, denen nach alter guter Art weitaus der größte Teil des Raums ge¬
widmet ist, die Griechen in fünf Perioden bis zur Mitte des zweiten vor¬
christlichen Jahrhunderts, also bis zum vollständigen Untergänge der griechischen
Unabhängigkeit, und das Römerreich in sieben Perioden bis zum Ende des
sechsten Jahrhunderts n. Chr., demnach bis zur Aufrichtung der langobardischen
Herrschaft in Italien und der endgiltigen Beschränkung des Römerreichs auf den
hellenisierten Osten. Er betrachtet also die Völker- und Staatspersönlichkeiten
als die eigentlichen Subjekte der geschichtlichen Entwicklung, nicht die Länder,
und wenn er in diesem Bande bis auf die Vollendung des Römerreichs der
ethnographischen, nicht einer synchronistischen Einteilung folgt, so entspricht
das den Verhältnissen dieses wenn nicht verkehrslosen, so doch verkehrsarmen
Zeitraums. Denn hier ist die Entwicklung der einzelnen Völker in der That
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