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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Reformgedanken und Reformansätze im heutigen Italien

hervorzurufen. Das sind gewiß Leistungen, die sich sehen lassen können, und
die zeigen, daß die Kraft der Nation nicht erstorben ist.

Auch scheint im wesentlichen die schwere Aufgabe gelöst zu sein, auf einem
von Revolutionen beständig unterwühlten Boden, in einem Volke, dessen
Idealismus im Altertum wie in der größten Zeit des Mittelalters republikanisch
gewesen ist, auf dem Grunde der Volkssouveränitüt und Volksabstimmung das
erbliche nationale Königtum eines Herrscherhauses zu errichten, das lange kaum
für italienisch galt und erst seit 1848/49 dnrch die Hochherzigkeit, mit der es
seine Krone an die Befreiung und Einigung Italiens setzte, das Vertrauen
der patriotischen Italiener gewonnen hat. Allerdings darf man bei den sehr
realistischen Italienern außerhalb Piemonts eine so urwüchsige dynastische
Gesinnung wie in Deutschland nicht voraussetzen, sie sehen in ihrem Königs¬
hause vor allem die Verkörperung ihrer nationalen Einheit; aber mindestens
in Ober- und Mittelitalien ist die Dynastie durchaus populär. Auch der Ge¬
burtstag der Königin Margherita (20. November) wurde allerorten mit Musik,
Illumination, Flaggenschmuck, schwungvollen Zeitungsartikeln und Schulfesten
gefeiert, und von zahllosen Korporationen liefen Huldigungsdepcschen im
Omirincil ein. I^A vel8tiÄ ^nucka sovrang, war bei allen diesen Kundgebungen
ein stehender Ausdruck, und das sei, so wurde mir in Florenz versichert,
durchaus ehrlich gemeint. Welchen Eindruck die Kunde von der Ermordung
König Hunderts machte, darüber mögen einige Stellen aus dem Briefe eines
jungen Florentiners belehren, der einige Jahre lang deutsche Bildung ge¬
nossen hatte und sich damals in einer Sommerfrische der toskanischen Apen¬
ninen aufhielt: "Ein Herr aus Florenz, der die Trauernachricht hierher
brachte, zitterte vor Wut und Schmerz, als er sie auf dem Bahnhofe meinem
Vater mitteilte. Der Mann am Billctschalter stützte seinen Kopf mit beiden
Händen und murmelte: "Unser König ist ermordet, unser armer König ist tot!"
Ein älterer Herr ging hastig hin und her, rang die Hände und schlug sich auf
die Stirn, Frauen schluchzten, junge Männer konnten die Thränen nicht zurück¬
halten, die Dienstmänner sahen sprachlos und starr vor sich hin, und sogar
der Bettler mit der Krücke klagte: "Ermordet durch einen Toskaner, der arme,
gute König!" Das Dorf war im höchsten Schmuck Wr ein Volksfestj, als
sich die Nachricht am Morgen verbreitete. Gleich nach Mittag waren alle
Fahnen mit Trauerflor versehen, die Jllnminatiousbogen heruntergenommen,
der Lanbschmuck heruntergerissen, und schwarz umrandete Mcmifesti klebten an
vielen Häusern." Wie der junge Briefschreiber selbst unter dem frischen Ein¬
drucke der Trauerkunde empfand, mag er auch noch selbst sagen: "Es muß
Italien sein, das nicht zurückschrickt, den eignen liebenden Vater zu töten, ihn,
der seine kranken Kinder tröstete, der den Armen half, die Zagenden ermutigte,
ihn, den Helden von Villafranca j186q! O, wir Italiener müssen beschämt
die Stirn beugen und Thränen des Schmerzes, Thränen der Wut weinen über
das eigne moralische Elend. Fluch über sein I^des Mörders Andenken, Fluch
über alle, die etwas dazu beitrugen, in ihm Gedanken zu erwecken, aus denen


Reformgedanken und Reformansätze im heutigen Italien

hervorzurufen. Das sind gewiß Leistungen, die sich sehen lassen können, und
die zeigen, daß die Kraft der Nation nicht erstorben ist.

