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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Reform des österreichisch-ungarischen Dualismus

werden können, oder ob nicht die Mittel der Abhilfe vielmehr gemeinsam und
in einer Abänderung ihrer gegenseitigen Beziehungen gesucht werden müssen.

Durch die Vorgänge schon bei der ersten, dann bei der zweiten und erst
recht bei der dritten Erneuerung des wirtschaftlichen Ausgleichs ist wohl auf
das schlagendste der Beweis erbracht worden, daß die im Jahre 1867 fest¬
gestellten Ernenernngsmodalitäten den an sie geknüpften Hoffnungen nicht ent¬
sprochen haben, und daß das politische Bonmot von der Monarchie auf Kün¬
digung inzwischen bedenkliche Realität erlangt hat.

Ganz zweifellos hatte sich Franz Deal die Entwicklung anders vorgestellt.
Sein Beharren auf der sogenannten Nechtskontinuität, sein Streben nach mög¬
lichster Erhaltung der 1848 er ungarischen Gesetze entsprang dem ihn neben
ausgeprägtem Rechtssinn charakterisierenden juristischen Formalismus und nicht
etwa hervorragenden staatsmünnischen Fähigkeiten. Den Mangel solcher zeigt
sein auch durch die Ereignisse der Jahre 1848/49 nicht erschütterter Glaube,
daß zwei in ihren innern Angelegenheiten vollkommen unabhängige Staaten
-- deren einheitliche Erscheinung nach außen durch die 1867 er Konzessionen des
Magyarentnms an die Großmachtbedingungen der Monarchie gesichert werden
sollte -- ohne organische Verbindung, bloß durch willkürlich geschaffne rein mecha¬
nische Berührnngsflüchen ein ganz harmonisches Dasein nebeneinander führen
könnten. Die Hegemonie des Deutschtums in Osterreich war für Deal eine
selbstverständliche Forderung gegenüber der Hegemonie des Magyarentums in
Ungarn und die Gewähr einer gewissen Einheitlichkeit der im Reichsrate ver-
tretnen Königreiche und Länder, trotz der Verschiedenheit ihrer Struktur von der
der Länder der ungarischen Krone. Und als Lockspeise für das historische staats¬
bildende deutsche Element im Reiche der Habsburger warf der erste und letzte
"Reichskanzler" der dualistischen Monarchie, Graf Beust verhängnisvollen An¬
gedenkens, das böse Wort von den an die Wand gedrückten Slawen hin. Dem
Schöpfer des 1867er Ausgleichs war der schon ein Jahrzehnt später von Koloman
Tisza aufgenommne Gedanke eines "Aufbaus des einheitlichen magyarischen
Nationalstaats" ganz besonders in der später von Baron Desider Bänffy ge¬
übten Negierungspraxis ganz fremd gewesen, obwohl er mindestens ein ebenso
guter Magyar gewesen ist, als die beiden genannten Kabinettschefs sein wollen.
Death politisches Denken und Interesse war nicht, wie sich dessen einst Tisza,
an die Identität seines Namens mit dem des innerhalb Ungarns Grenzen ent¬
springenden und in die Donau mündenden Theißfluffes erinnernd, gerühmt
hatte, in die rot-weiß-grünen Grenzpfähle gebannt. Obwohl der 1867 er Aus¬
gleich nicht zwischen Ungarn und Österreich, sondern zwischen Ungarn und
seinem noch nicht gekrönten König abgeschlossen, und der österreichische Reichsrat
einfach vor die fertige Thatsache gestellt worden ist -- der er dann auch, als einer
Zweiteilung des Kaiserstaats, nur mit großem Widerstreben und nur unter
starkem moralischem Zwange zustimmte --, war doch von Deal im ungarischen
Gesetze für die Aufrechthaltung der Verfassungsmäßigkeit in Österreich gesorgt
worden. Er dachte allerdings nur an die Möglichkeit eines Verfassungsbruchs


Reform des österreichisch-ungarischen Dualismus

werden können, oder ob nicht die Mittel der Abhilfe vielmehr gemeinsam und
in einer Abänderung ihrer gegenseitigen Beziehungen gesucht werden müssen.

