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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Defregger in Berlin

Worts hat er wohl nicht. Seine Willenskraft hat ihn zunächst zu großer
Aneignungsfähigkeit gebracht, und dazu ward ihm in der Werkstatt Pilotys
reiche Gelegenheit. Dort hat er erst malen lernen, obwohl er zuvor in Paris
gewesen war, und wenn jemand behaupten sollte, daß die Bilder, die Defregger
unter der frischen Einwirkung Pilotys gemalt hat, als rein koloristische
Leistungen betrachtet von seinen spätern Werken nicht übertroffen werden,
jedenfalls die frischesten und anziehendsten sind, so wird sich schwerlich dagegen
etwas einwenden lassen. Auf der Berliner Ausstellung sind das Speckbacher¬
bild und der 1872 gemalte Ball auf der Alm mit dem alten Sennhirten, der
mit einer jungen Almerin den Tanz eröffnet, sprechende Belege dafür. Dann
kam für Defregger eine Zeit schweren Siechtums, in der ihm wohl wieder ver¬
loren ging, was er bei Piloty gelernt hatte. Als er wieder zu malen anfing,
war er ein andrer geworden, als Maler viel weniger farbig, als es bei Piloty
üblich gewesen war, in der Technik auch wohl trockner und schwerfälliger, aber
er war doch etwas Besondres geworden, eine künstlerische Persönlichkeit, die
mit ihren Kräften und Schwächen etwas bedeutete.

Das rein Malerische im engern Sinne des Worts, wenn auch nicht im
Sinne der Modernen, hat er trotzdem immer gepflegt, bis in die neuste Zeit
hinein. Davon zeugen die schon erwähnten Naturstudien, die, soweit das auf
unsrer Ausstellung gebotne Material in Betracht kommt, den Zeitraum von
1868 bis 1890 umfassen. Es sind Ansichten von engen Gassen und abge¬
legnen Winkeln in den kleinen Städten und Dörfern Tirols, gelegentlich auch
der Schweiz, von vereinzelten Gehöften und Bauernhäusern, von Senn- und
Holzfällerhütten, besonders aber von Innenräumen, von den Wohn-, Arbeits¬
und Vorratsgelassen in tirolischen Bauernhäusern, in denen sich oft eine er¬
staunliche Fülle von malerischen Motiven auf einen engen Raum zusammen¬
drängt, wenn man all das darin aufgehäufte Gerät und Gerümpel nur bei
richtiger Beleuchtung betrachtet. Und gerade in der Erfassung solcher frucht¬
baren Augenblicke hat Defregger einen hervorragend malerischen Sinn bewährt.
Unter seinen Jnnenranmstndien sind einige, die man getrost neben die Bilder
der besten Niederländer -- wir denken dabei besonders an Adriaan van Ostade
und die ihm verwandten Bauernmaler -- stellen kann. Auch sonst bietet
Defregger manche Vergleichspunkte mit Adriaen van Ostade, der doch gewiß
zu den besten Malern im eigentlichen Sinne des Worts gehört. Der Holländer
hat einen ganz ähnlichen Entwicklungsgang durchgemacht, der gewöhnlich in
drei Perioden geschieden wird. In der ersten trat ganz wie bei Defregger das
rein Malerische in den Vordergrund. Dann hatte er mehr seine Freude um
dein bunten Spiel der Lokalfarben, aber immer noch mit starker Betonung des
Helldunkels wie der scharfen Gegensätze zwischen Licht und Schatten, und zu¬
letzt ist sein Kolorit kalt und hart, bisweilen auch flau geworden. Man er¬
klärt solche Wandlungen gewöhnlich aus dem Einfluß des Alters. Das klingt
sehr wahrscheinlich; man hat aber keineswegs die Gewißheit, ob man damit
das Richtige getroffen hat. Einer solchen Wandlung kann auch ebenso gut


Defregger in Berlin

Worts hat er wohl nicht. Seine Willenskraft hat ihn zunächst zu großer
Aneignungsfähigkeit gebracht, und dazu ward ihm in der Werkstatt Pilotys
reiche Gelegenheit. Dort hat er erst malen lernen, obwohl er zuvor in Paris
gewesen war, und wenn jemand behaupten sollte, daß die Bilder, die Defregger
unter der frischen Einwirkung Pilotys gemalt hat, als rein koloristische
Leistungen betrachtet von seinen spätern Werken nicht übertroffen werden,
jedenfalls die frischesten und anziehendsten sind, so wird sich schwerlich dagegen
etwas einwenden lassen. Auf der Berliner Ausstellung sind das Speckbacher¬
bild und der 1872 gemalte Ball auf der Alm mit dem alten Sennhirten, der
mit einer jungen Almerin den Tanz eröffnet, sprechende Belege dafür. Dann
kam für Defregger eine Zeit schweren Siechtums, in der ihm wohl wieder ver¬
loren ging, was er bei Piloty gelernt hatte. Als er wieder zu malen anfing,
war er ein andrer geworden, als Maler viel weniger farbig, als es bei Piloty
üblich gewesen war, in der Technik auch wohl trockner und schwerfälliger, aber
er war doch etwas Besondres geworden, eine künstlerische Persönlichkeit, die
mit ihren Kräften und Schwächen etwas bedeutete.

