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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Reform des österreichisch-ungarischen Dualismus

durch monarchisch-absolutistische Gelüste, nicht an eine mißbräuchliche Anwen¬
dung des Z 14, um mit dessen Hilfe gegen den Willen der Bevölkerung eine
Vereinbarung über die in gewissen Zeitabschnitten neu zu regeluden sogenannten
nichtpragmatischen Angelegenheiten zustande zu bringen. Ware Franz Deal
weltpolitisch angelegt und volkswirtschaftlich besser beschlagen gewesen, so Hütte
er sich die so künstliche Trennung der pragmatischen von den übrigen gemeinsamen
oder nach gemeinsamen Grundsätzen zu ordnenden Angelegenheiten doch wohl
ausreden lassen, wie sich ja auch Baron Josef Eötvös im Hinblick auf die
Weltlage von den beschränkten magyarischen Globusanschauungen abgewandt
hatte und zu staatsmännischen Anschauungen über "die Garantien der Macht
und Einheit Österreichs"*) hatte bekehren lassen.

Neben Melchior Lönyay, der in den Jahren 1866/67 bei den Ausgleichs-
verhandlnngen der hauptsächliche Vertreter der wirtschaftlichen Seite our, stand
damals anch Graf Andrassy unter dem Banne der formalistischen Wahrung
der ungarischen Staatlichkeit. Aber der leitende Gedanke seiner Ausgleichs-
politik geht aus der Rede hervor, die er noch vor Königgrütz, am 20. Februar
1866 in der Adreßdebatte des ungarischen Reichstags hielt. Er sicherte die
Formulierung von Bedingungen zu, "bei denen die Selbständigkeit der Ungarn
mit dem Konstitutionalismus der Österreicher und beides mit der Großmcicht-
stellnng der Monarchie vereinbar sein würde." Heute weiß die Welt, daß die
1867 er Formulierung diesen Zweck nur sehr unvollkommen erfüllt hat. Auch
Andrassy hat sich als Optimist erwiesen. Hütte er vorausgesehen, wie seinen
magyarischen Landsleuten der Appetit beim Essen kommen würde, wie schon
die Paritütsbestrebungen seines bald nach seinem Scheiden aus dem unga¬
rischen Ministerprüsidium an die Macht gelangten Gegners Tisza nicht ohne
Folgen für die Großmachtstellung der Monarchie bleiben würden, so wäre
er wohl nicht so entschieden für die organische Scheidung der ungarischen
Landwehr von der gemeinsamen Armee eingetreten, obwohl auch sie schon
in das Gebiet der pragmatischen Angelegenheiten gehört. Vielleicht wäre
aber auch sein mäßigender Einfluß sowohl auf Tisza wie auf Auersperg schon
bei der ersten Erneuerung des Zoll- und Handelsbündnisses und Notenbank-
Privilegiums ohne die damals erzielte Wirkung geblieben, wenn nicht das Be¬
streben Tiszas, an der Macht zu bleiben, stärker gewesen wäre als seine
separatistischen Neigungen, und wenn nicht ganz offenbar Ungarn damals so
viel schwächer gewesen wäre als Österreich.

Doch nicht bloß als gemeinsamer Minister des Äußern im Amte, sondern
auch nach seinem Rücktritt, als Mitglied der ungarischen Magnatentafel und
als Delegationsmitglied hat Graf Julius Andrassy sen. als der berufenste
Interpret des Decckschen Ausgleichswerks gegen jeden "Ausbau des Dualis¬
mus," gegen jede Lockerung der Beziehungen zwischen den beiden Staaten der
Monarchie im Gegensatze zu den "nationalen Aspirationen" des Grafen Albert



*) In seinem unter diesem Titel nnonym erschienenen und später verleugneten Werke,
Reform des österreichisch-ungarischen Dualismus

durch monarchisch-absolutistische Gelüste, nicht an eine mißbräuchliche Anwen¬
dung des Z 14, um mit dessen Hilfe gegen den Willen der Bevölkerung eine
Vereinbarung über die in gewissen Zeitabschnitten neu zu regeluden sogenannten
nichtpragmatischen Angelegenheiten zustande zu bringen. Ware Franz Deal
weltpolitisch angelegt und volkswirtschaftlich besser beschlagen gewesen, so Hütte
er sich die so künstliche Trennung der pragmatischen von den übrigen gemeinsamen
oder nach gemeinsamen Grundsätzen zu ordnenden Angelegenheiten doch wohl
ausreden lassen, wie sich ja auch Baron Josef Eötvös im Hinblick auf die
Weltlage von den beschränkten magyarischen Globusanschauungen abgewandt
hatte und zu staatsmännischen Anschauungen über „die Garantien der Macht
und Einheit Österreichs"*) hatte bekehren lassen.

