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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Defregger in Berlin

Photographien nach seinen Werken geschehn ist. Seitdem sind die kunten
Bilder aus der Tiroler Frcmdenindustrie verschwunden, ohne daß der Volks¬
tümlichkeit des Künstlers dadurch Abbruch gethan worden wäre.

Die Mehrzahl der Bilder Defreggers ist in Norddeutschland. Das ergiebt
sich schon aus einer Durchsicht des Katalogs der Berliner Ausstellung. Freilich
ist es nicht möglich gewesen, sämtliche Bilder Defreggers herbeizuschaffen, nicht
einmal in den photographischen Nachbildungen, die zur Ergänzung des Gesamt¬
bildes seiner künstlerischen Persönlichkeit herangezogen worden sind. Ein nicht
geringer Teil seiner Bilder ist nach Amerika gegangen oder hat sich im Kunst¬
handel zerstreut, ohne daß noch Spuren davon aufzufinden find. Aber die
Photographien hätten vollständiger sein müssen. Es ist z. B. nicht verstündlich,
warum die beiden religiösen Bilder des Künstlers, das für die Kirche in
Dölsnch, seiner Heimatgemeinde, gemalte Altarbild und die 1886 gemalte, auf
Wolken zum Himmel schwebende Madonna, von den Veranstaltern der Aus¬
stellung nicht berücksichtigt worden sind.

Eine Entschädigung dafür bieten die zahlreichen, in Öl gemalten Natur-
studien, die hier zum erstenmale dem Publikum gezeigt werden. In Nach¬
bildungen waren sie zum größten Teile schon früher bekannt geworden. Aber
ihr Hnnptreiz liegt nicht im Stofflichen, sondern im Malwerk, und gerade da¬
durch widerlegen sie schlagend die Meinung derer, die behaupten, daß Defregger
eigentlich nur ein unterhaltender Anekdotenerzähler und ein geschickter Kostüm-
zeichner, aber kein Maler im modernen Sinne des Wortes sei. Es sind dieselben
Leute, die auch Nafsael als Maler nicht mehr gelten lassen wollen, weil er
nicht schon Ä la Rembrandt gemalt hat. Auch Defregger besteht vor der
Kritik der Modernen nicht, wenn man das Maß des Nembrandtstils an¬
legt, obwohl er sich sehr eifrig der Helldnnkelmalcrei beflissen hat. Er hat sie
nnr in seiner schlichten Weise aufgefaßt, in der Absicht, daß der Beschauer
auch im Helldunkel etwas sehen soll. Wenn man ihn durchaus an den Höchsten
messen, also anch mit Rembrandt vergleichen will, wird er als der Kleinere,
aber auch als der Bedächtigere erscheinen. Trotz der intensiven Nembrandt-
forschung der beideu letzten Jahrzehnte wissen wir über die letzten koloristischen
Absichten Rembrandts eigentlich nur sehr wenig. Denn die Hauptwerke aus
der zweiten Hälfte seines Schaffens haben durch die mangelhafte Beschaffen¬
heit seiner Malmittel, vielleicht auch durch seine Experimentiersucht im Laufe
von zweiundeinhalb Jahrhunderten so starke Veränderungen erlitten, daß man
sich hüten sollte, daraus künstlerische Absichten herzuleiten. Was sich dem
forschenden Auge als bedeutsame Neuerung darstellt, ist vielleicht nur das Er¬
zeugnis eines chemischen Prozesses, der ebensowohl durch die Zusammensetzung
und die Behandlung der Farben wie durch die Einwirkung des Lichts, der
Trockenheit oder der Feuchtigkeit hervorgerufen sein kann. Das Entscheidende
bei Rembrandt wie bei allen Künstlern ist doch nicht der Grad seines Hand¬
werks, sondern der seiner geistigen Begabung. Das Handwerk haben erst die
Vertreter der modernen Kunstlehre, die mit den modernen Künstlern den


Defregger in Berlin

Photographien nach seinen Werken geschehn ist. Seitdem sind die kunten
Bilder aus der Tiroler Frcmdenindustrie verschwunden, ohne daß der Volks¬
tümlichkeit des Künstlers dadurch Abbruch gethan worden wäre.

