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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Reichskanzler und Reichstag

Wir würden uns auch hüten, in China die Geschäfte andrer zu besorgen, für
irgend eine Macht deu Blitzableiter zu spielen: "Wir werden den Teufel thun,
es so zu machen, wie die Franzosen in Mexiko oder die Italiener in Abessynien!
Weder in militärischer noch in diplomatischer Beziehung werden wir uns ein¬
lassen auf Sonderaktionen, die im Widerspruch stehn würden mit dem von uns
von Anfang an aufgestellten Prinzip des Zusammengehns der Mächte, oder
die uns gar auf den Jsolierschemel bringen könnten. Wir werden die deutsche
Macht immer nur dann und immer nnr so weit einsetzen, als dies deutschen
Interessen entspricht und für die Wohlfahrt des Deutschen Reichs förderlich ist/'

Was aus dem Reichstag heraus von angeblicher öffentlicher Meinung
diesen im erkennbaren Bewußtsein der höchsten Verantwortung und in schlichter,
unanfechtbarer Überlegenheit vom Kanzler abgegebnen Erklärungen entgegen¬
gestellt wurde, fiel so sehr ab, daß sich sicher nicht einmal alle Sozialdemokraten
eines beschämenden Gefühls erwehrt haben können. Die Rede Bebels mit ihrer
geradezu kindischen Übertreibung in der Parteinahme für die Chinesen muß
unter allen Umständen von den gebildeten Männern seiner Fraktion als
Blamage empfunden worden sein und die Herren davon überzeugt haben, daß
es fortan den verbündeten Regierungen gegenüber doch nicht mehr angeht, die
alte krasse UnWahrhaftigkeit und Halbbildung ins Treffen zu schicken. Die
Würde des Reichstags gegenüber diesem Treiben zu wahren, dafür hat Herr
von Levetzow dankenswerterweise die rechten Worte gefunden.

Je mehr der Reichstag die Notwendigkeit einsah, in der chinesischen
Politik die Waffen zu strecken, umso mehr wurde die innerpolitische Frage der
verspäteten Einberufung aufgebauscht, die -- von den Extravaganzen der
extremen Linken ganz abzusehen -- der Zentrumssprecher Dr. Lieber als eine
"Verfassungsverletzung" und als eine "schwere Mißachtung des Reichstags"
bezeichnete.

Der Reichskanzler hatte sich von vornherein offen und ohne jede Ein¬
schränkung auf den Boden der Thatsachen und der formell unbestreitbaren
Rechtslage gestellt und an den Reichstag das Ersuchen gerichtet, "für die
Ausgaben, für die die Zustimmung des Reichstags noch nicht eingeholt worden
ist, durch nachträgliche Genehmigung Indemnität zu erteilen." Er erklärte
ausdrücklich, daß ihm nichts ferner liege, als das "verfassungsmäßige und von
niemand bestrittne Recht des Reichstags zu beeinträchtigen, daß für alle Aus¬
gaben die Zustimmung des Reichstags in der Form einer Etatsfvrderung ein¬
zuholen ist, und zwar, wo dies nur immer möglich ist, im voraus." Von keiner
ernsthaft zu nehmenden Seite ist bisher behauptet worden, daß die Negierung
bei plötzlich eintretender Notwendigkeit nicht das Recht und auch die Pflicht
habe, Ausgaben zu machen, und dann erst nachträglich die Genehmigung
des Reichstags dafür einzuholen. Es wäre auch Unsinn, das zu verlangen,
und würde eine sofortige unzweideutige Deklaration der Reichsverfassung un¬
abweisbar machen. Thatsächlich beschränkt sich der von or. Lieber erhobne
Vorwurf auf die angebliche verspätete Einholung der nachträglichen Geneh-
"


Grenzbotm IV 1900 S4
Reichskanzler und Reichstag

Wir würden uns auch hüten, in China die Geschäfte andrer zu besorgen, für
irgend eine Macht deu Blitzableiter zu spielen: „Wir werden den Teufel thun,
es so zu machen, wie die Franzosen in Mexiko oder die Italiener in Abessynien!
Weder in militärischer noch in diplomatischer Beziehung werden wir uns ein¬
lassen auf Sonderaktionen, die im Widerspruch stehn würden mit dem von uns
von Anfang an aufgestellten Prinzip des Zusammengehns der Mächte, oder
die uns gar auf den Jsolierschemel bringen könnten. Wir werden die deutsche
Macht immer nur dann und immer nnr so weit einsetzen, als dies deutschen
Interessen entspricht und für die Wohlfahrt des Deutschen Reichs förderlich ist/'

Was aus dem Reichstag heraus von angeblicher öffentlicher Meinung
diesen im erkennbaren Bewußtsein der höchsten Verantwortung und in schlichter,
unanfechtbarer Überlegenheit vom Kanzler abgegebnen Erklärungen entgegen¬
gestellt wurde, fiel so sehr ab, daß sich sicher nicht einmal alle Sozialdemokraten
eines beschämenden Gefühls erwehrt haben können. Die Rede Bebels mit ihrer
geradezu kindischen Übertreibung in der Parteinahme für die Chinesen muß
unter allen Umständen von den gebildeten Männern seiner Fraktion als
Blamage empfunden worden sein und die Herren davon überzeugt haben, daß
es fortan den verbündeten Regierungen gegenüber doch nicht mehr angeht, die
alte krasse UnWahrhaftigkeit und Halbbildung ins Treffen zu schicken. Die
Würde des Reichstags gegenüber diesem Treiben zu wahren, dafür hat Herr
von Levetzow dankenswerterweise die rechten Worte gefunden.

