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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Reform des österreichisch.ungarischen Dualismus

lismus dar. Ob er in dieser Gestalt nicht eine Kette für Osterreich be¬
deutet, ist wohl der Frage wert. Daß durch die innere Reibung der beiden
Staaten die Großmachtstcllung der Monarchie nicht gefestigt werden kann, liegt
auf der Hand. Der Anschluß Rumäniens an den Dreibund wird nicht durch
die auf dem Wiener Ballplatze, sondern durch die in Ofen den uugarlüudischen
Rumänen gegenüber gemachte Politik verhindert. Daß der Deaksche Ausglcichs-
gedauke, wie er in seiner praktischen Durchführung in drei Jahrzehnten Gestalt
gewonnen hat, nicht aufrecht erhalten werden kann, ist aus der verhängnis¬
vollen Wirkung auf die innern Verhältnisse Österreichs klar geworden. Die
fortwährend künstlich gesteigerte Differenzierung der Interessen der beiden
Staaten mußte ja zu einer verderblichen Anwendung des Prinzips vivicis vt
imxer" geradezu verleiten. Der korrekte ehrliche Deakismus Koloman Szclls
mag wohl eine Besserung der Beziehungen zur Folge haben, aber auch seine
Kraft wird nicht ausreichen, wo sich in der staatsrechtlichen Konstruktion des
Verhältnisses nachweisbar so schwere organische Fehler herausgestellt haben.

Ob eine Heilung möglich ist, und nach welcher Richtung sie etwa versucht
werden könnte, darf nun wohl der Gegenstand eingehender Untersuchung sein.
Der Erbfehler des Dualismus liegt darin, daß er nicht das Ergebnis einer
Vereinbarung von Volk zu Volk, also der cisleithanischcn und der trausleitha-
nischen Völkergruppen ist, sondern sub titulo der historischen Rechte des König¬
reichs Ungarn vom subjektivsten Standpunkt des Magharentums durch dessen Ver¬
trauensmänner mit dem Träger der Se. Stephanskrone vereinbart worden ist.
Damit war von selbst der Keim zu künftigen Konflikten mit den im Reichs¬
rate vertretnen Königreichen und Ländern gegeben. Bei dem sorgfältigen Be¬
streben Death und seiner Genossen, ihrem Vaterlande die Attribute einer selb¬
ständigen Staatlichkeit mit peinlichster Genauigkeit zu sichern, war auf die
von der Krone allzu äußerlich aufgefaßten Existenzbedingungen der Monarchie
eben mir insoweit Rücksicht genommen worden, als die pragmatische Sanktion
und nebenbei ein wenig auch der gesunde Menschenverstand die Herstellung
oder besser gesagt die Aufrechthaltung gemeinsamer Institutionen unabweislich
forderten. Der verfassungsfanatische ungarische Formalismus des Jahres 1867
übersah die in unserm Jahrhundert eingetretne Entwicklung des Verkehrs, des
Weltwirtschaftslebens, die Notwendigkeit großer Wirtschaftsgebiete. Andrerseits
bethätigten die Österreicher, von denen nur politische Idealisten den Dualismus
als historisch berechtigt anerkannten, ein ganz ungenügendes Maß von Interesse
für die realen Bedingungen eines ans beiden Seiten gleichwertigen Konstitu¬
tionalismus. Das gegenseitige historische Mißtrauen der beiden Reichshälften
veranlaßte ihre Vertreter, in Ungarn bewußt, in Österreich unbewußt, der An¬
erkennung des Nichtinterventionsprinzips zuzustimmen, und die vom Stand-
Punkt einer Monarchie absurde Möglichkeit zuzulassen, daß diesseits und
jenseits der Leitha nach entgegengesetzten Grundsätzen regiert werde.