Durch die Vorgänge schon bei der ersten, dann bei der zweiten und erst
recht bei der dritten Erneuerung des wirtschaftlichen Ausgleichs ist wohl auf
das schlagendste der Beweis erbracht worden, daß die im Jahre 1867 fest¬
gestellten Ernenernngsmodalitäten den an sie geknüpften Hoffnungen nicht ent¬
sprochen haben, und daß das politische Bonmot von der Monarchie auf Kün¬
digung inzwischen bedenkliche Realität erlangt hat.

Ganz zweifellos hatte sich Franz Deal die Entwicklung anders vorgestellt.
Sein Beharren auf der sogenannten Nechtskontinuität, sein Streben nach mög¬
lichster Erhaltung der 1848 er ungarischen Gesetze entsprang dem ihn neben
ausgeprägtem Rechtssinn charakterisierenden juristischen Formalismus und nicht
etwa hervorragenden staatsmünnischen Fähigkeiten. Den Mangel solcher zeigt
sein auch durch die Ereignisse der Jahre 1848/49 nicht erschütterter Glaube,
daß zwei in ihren innern Angelegenheiten vollkommen unabhängige Staaten
— deren einheitliche Erscheinung nach außen durch die 1867 er Konzessionen des
Magyarentnms an die Großmachtbedingungen der Monarchie gesichert werden
sollte — ohne organische Verbindung, bloß durch willkürlich geschaffne rein mecha¬
nische Berührnngsflüchen ein ganz harmonisches Dasein nebeneinander führen
könnten. Die Hegemonie des Deutschtums in Osterreich war für Deal eine
selbstverständliche Forderung gegenüber der Hegemonie des Magyarentums in
Ungarn und die Gewähr einer gewissen Einheitlichkeit der im Reichsrate ver-
tretnen Königreiche und Länder, trotz der Verschiedenheit ihrer Struktur von der
der Länder der ungarischen Krone. Und als Lockspeise für das historische staats¬
bildende deutsche Element im Reiche der Habsburger warf der erste und letzte
„Reichskanzler" der dualistischen Monarchie, Graf Beust verhängnisvollen An¬
gedenkens, das böse Wort von den an die Wand gedrückten Slawen hin. Dem
Schöpfer des 1867er Ausgleichs war der schon ein Jahrzehnt später von Koloman
Tisza aufgenommne Gedanke eines „Aufbaus des einheitlichen magyarischen
Nationalstaats" ganz besonders in der später von Baron Desider Bänffy ge¬
übten Negierungspraxis ganz fremd gewesen, obwohl er mindestens ein ebenso
guter Magyar gewesen ist, als die beiden genannten Kabinettschefs sein wollen.
Death politisches Denken und Interesse war nicht, wie sich dessen einst Tisza,
an die Identität seines Namens mit dem des innerhalb Ungarns Grenzen ent¬
springenden und in die Donau mündenden Theißfluffes erinnernd, gerühmt
hatte, in die rot-weiß-grünen Grenzpfähle gebannt. Obwohl der 1867 er Aus¬
gleich nicht zwischen Ungarn und Österreich, sondern zwischen Ungarn und
seinem noch nicht gekrönten König abgeschlossen, und der österreichische Reichsrat
einfach vor die fertige Thatsache gestellt worden ist — der er dann auch, als einer
Zweiteilung des Kaiserstaats, nur mit großem Widerstreben und nur unter
starkem moralischem Zwange zustimmte —, war doch von Deal im ungarischen
Gesetze für die Aufrechthaltung der Verfassungsmäßigkeit in Österreich gesorgt
worden. Er dachte allerdings nur an die Möglichkeit eines Verfassungsbruchs


