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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Defregger in Berlin

gleichen Strang ziehn, in den Bordergrund gestellt und solange vorwärts ge¬
schoben, bis es zur Hauptsache geworden ist -- für sie und ihresgleichen
wenigstens. Andre werden diese einseitige Betonung des Handwerks zum
Nachteil des geistigen oder sachlichen Inhalts eines Kunstwerks ebenso ent¬
schieden als "banausisch" oder "trivial" ablehnen, wie es jene mit allen
Werken der Malerei oder Plastik thun, die uns etwas erzählen oder auch nur
etwas Gegenstündliches bieten wollen. Wenn sich die Modernen dabei vor¬
zugsweise auf Rembrandt berufen, dessen koloristische Wandlungsfähigkeit und
dabei immer gleich bleibende Virtuosität sie am meisten bewundern, so wider¬
legt gerade Rembrandt ihre Ästhetik am schlagendsten. Denn das Entscheidende
und Überwältigende in Rembrandts künstlerischer Persönlichkeit ist nicht, daß
er seine Malweise so und so oft geändert und jedesmal etwas Bedeutendes
oder Interessantes dabei zu Tage gefördert hat, sondern es liegt in der Origi¬
nalität seiner Auffassung, in der Durchdringung aller Stosse mit seinem Geiste,
also in einem rein geistigen Prozeß, den zwar die Virtuosität im malerischen
Handwerk kräftig unterstützt hat, der aber auch vor sich gegangen wäre, wenn
Rembrandt nicht viel besser und eigentümlicher gemalt hätte als seine Vor¬
gänger und Lehrer. Wir brauchen dabei nur an unsern Cornelius zu denken,
der ganz elend gemalt hat und doch ein großer Künstler gewesen ist.

Wir wollen damit keineswegs sagen, daß wir das malerische Handwerk
neben dem geistigen Prozeß, dem wir das Werden und Wachsen eines Kunst¬
werks verdanken, als etwas Nebensächliches betrachten. Das hieße einen reak¬
tionären Standpunkt verteidigen, der heute wohl allgemein als unhaltbar au¬
gesehen wird. Das höchste Ideal künstlerischen Schaffens wird immer da
erreicht sein, wo, wie bei Rembrandt, das eine und das andre, das Geistige
und das Technische gleichmäßig ausgebildet sind und in vollkommner Harmonie
ineinander greifen. Nach diesem Ideal hat auch Defregger gestrebt, und wenn
es ihm nicht immer gelungen ist, es zu erreichen, darf er sich mit Rembrandt
trösten. Auch Rembrandt hat, wenn er als Maler das Höchste seiner Kunst
entfaltet hat, dieses oft an einen Gegenstand verwandt, der gar keinen geistigen
Inhalt hat, bisweilen nicht einmal interessant in dem vieles umfassenden
Begriff des Modellstudiums ist, und wenn er einmal etwas inhaltlich Be¬
deutendes zu stände bringen wollte, ist er bisweilen pedantisch oder sogar
langweilig geworden, aus vielen Gründen, unter denen Wohl sein ungestümes
Temperament am schwersten wiegt. Einem Zwange, auch einem, den er sich
selbst auferlegt hatte, vermochte er nicht lange zu gehorchen.

Auch in Defreggers Schaffen giebt es Ebben und Tiefen. Sein künst¬
lerischer Entwicklungsgang gleicht keineswegs einer stetig aufsteigenden Linie,
die zuletzt zu einer Hochfläche führte, auf der er sich ein paar Jahrzehnte lang
im Schatten seines Ruhms gemächlich niederlassen konnte. Sein künstlerisches
Werden ist ihm sehr sauer geworden. Wir schätzen ihn wohl richtig ein, wenn
wir sagen, daß er seine Erfolge mehr seiner zähen Willenskraft als seinem
künstlerischen Temperament verdankt. Etwas Geniales im höchsten Sinne des


