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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Reformgedanken und Reformanscitze im heutigen Italien

sich in seinem wilden Sinne Gedanken des Mordes entwickeln mußten! Und
Margherita von Savoyen, Italiens guter Stern, die beste aller Frauen, die
freundlichste aller Königinnen, die schönste und lieblichste aller italienischen
Blumen, ist eine arme Witwe." Eine florentinische Zeitung schrieb aus der¬
selben Empfindung heraus: "Humbert, unser vielgeliebter König, ist nicht
mehr; das Blei eines Jtalieners hat ihn hinweggerafft, seine großen, schönen,
strengen und doch gütigen Augen haben sich für immer geschlossen. Wird er
seinem Volke verziehen haben? Ja -- er wußte, wie sehr ihn das Volk liebte,
er wußte, daß die Herzen seiner Unterthanen für ihn warm schlugen, er wußte,
daß viele seiner Italiener für ihn gern ihr Leben hingegeben hätten. Und
statt dessen hat ihm ein Mörder sein eignes kostbares Leben genommen und
hat dem Vaterlande den König und zugleich die Ehre geraubt."

Freilich bewies ja gerade die Unthat, welche finstern, zerstörenden Mächte
in der Seele dieses Volks arbeiten. Aber auch abgesehen von dem internatio¬
nalen Anarchismus, der neapolitanischen Camorra und der sizilianischen Maffia
giebt es sehr rührige antimonarchische Parteien. Da, wie gesagt, der politische
Idealismus der Italiener lange eine ausgesprochen republikanische Färbung,
getragen hat, so war auch die nationale Bewegung lange Zeit republikanisch.
Deshalb ist die italienische Einheit ebensogut ans der Arbeit dieser Richtung
wie aus den Thaten des piemontesischen Königtums herausgewachsen, und ist
die republikanische Gesinnung noch heute eine um so beachteuswertere Macht im
Lande, als sie die Thaten der nationalen Wiedergeburt zum guten Teile für
sich in Anspruch nehmen kann und in Garibaldi den volkstümlichsten Helden
des modernen Italiens hat. Sie ist durch große Blätter wie die römische
Jola und die Revue I/ecwogsicms xolitiog. vertreten, sie gründet immer neue
Vereine mit offner republikanischer Tendenz, zuweilen in Anlehnung an die
Garibaldischen Erinnerungen, wie die 8cxzi(M cisnioorgtieg. VolcmtgU Ag-ridgläiui
LoloAUösi, oder die ^ssovi^iolis rspubbliogug. ^.ursllv in Pisa; sie feiert
ihre Helden an den Erinnerungstagen, wie die Itglm dem Garibaldischen Haupt-
mnnn Rafsaele Stagni, der im Oktober vorigen Jahres in San Marino starb,
als einem überzeugten republikanischen Idealisten eine ausführliche Lebensskizze
widmete, oder wie Edmondo de Amicis, einer der bedeutendsten lebenden Schrift¬
steller Italiens, einen Typus des alten Garibaldiners, der, an der Verwirk¬
lichung seiner Ideale in der Heimat verzweifelnd, nach Südamerika auswandert,
in seinem prächtigen Buche Luli' 0o6g.no schildert. Der Tag von Mendana
(3. November 1867) wurde ganz besonders von republikanischer Seite festlich
begangen, und an das Gefecht von Villa Glori bei Rom am 23. Oktober
desselben Jahres, das die Erhebung gegen die päpstliche Herrschaft ein¬
leiten sollte, erinnerte die keineswegs republikanische, obwohl damals oppo¬
sitionelle römische ^ridung. in einem ausführlichen Artikel über den Heldentod
des Enrico Cairoli, dessen ganz realistisches Denkmal heute den Monte Pincio
ziert, zur Mahnung in ciussti tsrripi riet ciug.1t o^ni iäogMg, xg.ro morta. Be¬
kanntlich hat das Haus Savoyen Garibaldi als Nationalhelden bereitwillig