Auch scheint im wesentlichen die schwere Aufgabe gelöst zu sein, auf einem
von Revolutionen beständig unterwühlten Boden, in einem Volke, dessen
Idealismus im Altertum wie in der größten Zeit des Mittelalters republikanisch
gewesen ist, auf dem Grunde der Volkssouveränitüt und Volksabstimmung das
erbliche nationale Königtum eines Herrscherhauses zu errichten, das lange kaum
für italienisch galt und erst seit 1848/49 dnrch die Hochherzigkeit, mit der es
seine Krone an die Befreiung und Einigung Italiens setzte, das Vertrauen
der patriotischen Italiener gewonnen hat. Allerdings darf man bei den sehr
realistischen Italienern außerhalb Piemonts eine so urwüchsige dynastische
Gesinnung wie in Deutschland nicht voraussetzen, sie sehen in ihrem Königs¬
hause vor allem die Verkörperung ihrer nationalen Einheit; aber mindestens
in Ober- und Mittelitalien ist die Dynastie durchaus populär. Auch der Ge¬
burtstag der Königin Margherita (20. November) wurde allerorten mit Musik,
Illumination, Flaggenschmuck, schwungvollen Zeitungsartikeln und Schulfesten
gefeiert, und von zahllosen Korporationen liefen Huldigungsdepcschen im
Omirincil ein. I^A vel8tiÄ ^nucka sovrang, war bei allen diesen Kundgebungen
ein stehender Ausdruck, und das sei, so wurde mir in Florenz versichert,
durchaus ehrlich gemeint. Welchen Eindruck die Kunde von der Ermordung
König Hunderts machte, darüber mögen einige Stellen aus dem Briefe eines
jungen Florentiners belehren, der einige Jahre lang deutsche Bildung ge¬
nossen hatte und sich damals in einer Sommerfrische der toskanischen Apen¬
ninen aufhielt: „Ein Herr aus Florenz, der die Trauernachricht hierher
brachte, zitterte vor Wut und Schmerz, als er sie auf dem Bahnhofe meinem
Vater mitteilte. Der Mann am Billctschalter stützte seinen Kopf mit beiden
Händen und murmelte: »Unser König ist ermordet, unser armer König ist tot!«
Ein älterer Herr ging hastig hin und her, rang die Hände und schlug sich auf
die Stirn, Frauen schluchzten, junge Männer konnten die Thränen nicht zurück¬
halten, die Dienstmänner sahen sprachlos und starr vor sich hin, und sogar
der Bettler mit der Krücke klagte: »Ermordet durch einen Toskaner, der arme,
gute König!« Das Dorf war im höchsten Schmuck Wr ein Volksfestj, als
sich die Nachricht am Morgen verbreitete. Gleich nach Mittag waren alle
Fahnen mit Trauerflor versehen, die Jllnminatiousbogen heruntergenommen,
der Lanbschmuck heruntergerissen, und schwarz umrandete Mcmifesti klebten an
vielen Häusern." Wie der junge Briefschreiber selbst unter dem frischen Ein¬
drucke der Trauerkunde empfand, mag er auch noch selbst sagen: „Es muß
Italien sein, das nicht zurückschrickt, den eignen liebenden Vater zu töten, ihn,
der seine kranken Kinder tröstete, der den Armen half, die Zagenden ermutigte,
ihn, den Helden von Villafranca j186q! O, wir Italiener müssen beschämt
die Stirn beugen und Thränen des Schmerzes, Thränen der Wut weinen über
das eigne moralische Elend. Fluch über sein I^des Mörders Andenken, Fluch
über alle, die etwas dazu beitrugen, in ihm Gedanken zu erwecken, aus denen