Defregger in Berlin

gleichen Strang ziehn, in den Bordergrund gestellt und solange vorwärts ge¬
schoben, bis es zur Hauptsache geworden ist — für sie und ihresgleichen
wenigstens. Andre werden diese einseitige Betonung des Handwerks zum
Nachteil des geistigen oder sachlichen Inhalts eines Kunstwerks ebenso ent¬
schieden als „banausisch" oder „trivial" ablehnen, wie es jene mit allen
Werken der Malerei oder Plastik thun, die uns etwas erzählen oder auch nur
etwas Gegenstündliches bieten wollen. Wenn sich die Modernen dabei vor¬
zugsweise auf Rembrandt berufen, dessen koloristische Wandlungsfähigkeit und
dabei immer gleich bleibende Virtuosität sie am meisten bewundern, so wider¬
legt gerade Rembrandt ihre Ästhetik am schlagendsten. Denn das Entscheidende
und Überwältigende in Rembrandts künstlerischer Persönlichkeit ist nicht, daß
er seine Malweise so und so oft geändert und jedesmal etwas Bedeutendes
oder Interessantes dabei zu Tage gefördert hat, sondern es liegt in der Origi¬
nalität seiner Auffassung, in der Durchdringung aller Stosse mit seinem Geiste,
also in einem rein geistigen Prozeß, den zwar die Virtuosität im malerischen
Handwerk kräftig unterstützt hat, der aber auch vor sich gegangen wäre, wenn
Rembrandt nicht viel besser und eigentümlicher gemalt hätte als seine Vor¬
gänger und Lehrer. Wir brauchen dabei nur an unsern Cornelius zu denken,
der ganz elend gemalt hat und doch ein großer Künstler gewesen ist.

Wir wollen damit keineswegs sagen, daß wir das malerische Handwerk
neben dem geistigen Prozeß, dem wir das Werden und Wachsen eines Kunst¬
werks verdanken, als etwas Nebensächliches betrachten. Das hieße einen reak¬
tionären Standpunkt verteidigen, der heute wohl allgemein als unhaltbar au¬
gesehen wird. Das höchste Ideal künstlerischen Schaffens wird immer da
erreicht sein, wo, wie bei Rembrandt, das eine und das andre, das Geistige
und das Technische gleichmäßig ausgebildet sind und in vollkommner Harmonie
ineinander greifen. Nach diesem Ideal hat auch Defregger gestrebt, und wenn
es ihm nicht immer gelungen ist, es zu erreichen, darf er sich mit Rembrandt
trösten. Auch Rembrandt hat, wenn er als Maler das Höchste seiner Kunst
entfaltet hat, dieses oft an einen Gegenstand verwandt, der gar keinen geistigen
Inhalt hat, bisweilen nicht einmal interessant in dem vieles umfassenden
Begriff des Modellstudiums ist, und wenn er einmal etwas inhaltlich Be¬
deutendes zu stände bringen wollte, ist er bisweilen pedantisch oder sogar
langweilig geworden, aus vielen Gründen, unter denen Wohl sein ungestümes
Temperament am schwersten wiegt. Einem Zwange, auch einem, den er sich
selbst auferlegt hatte, vermochte er nicht lange zu gehorchen.

Auch in Defreggers Schaffen giebt es Ebben und Tiefen. Sein künst¬
lerischer Entwicklungsgang gleicht keineswegs einer stetig aufsteigenden Linie,
die zuletzt zu einer Hochfläche führte, auf der er sich ein paar Jahrzehnte lang
im Schatten seines Ruhms gemächlich niederlassen konnte. Sein künstlerisches
Werden ist ihm sehr sauer geworden. Wir schätzen ihn wohl richtig ein, wenn
wir sagen, daß er seine Erfolge mehr seiner zähen Willenskraft als seinem
künstlerischen Temperament verdankt. Etwas Geniales im höchsten Sinne des