Je mehr der Reichstag die Notwendigkeit einsah, in der chinesischen
Politik die Waffen zu strecken, umso mehr wurde die innerpolitische Frage der
verspäteten Einberufung aufgebauscht, die — von den Extravaganzen der
extremen Linken ganz abzusehen — der Zentrumssprecher Dr. Lieber als eine
„Verfassungsverletzung" und als eine „schwere Mißachtung des Reichstags"
bezeichnete.

Der Reichskanzler hatte sich von vornherein offen und ohne jede Ein¬
schränkung auf den Boden der Thatsachen und der formell unbestreitbaren
Rechtslage gestellt und an den Reichstag das Ersuchen gerichtet, „für die
Ausgaben, für die die Zustimmung des Reichstags noch nicht eingeholt worden
ist, durch nachträgliche Genehmigung Indemnität zu erteilen." Er erklärte
ausdrücklich, daß ihm nichts ferner liege, als das „verfassungsmäßige und von
niemand bestrittne Recht des Reichstags zu beeinträchtigen, daß für alle Aus¬
gaben die Zustimmung des Reichstags in der Form einer Etatsfvrderung ein¬
zuholen ist, und zwar, wo dies nur immer möglich ist, im voraus." Von keiner
ernsthaft zu nehmenden Seite ist bisher behauptet worden, daß die Negierung
bei plötzlich eintretender Notwendigkeit nicht das Recht und auch die Pflicht
habe, Ausgaben zu machen, und dann erst nachträglich die Genehmigung
des Reichstags dafür einzuholen. Es wäre auch Unsinn, das zu verlangen,
und würde eine sofortige unzweideutige Deklaration der Reichsverfassung un¬
abweisbar machen. Thatsächlich beschränkt sich der von or. Lieber erhobne
Vorwurf auf die angebliche verspätete Einholung der nachträglichen Geneh-
"


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[0467] Reichskanzler und Reichstag Wir würden uns auch hüten, in China die Geschäfte andrer zu besorgen, für irgend eine Macht deu Blitzableiter zu spielen: „Wir werden den Teufel thun, es so zu machen, wie die Franzosen in Mexiko oder die Italiener in Abessynien! Weder in militärischer noch in diplomatischer Beziehung werden wir uns ein¬ lassen auf Sonderaktionen, die im Widerspruch stehn würden mit dem von uns von Anfang an aufgestellten Prinzip des Zusammengehns der Mächte, oder die uns gar auf den Jsolierschemel bringen könnten. Wir werden die deutsche Macht immer nur dann und immer nnr so weit einsetzen, als dies deutschen Interessen entspricht und für die Wohlfahrt des Deutschen Reichs förderlich ist/' Was aus dem Reichstag heraus von angeblicher öffentlicher Meinung diesen im erkennbaren Bewußtsein der höchsten Verantwortung und in schlichter, unanfechtbarer Überlegenheit vom Kanzler abgegebnen Erklärungen entgegen¬ gestellt wurde, fiel so sehr ab, daß sich sicher nicht einmal alle Sozialdemokraten eines beschämenden Gefühls erwehrt haben können. Die Rede Bebels mit ihrer geradezu kindischen Übertreibung in der Parteinahme für die Chinesen muß unter allen Umständen von den gebildeten Männern seiner Fraktion als Blamage empfunden worden sein und die Herren davon überzeugt haben, daß es fortan den verbündeten Regierungen gegenüber doch nicht mehr angeht, die alte krasse UnWahrhaftigkeit und Halbbildung ins Treffen zu schicken. Die Würde des Reichstags gegenüber diesem Treiben zu wahren, dafür hat Herr von Levetzow dankenswerterweise die rechten Worte gefunden. Je mehr der Reichstag die Notwendigkeit einsah, in der chinesischen Politik die Waffen zu strecken, umso mehr wurde die innerpolitische Frage der verspäteten Einberufung aufgebauscht, die — von den Extravaganzen der extremen Linken ganz abzusehen — der Zentrumssprecher Dr. Lieber als eine „Verfassungsverletzung" und als eine „schwere Mißachtung des Reichstags" bezeichnete. Der Reichskanzler hatte sich von vornherein offen und ohne jede Ein¬ schränkung auf den Boden der Thatsachen und der formell unbestreitbaren Rechtslage gestellt und an den Reichstag das Ersuchen gerichtet, „für die Ausgaben, für die die Zustimmung des Reichstags noch nicht eingeholt worden ist, durch nachträgliche Genehmigung Indemnität zu erteilen." Er erklärte ausdrücklich, daß ihm nichts ferner liege, als das „verfassungsmäßige und von niemand bestrittne Recht des Reichstags zu beeinträchtigen, daß für alle Aus¬ gaben die Zustimmung des Reichstags in der Form einer Etatsfvrderung ein¬ zuholen ist, und zwar, wo dies nur immer möglich ist, im voraus." Von keiner ernsthaft zu nehmenden Seite ist bisher behauptet worden, daß die Negierung bei plötzlich eintretender Notwendigkeit nicht das Recht und auch die Pflicht habe, Ausgaben zu machen, und dann erst nachträglich die Genehmigung des Reichstags dafür einzuholen. Es wäre auch Unsinn, das zu verlangen, und würde eine sofortige unzweideutige Deklaration der Reichsverfassung un¬ abweisbar machen. Thatsächlich beschränkt sich der von or. Lieber erhobne Vorwurf auf die angebliche verspätete Einholung der nachträglichen Geneh- " Grenzbotm IV 1900 S4

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/467>, abgerufen am 20.09.2024.