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[0489] Reformgedanken und Reformansätze im heutigen Italien hervorzurufen. Das sind gewiß Leistungen, die sich sehen lassen können, und die zeigen, daß die Kraft der Nation nicht erstorben ist. Auch scheint im wesentlichen die schwere Aufgabe gelöst zu sein, auf einem von Revolutionen beständig unterwühlten Boden, in einem Volke, dessen Idealismus im Altertum wie in der größten Zeit des Mittelalters republikanisch gewesen ist, auf dem Grunde der Volkssouveränitüt und Volksabstimmung das erbliche nationale Königtum eines Herrscherhauses zu errichten, das lange kaum für italienisch galt und erst seit 1848/49 dnrch die Hochherzigkeit, mit der es seine Krone an die Befreiung und Einigung Italiens setzte, das Vertrauen der patriotischen Italiener gewonnen hat. Allerdings darf man bei den sehr realistischen Italienern außerhalb Piemonts eine so urwüchsige dynastische Gesinnung wie in Deutschland nicht voraussetzen, sie sehen in ihrem Königs¬ hause vor allem die Verkörperung ihrer nationalen Einheit; aber mindestens in Ober- und Mittelitalien ist die Dynastie durchaus populär. Auch der Ge¬ burtstag der Königin Margherita (20. November) wurde allerorten mit Musik, Illumination, Flaggenschmuck, schwungvollen Zeitungsartikeln und Schulfesten gefeiert, und von zahllosen Korporationen liefen Huldigungsdepcschen im Omirincil ein. I^A vel8tiÄ ^nucka sovrang, war bei allen diesen Kundgebungen ein stehender Ausdruck, und das sei, so wurde mir in Florenz versichert, durchaus ehrlich gemeint. Welchen Eindruck die Kunde von der Ermordung König Hunderts machte, darüber mögen einige Stellen aus dem Briefe eines jungen Florentiners belehren, der einige Jahre lang deutsche Bildung ge¬ nossen hatte und sich damals in einer Sommerfrische der toskanischen Apen¬ ninen aufhielt: „Ein Herr aus Florenz, der die Trauernachricht hierher brachte, zitterte vor Wut und Schmerz, als er sie auf dem Bahnhofe meinem Vater mitteilte. Der Mann am Billctschalter stützte seinen Kopf mit beiden Händen und murmelte: »Unser König ist ermordet, unser armer König ist tot!« Ein älterer Herr ging hastig hin und her, rang die Hände und schlug sich auf die Stirn, Frauen schluchzten, junge Männer konnten die Thränen nicht zurück¬ halten, die Dienstmänner sahen sprachlos und starr vor sich hin, und sogar der Bettler mit der Krücke klagte: »Ermordet durch einen Toskaner, der arme, gute König!« Das Dorf war im höchsten Schmuck Wr ein Volksfestj, als sich die Nachricht am Morgen verbreitete. Gleich nach Mittag waren alle Fahnen mit Trauerflor versehen, die Jllnminatiousbogen heruntergenommen, der Lanbschmuck heruntergerissen, und schwarz umrandete Mcmifesti klebten an vielen Häusern." Wie der junge Briefschreiber selbst unter dem frischen Ein¬ drucke der Trauerkunde empfand, mag er auch noch selbst sagen: „Es muß Italien sein, das nicht zurückschrickt, den eignen liebenden Vater zu töten, ihn, der seine kranken Kinder tröstete, der den Armen half, die Zagenden ermutigte, ihn, den Helden von Villafranca j186q! O, wir Italiener müssen beschämt die Stirn beugen und Thränen des Schmerzes, Thränen der Wut weinen über das eigne moralische Elend. Fluch über sein I^des Mörders Andenken, Fluch über alle, die etwas dazu beitrugen, in ihm Gedanken zu erwecken, aus denen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/489>, abgerufen am 26.06.2024.