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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Reform des österreichisch-ungarischen Dualismus

Es läßt sich mit einem Worte die Feindseligkeit und das Mißtrauen
gegen Österreich als der Grundzug des politischen Denkens im Magyaren-
tum feststellen. Auch die Anhänger des Dualismus wollen ihn durchaus
nur als den Bund zweier Mittelstaaten betrachtet wissen, von denen der eine
die Interessen des andern weiter nicht zu berücksichtigen braucht. Dieser eine
ist natürlich Ungarn, "die festeste, ja alleinige Stütze von Thron und Monarchie,
insbesondre anch der Dreibundpolitik." Die Offiziösen lügen nun ausnahms¬
weise nicht, wenn sie sich den Rückhalt um den deutschen Bajonetten gern ge¬
fallen lassen, solange das große Werk der "Herstellung des einheitlichen ma¬
gyarischen Nationalstaats," die wenigstens äußerlich vollständige Magyarisie-
rung Ungarns nicht durchgeführt ist, was durch eine Störung des Weltfriedens
verzögert werden würde. An und für sich sind die Magyaren genau so frau-
zosenfreundlich wie die Tschechen. Und die Päzmändy-Rimlerschen Machen¬
schaften waren nur verfrühte Äußerungen der besonders bei den Anhängern der
äußersten Linken lebendigen Grundstimmung des traditionellen Deutschenhasses,
der bei vielen Gelegenheiten -- meist in die freiheitliche Verachtung des "preu-
ßischen Korporalgeistes," des ^parlamentarischen Regimes im Deutschen Reiche,
der "gewaltthätigen Bismarckischen Staatskunst" gekleidet -- unwillkürlich hervor¬
bricht. Darin hat allerdings Kaiser Wilhelms Ofner Toast Wandel geschafft.
Die geradezu überschwenglichen Sympathien aber, deren sich der deutsche Kaiser
seitdem erfreut, bedeuten noch lange nicht eine ernste Annäherung an das
Deutschtum, so wenig wie der ostentative Kultus der Popularität "des Königs"
und der verewigten .Königin, der sich lediglich an ihre Persönlichkeit knüpft,
identisch mit der Loyalität für die Dynastie ist, wie man sie in österreichischen
Landen findet. Dem Magyarentnm sind vielmehr alle Erzherzöge politisch
verdächtig, und darum hat der Leiboffiziosus des verflossenen Ministerpräsidenten
Bnnffy sehr bedeutsam von dem "guten Wetter" gesprochen, das er "zur
raschen Zusammenhünunerung des einheitlichen magyarischen Nationalstaats"
benutzen mußte.

Zusammenfassend dürfen wir die heutige Auffassung des Dualismus
bei dem Magyarentum -- wenigstens bis zur Ära Szell -- dahin charak¬
terisieren, daß diese Form des staatsrechtlichen Verbands so lange wirt¬
schaftlich ausgenützt und darum beibehalten werden soll, bis Ungarn für das
eigne Zollgebiet und für die eigne Notenbank reif, d. h. wirtschaftlich und
finanziell stark genug ist. Die Militärkraft der ganzen Monarchie in ihrer
heutigen Organisation und nötigenfalls die des Deutschen Reichs soll als
Rückendeckung dem Magyarentum gegen die Nationalitäten so lange zur Ver¬
fügung stehn, bis diese des Bewußtseins ihrer Individualität gänzlich beraubt
sind. So lange wird der Vorwurf kolonialer Ausbeutung durch Österreich
von den ungarischen Volkswirten festgehalten, und wird unbeschadet des regsten
Kossuthtultus und der sorgsamen Pflege aller antihabsburgischen Traditionen
das nötige Quantum dynastischer Gesinnung auf Lager behalten.

So stellt sich, objektiv betrachtet, die bisherige Entwicklung des Dua-


Reform des österreichisch-ungarischen Dualismus

Es läßt sich mit einem Worte die Feindseligkeit und das Mißtrauen
gegen Österreich als der Grundzug des politischen Denkens im Magyaren-
tum feststellen. Auch die Anhänger des Dualismus wollen ihn durchaus
nur als den Bund zweier Mittelstaaten betrachtet wissen, von denen der eine
die Interessen des andern weiter nicht zu berücksichtigen braucht. Dieser eine
ist natürlich Ungarn, „die festeste, ja alleinige Stütze von Thron und Monarchie,
insbesondre anch der Dreibundpolitik." Die Offiziösen lügen nun ausnahms¬
weise nicht, wenn sie sich den Rückhalt um den deutschen Bajonetten gern ge¬
fallen lassen, solange das große Werk der „Herstellung des einheitlichen ma¬
gyarischen Nationalstaats," die wenigstens äußerlich vollständige Magyarisie-
rung Ungarns nicht durchgeführt ist, was durch eine Störung des Weltfriedens
verzögert werden würde. An und für sich sind die Magyaren genau so frau-
zosenfreundlich wie die Tschechen. Und die Päzmändy-Rimlerschen Machen¬
schaften waren nur verfrühte Äußerungen der besonders bei den Anhängern der
äußersten Linken lebendigen Grundstimmung des traditionellen Deutschenhasses,
der bei vielen Gelegenheiten — meist in die freiheitliche Verachtung des „preu-
ßischen Korporalgeistes," des ^parlamentarischen Regimes im Deutschen Reiche,
der „gewaltthätigen Bismarckischen Staatskunst" gekleidet — unwillkürlich hervor¬
bricht. Darin hat allerdings Kaiser Wilhelms Ofner Toast Wandel geschafft.
Die geradezu überschwenglichen Sympathien aber, deren sich der deutsche Kaiser
seitdem erfreut, bedeuten noch lange nicht eine ernste Annäherung an das
Deutschtum, so wenig wie der ostentative Kultus der Popularität „des Königs"
und der verewigten .Königin, der sich lediglich an ihre Persönlichkeit knüpft,
identisch mit der Loyalität für die Dynastie ist, wie man sie in österreichischen
Landen findet. Dem Magyarentnm sind vielmehr alle Erzherzöge politisch
verdächtig, und darum hat der Leiboffiziosus des verflossenen Ministerpräsidenten
Bnnffy sehr bedeutsam von dem „guten Wetter" gesprochen, das er „zur
raschen Zusammenhünunerung des einheitlichen magyarischen Nationalstaats"
benutzen mußte.

Zusammenfassend dürfen wir die heutige Auffassung des Dualismus
bei dem Magyarentum — wenigstens bis zur Ära Szell — dahin charak¬
terisieren, daß diese Form des staatsrechtlichen Verbands so lange wirt¬
schaftlich ausgenützt und darum beibehalten werden soll, bis Ungarn für das
eigne Zollgebiet und für die eigne Notenbank reif, d. h. wirtschaftlich und
finanziell stark genug ist. Die Militärkraft der ganzen Monarchie in ihrer
heutigen Organisation und nötigenfalls die des Deutschen Reichs soll als
Rückendeckung dem Magyarentum gegen die Nationalitäten so lange zur Ver¬
fügung stehn, bis diese des Bewußtseins ihrer Individualität gänzlich beraubt
sind. So lange wird der Vorwurf kolonialer Ausbeutung durch Österreich
von den ungarischen Volkswirten festgehalten, und wird unbeschadet des regsten
Kossuthtultus und der sorgsamen Pflege aller antihabsburgischen Traditionen
das nötige Quantum dynastischer Gesinnung auf Lager behalten.

So stellt sich, objektiv betrachtet, die bisherige Entwicklung des Dua-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/440>, abgerufen am 29.06.2024.