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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Reform des österreichisch-unzarischen Dualismus

die österreichischen Wirren nicht bloß zur Erringung weitgehender materieller
Vorteile für Ungarn, somit zur Festigung seiner Stellung zu benutzen, sondern
anch eine Ausdehnung der Hegemonie des Magyarentnms auf die ganze
Monarchie vorzubereiten. Waren es auch nicht direkt die Regierungskreise,
die der populären Bewegung "Los von Österreich" Vorschub leisteten, so war
doch auch durch die von Amts wegen und ebenso im Lager der Regierungs¬
partei wie vou den oppositionellen Fraktionen geübte systematische Anfstachlung
des nationalen Chauvinismus der ohnehin von der äußersten Linken pro¬
grammgemäß gepflegte wirtschaftliche Separatismus in den letzten Jahren der
öffentlichen Meinung recht gründlich eingeimpft worden. Natürlich mußten auch
die wesentliche Besserung der staatsfinanziellen Verhältnisse und der wirtschaft¬
liche Aufschwung des Landes das frühere Gefühl der Abhängigkeit von dem
in der Kultur und in der Industrie weit entwickeltem Österreich zu größerm
Selbstvertrauen auf die eigne Kraft umwandeln. Die zu der Zeit des großen
Getreideexports und des hohen Agios vorherrschende bimetallistische Strömung
war infolge des natürlichen Wunschs nach einer Regelung der Valuta und
infolge der unwiderstehlichen Sehnsucht nach einer eignen ungarischen Noten¬
bank längst zu Gunsten der Goldwährung umgeschlagen.

Schon durch die Wchrgesetzdebatte vom Jahre 1889, die den Anstoß zu
der Erschütterung der parlamentarischen Stellung Koloman Tiszas gab und
seinen Namen gänzlich unbeliebt machte, war die Feindseligkeit gegen die
"germanisierende" gemeinsame Armee genährt worden und hatte sich nach dem
mißlungnen Versuch des Grafen Szapäry gesteigert, durch gegenseitige gleich¬
zeitige Bekränzung des Ofner Honveddenkmals und der Hentzisäule eine Ver¬
söhnung der legitimen und der revolutionären militärischen Traditionen zustande
zu bringen. Sie ist gewissermaßen zu einem integrierender Bestandteil des
magyarischen Patriotismus geworden und wird durch die aus den ungarischen
Schulen mit planmäßig anerzvgner deutsch- und vsterreichfeindlicher Gesinnung
hervorgegangnen Einjährig-Freiwilligen insbesondre mit Hilfe der Blätter der
Unabhängigkeitspartei fortwährend lebendig erhalten. Trotz aller Bemühungen
der obersten Heeresleitung sucht man mit Erfolg in der außer aller organischen
Verbindung mit der gemeinsamen Armee stehenden Honvedschnft das Gefühl der
gehässigen Rivalität wachzurufen. Die Hetze gegen das deutsche Theater, die
dielleicht nicht in ihrem vollen Umfange bekannt geworden ist, ruht nicht, weder
in Budapest, noch in den halb oder vorwiegend deutsch gebliebner Städten
Preßburg, Ödenburg, Temesvar, Hermannstadt, Kronstäbe und in den unga¬
rischen Badeorten. Dafür geht in dem Bewerber um die Gunst der Krone die
ungarische Delegation auch im Widerspruch mit der Stimmung des Magyaren-
tums oder mit den materiellen Interessen der Bevölkerung bewußt und kon¬
sequent vor. Der im ganzen Lande ingrimmig bekämpfte!, Okkupationspolitik
stimmten die ungarischen Delegierten als brave Kinder auf den Wink Andräsfys
sofort zu, als sich die Versassungspartei, die damals im Wiener Reichsrat die
Majorität hatte, gegen "das böhmische Abenteuer" auflehnte.


Reform des österreichisch-unzarischen Dualismus

die österreichischen Wirren nicht bloß zur Erringung weitgehender materieller
Vorteile für Ungarn, somit zur Festigung seiner Stellung zu benutzen, sondern
anch eine Ausdehnung der Hegemonie des Magyarentnms auf die ganze
Monarchie vorzubereiten. Waren es auch nicht direkt die Regierungskreise,
die der populären Bewegung „Los von Österreich" Vorschub leisteten, so war
doch auch durch die von Amts wegen und ebenso im Lager der Regierungs¬
partei wie vou den oppositionellen Fraktionen geübte systematische Anfstachlung
des nationalen Chauvinismus der ohnehin von der äußersten Linken pro¬
grammgemäß gepflegte wirtschaftliche Separatismus in den letzten Jahren der
öffentlichen Meinung recht gründlich eingeimpft worden. Natürlich mußten auch
die wesentliche Besserung der staatsfinanziellen Verhältnisse und der wirtschaft¬
liche Aufschwung des Landes das frühere Gefühl der Abhängigkeit von dem
in der Kultur und in der Industrie weit entwickeltem Österreich zu größerm
Selbstvertrauen auf die eigne Kraft umwandeln. Die zu der Zeit des großen
Getreideexports und des hohen Agios vorherrschende bimetallistische Strömung
war infolge des natürlichen Wunschs nach einer Regelung der Valuta und
infolge der unwiderstehlichen Sehnsucht nach einer eignen ungarischen Noten¬
bank längst zu Gunsten der Goldwährung umgeschlagen.