Dabei wurde hier wie dort der Grundirrtum begangen, die parlamenta¬
rische Schablone auf ein Konglomerat von Nationalitüten anzuwenden, und


Reform des österreichisch.ungarischen Dualismus

lismus dar. Ob er in dieser Gestalt nicht eine Kette für Osterreich be¬
deutet, ist wohl der Frage wert. Daß durch die innere Reibung der beiden
Staaten die Großmachtstcllung der Monarchie nicht gefestigt werden kann, liegt
auf der Hand. Der Anschluß Rumäniens an den Dreibund wird nicht durch
die auf dem Wiener Ballplatze, sondern durch die in Ofen den uugarlüudischen
Rumänen gegenüber gemachte Politik verhindert. Daß der Deaksche Ausglcichs-
gedauke, wie er in seiner praktischen Durchführung in drei Jahrzehnten Gestalt
gewonnen hat, nicht aufrecht erhalten werden kann, ist aus der verhängnis¬
vollen Wirkung auf die innern Verhältnisse Österreichs klar geworden. Die
fortwährend künstlich gesteigerte Differenzierung der Interessen der beiden
Staaten mußte ja zu einer verderblichen Anwendung des Prinzips vivicis vt
imxer» geradezu verleiten. Der korrekte ehrliche Deakismus Koloman Szclls
mag wohl eine Besserung der Beziehungen zur Folge haben, aber auch seine
Kraft wird nicht ausreichen, wo sich in der staatsrechtlichen Konstruktion des
Verhältnisses nachweisbar so schwere organische Fehler herausgestellt haben.

Ob eine Heilung möglich ist, und nach welcher Richtung sie etwa versucht
werden könnte, darf nun wohl der Gegenstand eingehender Untersuchung sein.
Der Erbfehler des Dualismus liegt darin, daß er nicht das Ergebnis einer
Vereinbarung von Volk zu Volk, also der cisleithanischcn und der trausleitha-
nischen Völkergruppen ist, sondern sub titulo der historischen Rechte des König¬
reichs Ungarn vom subjektivsten Standpunkt des Magharentums durch dessen Ver¬
trauensmänner mit dem Träger der Se. Stephanskrone vereinbart worden ist.
Damit war von selbst der Keim zu künftigen Konflikten mit den im Reichs¬
rate vertretnen Königreichen und Ländern gegeben. Bei dem sorgfältigen Be¬
streben Death und seiner Genossen, ihrem Vaterlande die Attribute einer selb¬
ständigen Staatlichkeit mit peinlichster Genauigkeit zu sichern, war auf die
von der Krone allzu äußerlich aufgefaßten Existenzbedingungen der Monarchie
eben mir insoweit Rücksicht genommen worden, als die pragmatische Sanktion
und nebenbei ein wenig auch der gesunde Menschenverstand die Herstellung
oder besser gesagt die Aufrechthaltung gemeinsamer Institutionen unabweislich
forderten. Der verfassungsfanatische ungarische Formalismus des Jahres 1867
übersah die in unserm Jahrhundert eingetretne Entwicklung des Verkehrs, des
Weltwirtschaftslebens, die Notwendigkeit großer Wirtschaftsgebiete. Andrerseits
bethätigten die Österreicher, von denen nur politische Idealisten den Dualismus
als historisch berechtigt anerkannten, ein ganz ungenügendes Maß von Interesse
für die realen Bedingungen eines ans beiden Seiten gleichwertigen Konstitu¬
tionalismus. Das gegenseitige historische Mißtrauen der beiden Reichshälften
veranlaßte ihre Vertreter, in Ungarn bewußt, in Österreich unbewußt, der An¬
erkennung des Nichtinterventionsprinzips zuzustimmen, und die vom Stand-
Punkt einer Monarchie absurde Möglichkeit zuzulassen, daß diesseits und
jenseits der Leitha nach entgegengesetzten Grundsätzen regiert werde.