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[0513] Defregger in Berlin gleichen Strang ziehn, in den Bordergrund gestellt und solange vorwärts ge¬ schoben, bis es zur Hauptsache geworden ist — für sie und ihresgleichen wenigstens. Andre werden diese einseitige Betonung des Handwerks zum Nachteil des geistigen oder sachlichen Inhalts eines Kunstwerks ebenso ent¬ schieden als „banausisch" oder „trivial" ablehnen, wie es jene mit allen Werken der Malerei oder Plastik thun, die uns etwas erzählen oder auch nur etwas Gegenstündliches bieten wollen. Wenn sich die Modernen dabei vor¬ zugsweise auf Rembrandt berufen, dessen koloristische Wandlungsfähigkeit und dabei immer gleich bleibende Virtuosität sie am meisten bewundern, so wider¬ legt gerade Rembrandt ihre Ästhetik am schlagendsten. Denn das Entscheidende und Überwältigende in Rembrandts künstlerischer Persönlichkeit ist nicht, daß er seine Malweise so und so oft geändert und jedesmal etwas Bedeutendes oder Interessantes dabei zu Tage gefördert hat, sondern es liegt in der Origi¬ nalität seiner Auffassung, in der Durchdringung aller Stosse mit seinem Geiste, also in einem rein geistigen Prozeß, den zwar die Virtuosität im malerischen Handwerk kräftig unterstützt hat, der aber auch vor sich gegangen wäre, wenn Rembrandt nicht viel besser und eigentümlicher gemalt hätte als seine Vor¬ gänger und Lehrer. Wir brauchen dabei nur an unsern Cornelius zu denken, der ganz elend gemalt hat und doch ein großer Künstler gewesen ist. Wir wollen damit keineswegs sagen, daß wir das malerische Handwerk neben dem geistigen Prozeß, dem wir das Werden und Wachsen eines Kunst¬ werks verdanken, als etwas Nebensächliches betrachten. Das hieße einen reak¬ tionären Standpunkt verteidigen, der heute wohl allgemein als unhaltbar au¬ gesehen wird. Das höchste Ideal künstlerischen Schaffens wird immer da erreicht sein, wo, wie bei Rembrandt, das eine und das andre, das Geistige und das Technische gleichmäßig ausgebildet sind und in vollkommner Harmonie ineinander greifen. Nach diesem Ideal hat auch Defregger gestrebt, und wenn es ihm nicht immer gelungen ist, es zu erreichen, darf er sich mit Rembrandt trösten. Auch Rembrandt hat, wenn er als Maler das Höchste seiner Kunst entfaltet hat, dieses oft an einen Gegenstand verwandt, der gar keinen geistigen Inhalt hat, bisweilen nicht einmal interessant in dem vieles umfassenden Begriff des Modellstudiums ist, und wenn er einmal etwas inhaltlich Be¬ deutendes zu stände bringen wollte, ist er bisweilen pedantisch oder sogar langweilig geworden, aus vielen Gründen, unter denen Wohl sein ungestümes Temperament am schwersten wiegt. Einem Zwange, auch einem, den er sich selbst auferlegt hatte, vermochte er nicht lange zu gehorchen. Auch in Defreggers Schaffen giebt es Ebben und Tiefen. Sein künst¬ lerischer Entwicklungsgang gleicht keineswegs einer stetig aufsteigenden Linie, die zuletzt zu einer Hochfläche führte, auf der er sich ein paar Jahrzehnte lang im Schatten seines Ruhms gemächlich niederlassen konnte. Sein künstlerisches Werden ist ihm sehr sauer geworden. Wir schätzen ihn wohl richtig ein, wenn wir sagen, daß er seine Erfolge mehr seiner zähen Willenskraft als seinem künstlerischen Temperament verdankt. Etwas Geniales im höchsten Sinne des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/513>, abgerufen am 29.06.2024.