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[0436] Reform des österreichisch-ungarischen Dualismus werden können, oder ob nicht die Mittel der Abhilfe vielmehr gemeinsam und in einer Abänderung ihrer gegenseitigen Beziehungen gesucht werden müssen. Durch die Vorgänge schon bei der ersten, dann bei der zweiten und erst recht bei der dritten Erneuerung des wirtschaftlichen Ausgleichs ist wohl auf das schlagendste der Beweis erbracht worden, daß die im Jahre 1867 fest¬ gestellten Ernenernngsmodalitäten den an sie geknüpften Hoffnungen nicht ent¬ sprochen haben, und daß das politische Bonmot von der Monarchie auf Kün¬ digung inzwischen bedenkliche Realität erlangt hat. Ganz zweifellos hatte sich Franz Deal die Entwicklung anders vorgestellt. Sein Beharren auf der sogenannten Nechtskontinuität, sein Streben nach mög¬ lichster Erhaltung der 1848 er ungarischen Gesetze entsprang dem ihn neben ausgeprägtem Rechtssinn charakterisierenden juristischen Formalismus und nicht etwa hervorragenden staatsmünnischen Fähigkeiten. Den Mangel solcher zeigt sein auch durch die Ereignisse der Jahre 1848/49 nicht erschütterter Glaube, daß zwei in ihren innern Angelegenheiten vollkommen unabhängige Staaten — deren einheitliche Erscheinung nach außen durch die 1867 er Konzessionen des Magyarentnms an die Großmachtbedingungen der Monarchie gesichert werden sollte — ohne organische Verbindung, bloß durch willkürlich geschaffne rein mecha¬ nische Berührnngsflüchen ein ganz harmonisches Dasein nebeneinander führen könnten. Die Hegemonie des Deutschtums in Osterreich war für Deal eine selbstverständliche Forderung gegenüber der Hegemonie des Magyarentums in Ungarn und die Gewähr einer gewissen Einheitlichkeit der im Reichsrate ver- tretnen Königreiche und Länder, trotz der Verschiedenheit ihrer Struktur von der der Länder der ungarischen Krone. Und als Lockspeise für das historische staats¬ bildende deutsche Element im Reiche der Habsburger warf der erste und letzte „Reichskanzler" der dualistischen Monarchie, Graf Beust verhängnisvollen An¬ gedenkens, das böse Wort von den an die Wand gedrückten Slawen hin. Dem Schöpfer des 1867er Ausgleichs war der schon ein Jahrzehnt später von Koloman Tisza aufgenommne Gedanke eines „Aufbaus des einheitlichen magyarischen Nationalstaats" ganz besonders in der später von Baron Desider Bänffy ge¬ übten Negierungspraxis ganz fremd gewesen, obwohl er mindestens ein ebenso guter Magyar gewesen ist, als die beiden genannten Kabinettschefs sein wollen. Death politisches Denken und Interesse war nicht, wie sich dessen einst Tisza, an die Identität seines Namens mit dem des innerhalb Ungarns Grenzen ent¬ springenden und in die Donau mündenden Theißfluffes erinnernd, gerühmt hatte, in die rot-weiß-grünen Grenzpfähle gebannt. Obwohl der 1867 er Aus¬ gleich nicht zwischen Ungarn und Österreich, sondern zwischen Ungarn und seinem noch nicht gekrönten König abgeschlossen, und der österreichische Reichsrat einfach vor die fertige Thatsache gestellt worden ist — der er dann auch, als einer Zweiteilung des Kaiserstaats, nur mit großem Widerstreben und nur unter starkem moralischem Zwange zustimmte —, war doch von Deal im ungarischen Gesetze für die Aufrechthaltung der Verfassungsmäßigkeit in Österreich gesorgt worden. Er dachte allerdings nur an die Möglichkeit eines Verfassungsbruchs

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/436>, abgerufen am 28.09.2024.