Schon durch die Wchrgesetzdebatte vom Jahre 1889, die den Anstoß zu
der Erschütterung der parlamentarischen Stellung Koloman Tiszas gab und
seinen Namen gänzlich unbeliebt machte, war die Feindseligkeit gegen die
„germanisierende" gemeinsame Armee genährt worden und hatte sich nach dem
mißlungnen Versuch des Grafen Szapäry gesteigert, durch gegenseitige gleich¬
zeitige Bekränzung des Ofner Honveddenkmals und der Hentzisäule eine Ver¬
söhnung der legitimen und der revolutionären militärischen Traditionen zustande
zu bringen. Sie ist gewissermaßen zu einem integrierender Bestandteil des
magyarischen Patriotismus geworden und wird durch die aus den ungarischen
Schulen mit planmäßig anerzvgner deutsch- und vsterreichfeindlicher Gesinnung
hervorgegangnen Einjährig-Freiwilligen insbesondre mit Hilfe der Blätter der
Unabhängigkeitspartei fortwährend lebendig erhalten. Trotz aller Bemühungen
der obersten Heeresleitung sucht man mit Erfolg in der außer aller organischen
Verbindung mit der gemeinsamen Armee stehenden Honvedschnft das Gefühl der
gehässigen Rivalität wachzurufen. Die Hetze gegen das deutsche Theater, die
dielleicht nicht in ihrem vollen Umfange bekannt geworden ist, ruht nicht, weder
in Budapest, noch in den halb oder vorwiegend deutsch gebliebner Städten
Preßburg, Ödenburg, Temesvar, Hermannstadt, Kronstäbe und in den unga¬
rischen Badeorten. Dafür geht in dem Bewerber um die Gunst der Krone die
ungarische Delegation auch im Widerspruch mit der Stimmung des Magyaren-
tums oder mit den materiellen Interessen der Bevölkerung bewußt und kon¬
sequent vor. Der im ganzen Lande ingrimmig bekämpfte!, Okkupationspolitik
stimmten die ungarischen Delegierten als brave Kinder auf den Wink Andräsfys
sofort zu, als sich die Versassungspartei, die damals im Wiener Reichsrat die
Majorität hatte, gegen „das böhmische Abenteuer" auflehnte.


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[0439] Reform des österreichisch-unzarischen Dualismus die österreichischen Wirren nicht bloß zur Erringung weitgehender materieller Vorteile für Ungarn, somit zur Festigung seiner Stellung zu benutzen, sondern anch eine Ausdehnung der Hegemonie des Magyarentnms auf die ganze Monarchie vorzubereiten. Waren es auch nicht direkt die Regierungskreise, die der populären Bewegung „Los von Österreich" Vorschub leisteten, so war doch auch durch die von Amts wegen und ebenso im Lager der Regierungs¬ partei wie vou den oppositionellen Fraktionen geübte systematische Anfstachlung des nationalen Chauvinismus der ohnehin von der äußersten Linken pro¬ grammgemäß gepflegte wirtschaftliche Separatismus in den letzten Jahren der öffentlichen Meinung recht gründlich eingeimpft worden. Natürlich mußten auch die wesentliche Besserung der staatsfinanziellen Verhältnisse und der wirtschaft¬ liche Aufschwung des Landes das frühere Gefühl der Abhängigkeit von dem in der Kultur und in der Industrie weit entwickeltem Österreich zu größerm Selbstvertrauen auf die eigne Kraft umwandeln. Die zu der Zeit des großen Getreideexports und des hohen Agios vorherrschende bimetallistische Strömung war infolge des natürlichen Wunschs nach einer Regelung der Valuta und infolge der unwiderstehlichen Sehnsucht nach einer eignen ungarischen Noten¬ bank längst zu Gunsten der Goldwährung umgeschlagen. Schon durch die Wchrgesetzdebatte vom Jahre 1889, die den Anstoß zu der Erschütterung der parlamentarischen Stellung Koloman Tiszas gab und seinen Namen gänzlich unbeliebt machte, war die Feindseligkeit gegen die „germanisierende" gemeinsame Armee genährt worden und hatte sich nach dem mißlungnen Versuch des Grafen Szapäry gesteigert, durch gegenseitige gleich¬ zeitige Bekränzung des Ofner Honveddenkmals und der Hentzisäule eine Ver¬ söhnung der legitimen und der revolutionären militärischen Traditionen zustande zu bringen. Sie ist gewissermaßen zu einem integrierender Bestandteil des magyarischen Patriotismus geworden und wird durch die aus den ungarischen Schulen mit planmäßig anerzvgner deutsch- und vsterreichfeindlicher Gesinnung hervorgegangnen Einjährig-Freiwilligen insbesondre mit Hilfe der Blätter der Unabhängigkeitspartei fortwährend lebendig erhalten. Trotz aller Bemühungen der obersten Heeresleitung sucht man mit Erfolg in der außer aller organischen Verbindung mit der gemeinsamen Armee stehenden Honvedschnft das Gefühl der gehässigen Rivalität wachzurufen. Die Hetze gegen das deutsche Theater, die dielleicht nicht in ihrem vollen Umfange bekannt geworden ist, ruht nicht, weder in Budapest, noch in den halb oder vorwiegend deutsch gebliebner Städten Preßburg, Ödenburg, Temesvar, Hermannstadt, Kronstäbe und in den unga¬ rischen Badeorten. Dafür geht in dem Bewerber um die Gunst der Krone die ungarische Delegation auch im Widerspruch mit der Stimmung des Magyaren- tums oder mit den materiellen Interessen der Bevölkerung bewußt und kon¬ sequent vor. Der im ganzen Lande ingrimmig bekämpfte!, Okkupationspolitik stimmten die ungarischen Delegierten als brave Kinder auf den Wink Andräsfys sofort zu, als sich die Versassungspartei, die damals im Wiener Reichsrat die Majorität hatte, gegen „das böhmische Abenteuer" auflehnte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/439>, abgerufen am 29.06.2024.