Das rein Malerische im engern Sinne des Worts, wenn auch nicht im
Sinne der Modernen, hat er trotzdem immer gepflegt, bis in die neuste Zeit
hinein. Davon zeugen die schon erwähnten Naturstudien, die, soweit das auf
unsrer Ausstellung gebotne Material in Betracht kommt, den Zeitraum von
1868 bis 1890 umfassen. Es sind Ansichten von engen Gassen und abge¬
legnen Winkeln in den kleinen Städten und Dörfern Tirols, gelegentlich auch
der Schweiz, von vereinzelten Gehöften und Bauernhäusern, von Senn- und
Holzfällerhütten, besonders aber von Innenräumen, von den Wohn-, Arbeits¬
und Vorratsgelassen in tirolischen Bauernhäusern, in denen sich oft eine er¬
staunliche Fülle von malerischen Motiven auf einen engen Raum zusammen¬
drängt, wenn man all das darin aufgehäufte Gerät und Gerümpel nur bei
richtiger Beleuchtung betrachtet. Und gerade in der Erfassung solcher frucht¬
baren Augenblicke hat Defregger einen hervorragend malerischen Sinn bewährt.
Unter seinen Jnnenranmstndien sind einige, die man getrost neben die Bilder
der besten Niederländer — wir denken dabei besonders an Adriaan van Ostade
und die ihm verwandten Bauernmaler — stellen kann. Auch sonst bietet
Defregger manche Vergleichspunkte mit Adriaen van Ostade, der doch gewiß
zu den besten Malern im eigentlichen Sinne des Worts gehört. Der Holländer
hat einen ganz ähnlichen Entwicklungsgang durchgemacht, der gewöhnlich in
drei Perioden geschieden wird. In der ersten trat ganz wie bei Defregger das
rein Malerische in den Vordergrund. Dann hatte er mehr seine Freude um
dein bunten Spiel der Lokalfarben, aber immer noch mit starker Betonung des
Helldunkels wie der scharfen Gegensätze zwischen Licht und Schatten, und zu¬
letzt ist sein Kolorit kalt und hart, bisweilen auch flau geworden. Man er¬
klärt solche Wandlungen gewöhnlich aus dem Einfluß des Alters. Das klingt
sehr wahrscheinlich; man hat aber keineswegs die Gewißheit, ob man damit
das Richtige getroffen hat. Einer solchen Wandlung kann auch ebenso gut


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[0514] Defregger in Berlin Worts hat er wohl nicht. Seine Willenskraft hat ihn zunächst zu großer Aneignungsfähigkeit gebracht, und dazu ward ihm in der Werkstatt Pilotys reiche Gelegenheit. Dort hat er erst malen lernen, obwohl er zuvor in Paris gewesen war, und wenn jemand behaupten sollte, daß die Bilder, die Defregger unter der frischen Einwirkung Pilotys gemalt hat, als rein koloristische Leistungen betrachtet von seinen spätern Werken nicht übertroffen werden, jedenfalls die frischesten und anziehendsten sind, so wird sich schwerlich dagegen etwas einwenden lassen. Auf der Berliner Ausstellung sind das Speckbacher¬ bild und der 1872 gemalte Ball auf der Alm mit dem alten Sennhirten, der mit einer jungen Almerin den Tanz eröffnet, sprechende Belege dafür. Dann kam für Defregger eine Zeit schweren Siechtums, in der ihm wohl wieder ver¬ loren ging, was er bei Piloty gelernt hatte. Als er wieder zu malen anfing, war er ein andrer geworden, als Maler viel weniger farbig, als es bei Piloty üblich gewesen war, in der Technik auch wohl trockner und schwerfälliger, aber er war doch etwas Besondres geworden, eine künstlerische Persönlichkeit, die mit ihren Kräften und Schwächen etwas bedeutete. Das rein Malerische im engern Sinne des Worts, wenn auch nicht im Sinne der Modernen, hat er trotzdem immer gepflegt, bis in die neuste Zeit hinein. Davon zeugen die schon erwähnten Naturstudien, die, soweit das auf unsrer Ausstellung gebotne Material in Betracht kommt, den Zeitraum von 1868 bis 1890 umfassen. Es sind Ansichten von engen Gassen und abge¬ legnen Winkeln in den kleinen Städten und Dörfern Tirols, gelegentlich auch der Schweiz, von vereinzelten Gehöften und Bauernhäusern, von Senn- und Holzfällerhütten, besonders aber von Innenräumen, von den Wohn-, Arbeits¬ und Vorratsgelassen in tirolischen Bauernhäusern, in denen sich oft eine er¬ staunliche Fülle von malerischen Motiven auf einen engen Raum zusammen¬ drängt, wenn man all das darin aufgehäufte Gerät und Gerümpel nur bei richtiger Beleuchtung betrachtet. Und gerade in der Erfassung solcher frucht¬ baren Augenblicke hat Defregger einen hervorragend malerischen Sinn bewährt. Unter seinen Jnnenranmstndien sind einige, die man getrost neben die Bilder der besten Niederländer — wir denken dabei besonders an Adriaan van Ostade und die ihm verwandten Bauernmaler — stellen kann. Auch sonst bietet Defregger manche Vergleichspunkte mit Adriaen van Ostade, der doch gewiß zu den besten Malern im eigentlichen Sinne des Worts gehört. Der Holländer hat einen ganz ähnlichen Entwicklungsgang durchgemacht, der gewöhnlich in drei Perioden geschieden wird. In der ersten trat ganz wie bei Defregger das rein Malerische in den Vordergrund. Dann hatte er mehr seine Freude um dein bunten Spiel der Lokalfarben, aber immer noch mit starker Betonung des Helldunkels wie der scharfen Gegensätze zwischen Licht und Schatten, und zu¬ letzt ist sein Kolorit kalt und hart, bisweilen auch flau geworden. Man er¬ klärt solche Wandlungen gewöhnlich aus dem Einfluß des Alters. Das klingt sehr wahrscheinlich; man hat aber keineswegs die Gewißheit, ob man damit das Richtige getroffen hat. Einer solchen Wandlung kann auch ebenso gut

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/514>, abgerufen am 26.06.2024.