Die Mehrzahl der Bilder Defreggers ist in Norddeutschland. Das ergiebt
sich schon aus einer Durchsicht des Katalogs der Berliner Ausstellung. Freilich
ist es nicht möglich gewesen, sämtliche Bilder Defreggers herbeizuschaffen, nicht
einmal in den photographischen Nachbildungen, die zur Ergänzung des Gesamt¬
bildes seiner künstlerischen Persönlichkeit herangezogen worden sind. Ein nicht
geringer Teil seiner Bilder ist nach Amerika gegangen oder hat sich im Kunst¬
handel zerstreut, ohne daß noch Spuren davon aufzufinden find. Aber die
Photographien hätten vollständiger sein müssen. Es ist z. B. nicht verstündlich,
warum die beiden religiösen Bilder des Künstlers, das für die Kirche in
Dölsnch, seiner Heimatgemeinde, gemalte Altarbild und die 1886 gemalte, auf
Wolken zum Himmel schwebende Madonna, von den Veranstaltern der Aus¬
stellung nicht berücksichtigt worden sind.

Eine Entschädigung dafür bieten die zahlreichen, in Öl gemalten Natur-
studien, die hier zum erstenmale dem Publikum gezeigt werden. In Nach¬
bildungen waren sie zum größten Teile schon früher bekannt geworden. Aber
ihr Hnnptreiz liegt nicht im Stofflichen, sondern im Malwerk, und gerade da¬
durch widerlegen sie schlagend die Meinung derer, die behaupten, daß Defregger
eigentlich nur ein unterhaltender Anekdotenerzähler und ein geschickter Kostüm-
zeichner, aber kein Maler im modernen Sinne des Wortes sei. Es sind dieselben
Leute, die auch Nafsael als Maler nicht mehr gelten lassen wollen, weil er
nicht schon Ä la Rembrandt gemalt hat. Auch Defregger besteht vor der
Kritik der Modernen nicht, wenn man das Maß des Nembrandtstils an¬
legt, obwohl er sich sehr eifrig der Helldnnkelmalcrei beflissen hat. Er hat sie
nnr in seiner schlichten Weise aufgefaßt, in der Absicht, daß der Beschauer
auch im Helldunkel etwas sehen soll. Wenn man ihn durchaus an den Höchsten
messen, also anch mit Rembrandt vergleichen will, wird er als der Kleinere,
aber auch als der Bedächtigere erscheinen. Trotz der intensiven Nembrandt-
forschung der beideu letzten Jahrzehnte wissen wir über die letzten koloristischen
Absichten Rembrandts eigentlich nur sehr wenig. Denn die Hauptwerke aus
der zweiten Hälfte seines Schaffens haben durch die mangelhafte Beschaffen¬
heit seiner Malmittel, vielleicht auch durch seine Experimentiersucht im Laufe
von zweiundeinhalb Jahrhunderten so starke Veränderungen erlitten, daß man
sich hüten sollte, daraus künstlerische Absichten herzuleiten. Was sich dem
forschenden Auge als bedeutsame Neuerung darstellt, ist vielleicht nur das Er¬
zeugnis eines chemischen Prozesses, der ebensowohl durch die Zusammensetzung
und die Behandlung der Farben wie durch die Einwirkung des Lichts, der
Trockenheit oder der Feuchtigkeit hervorgerufen sein kann. Das Entscheidende
bei Rembrandt wie bei allen Künstlern ist doch nicht der Grad seines Hand¬
werks, sondern der seiner geistigen Begabung. Das Handwerk haben erst die
Vertreter der modernen Kunstlehre, die mit den modernen Künstlern den