Dabei wurde hier wie dort der Grundirrtum begangen, die parlamenta¬
rische Schablone auf ein Konglomerat von Nationalitüten anzuwenden, und


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[0441] Reform des österreichisch.ungarischen Dualismus lismus dar. Ob er in dieser Gestalt nicht eine Kette für Osterreich be¬ deutet, ist wohl der Frage wert. Daß durch die innere Reibung der beiden Staaten die Großmachtstcllung der Monarchie nicht gefestigt werden kann, liegt auf der Hand. Der Anschluß Rumäniens an den Dreibund wird nicht durch die auf dem Wiener Ballplatze, sondern durch die in Ofen den uugarlüudischen Rumänen gegenüber gemachte Politik verhindert. Daß der Deaksche Ausglcichs- gedauke, wie er in seiner praktischen Durchführung in drei Jahrzehnten Gestalt gewonnen hat, nicht aufrecht erhalten werden kann, ist aus der verhängnis¬ vollen Wirkung auf die innern Verhältnisse Österreichs klar geworden. Die fortwährend künstlich gesteigerte Differenzierung der Interessen der beiden Staaten mußte ja zu einer verderblichen Anwendung des Prinzips vivicis vt imxer» geradezu verleiten. Der korrekte ehrliche Deakismus Koloman Szclls mag wohl eine Besserung der Beziehungen zur Folge haben, aber auch seine Kraft wird nicht ausreichen, wo sich in der staatsrechtlichen Konstruktion des Verhältnisses nachweisbar so schwere organische Fehler herausgestellt haben. Ob eine Heilung möglich ist, und nach welcher Richtung sie etwa versucht werden könnte, darf nun wohl der Gegenstand eingehender Untersuchung sein. Der Erbfehler des Dualismus liegt darin, daß er nicht das Ergebnis einer Vereinbarung von Volk zu Volk, also der cisleithanischcn und der trausleitha- nischen Völkergruppen ist, sondern sub titulo der historischen Rechte des König¬ reichs Ungarn vom subjektivsten Standpunkt des Magharentums durch dessen Ver¬ trauensmänner mit dem Träger der Se. Stephanskrone vereinbart worden ist. Damit war von selbst der Keim zu künftigen Konflikten mit den im Reichs¬ rate vertretnen Königreichen und Ländern gegeben. Bei dem sorgfältigen Be¬ streben Death und seiner Genossen, ihrem Vaterlande die Attribute einer selb¬ ständigen Staatlichkeit mit peinlichster Genauigkeit zu sichern, war auf die von der Krone allzu äußerlich aufgefaßten Existenzbedingungen der Monarchie eben mir insoweit Rücksicht genommen worden, als die pragmatische Sanktion und nebenbei ein wenig auch der gesunde Menschenverstand die Herstellung oder besser gesagt die Aufrechthaltung gemeinsamer Institutionen unabweislich forderten. Der verfassungsfanatische ungarische Formalismus des Jahres 1867 übersah die in unserm Jahrhundert eingetretne Entwicklung des Verkehrs, des Weltwirtschaftslebens, die Notwendigkeit großer Wirtschaftsgebiete. Andrerseits bethätigten die Österreicher, von denen nur politische Idealisten den Dualismus als historisch berechtigt anerkannten, ein ganz ungenügendes Maß von Interesse für die realen Bedingungen eines ans beiden Seiten gleichwertigen Konstitu¬ tionalismus. Das gegenseitige historische Mißtrauen der beiden Reichshälften veranlaßte ihre Vertreter, in Ungarn bewußt, in Österreich unbewußt, der An¬ erkennung des Nichtinterventionsprinzips zuzustimmen, und die vom Stand- Punkt einer Monarchie absurde Möglichkeit zuzulassen, daß diesseits und jenseits der Leitha nach entgegengesetzten Grundsätzen regiert werde. Dabei wurde hier wie dort der Grundirrtum begangen, die parlamenta¬ rische Schablone auf ein Konglomerat von Nationalitüten anzuwenden, und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/441>, abgerufen am 29.06.2024.