Neben Melchior Lönyay, der in den Jahren 1866/67 bei den Ausgleichs-
verhandlnngen der hauptsächliche Vertreter der wirtschaftlichen Seite our, stand
damals anch Graf Andrassy unter dem Banne der formalistischen Wahrung
der ungarischen Staatlichkeit. Aber der leitende Gedanke seiner Ausgleichs-
politik geht aus der Rede hervor, die er noch vor Königgrütz, am 20. Februar
1866 in der Adreßdebatte des ungarischen Reichstags hielt. Er sicherte die
Formulierung von Bedingungen zu, „bei denen die Selbständigkeit der Ungarn
mit dem Konstitutionalismus der Österreicher und beides mit der Großmcicht-
stellnng der Monarchie vereinbar sein würde." Heute weiß die Welt, daß die
1867 er Formulierung diesen Zweck nur sehr unvollkommen erfüllt hat. Auch
Andrassy hat sich als Optimist erwiesen. Hütte er vorausgesehen, wie seinen
magyarischen Landsleuten der Appetit beim Essen kommen würde, wie schon
die Paritütsbestrebungen seines bald nach seinem Scheiden aus dem unga¬
rischen Ministerprüsidium an die Macht gelangten Gegners Tisza nicht ohne
Folgen für die Großmachtstellung der Monarchie bleiben würden, so wäre
er wohl nicht so entschieden für die organische Scheidung der ungarischen
Landwehr von der gemeinsamen Armee eingetreten, obwohl auch sie schon
in das Gebiet der pragmatischen Angelegenheiten gehört. Vielleicht wäre
aber auch sein mäßigender Einfluß sowohl auf Tisza wie auf Auersperg schon
bei der ersten Erneuerung des Zoll- und Handelsbündnisses und Notenbank-
Privilegiums ohne die damals erzielte Wirkung geblieben, wenn nicht das Be¬
streben Tiszas, an der Macht zu bleiben, stärker gewesen wäre als seine
separatistischen Neigungen, und wenn nicht ganz offenbar Ungarn damals so
viel schwächer gewesen wäre als Österreich.

Doch nicht bloß als gemeinsamer Minister des Äußern im Amte, sondern
auch nach seinem Rücktritt, als Mitglied der ungarischen Magnatentafel und
als Delegationsmitglied hat Graf Julius Andrassy sen. als der berufenste
Interpret des Decckschen Ausgleichswerks gegen jeden „Ausbau des Dualis¬
mus," gegen jede Lockerung der Beziehungen zwischen den beiden Staaten der
Monarchie im Gegensatze zu den „nationalen Aspirationen" des Grafen Albert



*) In seinem unter diesem Titel nnonym erschienenen und später verleugneten Werke,
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[0437] Reform des österreichisch-ungarischen Dualismus durch monarchisch-absolutistische Gelüste, nicht an eine mißbräuchliche Anwen¬ dung des Z 14, um mit dessen Hilfe gegen den Willen der Bevölkerung eine Vereinbarung über die in gewissen Zeitabschnitten neu zu regeluden sogenannten nichtpragmatischen Angelegenheiten zustande zu bringen. Ware Franz Deal weltpolitisch angelegt und volkswirtschaftlich besser beschlagen gewesen, so Hütte er sich die so künstliche Trennung der pragmatischen von den übrigen gemeinsamen oder nach gemeinsamen Grundsätzen zu ordnenden Angelegenheiten doch wohl ausreden lassen, wie sich ja auch Baron Josef Eötvös im Hinblick auf die Weltlage von den beschränkten magyarischen Globusanschauungen abgewandt hatte und zu staatsmännischen Anschauungen über „die Garantien der Macht und Einheit Österreichs"*) hatte bekehren lassen. Neben Melchior Lönyay, der in den Jahren 1866/67 bei den Ausgleichs- verhandlnngen der hauptsächliche Vertreter der wirtschaftlichen Seite our, stand damals anch Graf Andrassy unter dem Banne der formalistischen Wahrung der ungarischen Staatlichkeit. Aber der leitende Gedanke seiner Ausgleichs- politik geht aus der Rede hervor, die er noch vor Königgrütz, am 20. Februar 1866 in der Adreßdebatte des ungarischen Reichstags hielt. Er sicherte die Formulierung von Bedingungen zu, „bei denen die Selbständigkeit der Ungarn mit dem Konstitutionalismus der Österreicher und beides mit der Großmcicht- stellnng der Monarchie vereinbar sein würde." Heute weiß die Welt, daß die 1867 er Formulierung diesen Zweck nur sehr unvollkommen erfüllt hat. Auch Andrassy hat sich als Optimist erwiesen. Hütte er vorausgesehen, wie seinen magyarischen Landsleuten der Appetit beim Essen kommen würde, wie schon die Paritütsbestrebungen seines bald nach seinem Scheiden aus dem unga¬ rischen Ministerprüsidium an die Macht gelangten Gegners Tisza nicht ohne Folgen für die Großmachtstellung der Monarchie bleiben würden, so wäre er wohl nicht so entschieden für die organische Scheidung der ungarischen Landwehr von der gemeinsamen Armee eingetreten, obwohl auch sie schon in das Gebiet der pragmatischen Angelegenheiten gehört. Vielleicht wäre aber auch sein mäßigender Einfluß sowohl auf Tisza wie auf Auersperg schon bei der ersten Erneuerung des Zoll- und Handelsbündnisses und Notenbank- Privilegiums ohne die damals erzielte Wirkung geblieben, wenn nicht das Be¬ streben Tiszas, an der Macht zu bleiben, stärker gewesen wäre als seine separatistischen Neigungen, und wenn nicht ganz offenbar Ungarn damals so viel schwächer gewesen wäre als Österreich. Doch nicht bloß als gemeinsamer Minister des Äußern im Amte, sondern auch nach seinem Rücktritt, als Mitglied der ungarischen Magnatentafel und als Delegationsmitglied hat Graf Julius Andrassy sen. als der berufenste Interpret des Decckschen Ausgleichswerks gegen jeden „Ausbau des Dualis¬ mus," gegen jede Lockerung der Beziehungen zwischen den beiden Staaten der Monarchie im Gegensatze zu den „nationalen Aspirationen" des Grafen Albert *) In seinem unter diesem Titel nnonym erschienenen und später verleugneten Werke,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/437>, abgerufen am 29.06.2024.