Reformgedanken und Reformanscitze im heutigen Italien

sich in seinem wilden Sinne Gedanken des Mordes entwickeln mußten! Und
Margherita von Savoyen, Italiens guter Stern, die beste aller Frauen, die
freundlichste aller Königinnen, die schönste und lieblichste aller italienischen
Blumen, ist eine arme Witwe." Eine florentinische Zeitung schrieb aus der¬
selben Empfindung heraus: „Humbert, unser vielgeliebter König, ist nicht
mehr; das Blei eines Jtalieners hat ihn hinweggerafft, seine großen, schönen,
strengen und doch gütigen Augen haben sich für immer geschlossen. Wird er
seinem Volke verziehen haben? Ja — er wußte, wie sehr ihn das Volk liebte,
er wußte, daß die Herzen seiner Unterthanen für ihn warm schlugen, er wußte,
daß viele seiner Italiener für ihn gern ihr Leben hingegeben hätten. Und
statt dessen hat ihm ein Mörder sein eignes kostbares Leben genommen und
hat dem Vaterlande den König und zugleich die Ehre geraubt."

Freilich bewies ja gerade die Unthat, welche finstern, zerstörenden Mächte
in der Seele dieses Volks arbeiten. Aber auch abgesehen von dem internatio¬
nalen Anarchismus, der neapolitanischen Camorra und der sizilianischen Maffia
giebt es sehr rührige antimonarchische Parteien. Da, wie gesagt, der politische
Idealismus der Italiener lange eine ausgesprochen republikanische Färbung,
getragen hat, so war auch die nationale Bewegung lange Zeit republikanisch.
Deshalb ist die italienische Einheit ebensogut ans der Arbeit dieser Richtung
wie aus den Thaten des piemontesischen Königtums herausgewachsen, und ist
die republikanische Gesinnung noch heute eine um so beachteuswertere Macht im
Lande, als sie die Thaten der nationalen Wiedergeburt zum guten Teile für
sich in Anspruch nehmen kann und in Garibaldi den volkstümlichsten Helden
des modernen Italiens hat. Sie ist durch große Blätter wie die römische
Jola und die Revue I/ecwogsicms xolitiog. vertreten, sie gründet immer neue
Vereine mit offner republikanischer Tendenz, zuweilen in Anlehnung an die
Garibaldischen Erinnerungen, wie die 8cxzi(M cisnioorgtieg. VolcmtgU Ag-ridgläiui
LoloAUösi, oder die ^ssovi^iolis rspubbliogug. ^.ursllv in Pisa; sie feiert
ihre Helden an den Erinnerungstagen, wie die Itglm dem Garibaldischen Haupt-
mnnn Rafsaele Stagni, der im Oktober vorigen Jahres in San Marino starb,
als einem überzeugten republikanischen Idealisten eine ausführliche Lebensskizze
widmete, oder wie Edmondo de Amicis, einer der bedeutendsten lebenden Schrift¬
steller Italiens, einen Typus des alten Garibaldiners, der, an der Verwirk¬
lichung seiner Ideale in der Heimat verzweifelnd, nach Südamerika auswandert,
in seinem prächtigen Buche Luli' 0o6g.no schildert. Der Tag von Mendana
(3. November 1867) wurde ganz besonders von republikanischer Seite festlich
begangen, und an das Gefecht von Villa Glori bei Rom am 23. Oktober
desselben Jahres, das die Erhebung gegen die päpstliche Herrschaft ein¬
leiten sollte, erinnerte die keineswegs republikanische, obwohl damals oppo¬
sitionelle römische ^ridung. in einem ausführlichen Artikel über den Heldentod
des Enrico Cairoli, dessen ganz realistisches Denkmal heute den Monte Pincio
ziert, zur Mahnung in ciussti tsrripi riet ciug.1t o^ni iäogMg, xg.ro morta. Be¬
kanntlich hat das Haus Savoyen Garibaldi als Nationalhelden bereitwillig


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/490>, abgerufen am 28.09.2024.