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[0512] Defregger in Berlin Photographien nach seinen Werken geschehn ist. Seitdem sind die kunten Bilder aus der Tiroler Frcmdenindustrie verschwunden, ohne daß der Volks¬ tümlichkeit des Künstlers dadurch Abbruch gethan worden wäre. Die Mehrzahl der Bilder Defreggers ist in Norddeutschland. Das ergiebt sich schon aus einer Durchsicht des Katalogs der Berliner Ausstellung. Freilich ist es nicht möglich gewesen, sämtliche Bilder Defreggers herbeizuschaffen, nicht einmal in den photographischen Nachbildungen, die zur Ergänzung des Gesamt¬ bildes seiner künstlerischen Persönlichkeit herangezogen worden sind. Ein nicht geringer Teil seiner Bilder ist nach Amerika gegangen oder hat sich im Kunst¬ handel zerstreut, ohne daß noch Spuren davon aufzufinden find. Aber die Photographien hätten vollständiger sein müssen. Es ist z. B. nicht verstündlich, warum die beiden religiösen Bilder des Künstlers, das für die Kirche in Dölsnch, seiner Heimatgemeinde, gemalte Altarbild und die 1886 gemalte, auf Wolken zum Himmel schwebende Madonna, von den Veranstaltern der Aus¬ stellung nicht berücksichtigt worden sind. Eine Entschädigung dafür bieten die zahlreichen, in Öl gemalten Natur- studien, die hier zum erstenmale dem Publikum gezeigt werden. In Nach¬ bildungen waren sie zum größten Teile schon früher bekannt geworden. Aber ihr Hnnptreiz liegt nicht im Stofflichen, sondern im Malwerk, und gerade da¬ durch widerlegen sie schlagend die Meinung derer, die behaupten, daß Defregger eigentlich nur ein unterhaltender Anekdotenerzähler und ein geschickter Kostüm- zeichner, aber kein Maler im modernen Sinne des Wortes sei. Es sind dieselben Leute, die auch Nafsael als Maler nicht mehr gelten lassen wollen, weil er nicht schon Ä la Rembrandt gemalt hat. Auch Defregger besteht vor der Kritik der Modernen nicht, wenn man das Maß des Nembrandtstils an¬ legt, obwohl er sich sehr eifrig der Helldnnkelmalcrei beflissen hat. Er hat sie nnr in seiner schlichten Weise aufgefaßt, in der Absicht, daß der Beschauer auch im Helldunkel etwas sehen soll. Wenn man ihn durchaus an den Höchsten messen, also anch mit Rembrandt vergleichen will, wird er als der Kleinere, aber auch als der Bedächtigere erscheinen. Trotz der intensiven Nembrandt- forschung der beideu letzten Jahrzehnte wissen wir über die letzten koloristischen Absichten Rembrandts eigentlich nur sehr wenig. Denn die Hauptwerke aus der zweiten Hälfte seines Schaffens haben durch die mangelhafte Beschaffen¬ heit seiner Malmittel, vielleicht auch durch seine Experimentiersucht im Laufe von zweiundeinhalb Jahrhunderten so starke Veränderungen erlitten, daß man sich hüten sollte, daraus künstlerische Absichten herzuleiten. Was sich dem forschenden Auge als bedeutsame Neuerung darstellt, ist vielleicht nur das Er¬ zeugnis eines chemischen Prozesses, der ebensowohl durch die Zusammensetzung und die Behandlung der Farben wie durch die Einwirkung des Lichts, der Trockenheit oder der Feuchtigkeit hervorgerufen sein kann. Das Entscheidende bei Rembrandt wie bei allen Künstlern ist doch nicht der Grad seines Hand¬ werks, sondern der seiner geistigen Begabung. Das Handwerk haben erst die Vertreter der modernen Kunstlehre, die mit den modernen Künstlern den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/512>, abgerufen am 29.06.2024.