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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Herbsttage in der Lisel

lagert warm. Der Eifeler Bauer, unter seinen Berufsgenossen im deutschen
Vnterlaude vielleicht der allerkonservativste, lernt dank der ihm durch die neuer¬
dings zahlreich begründeten landwirtschaftlichen Kasinos zu teil gewordnen Be¬
lehrung allmählich einsehen, daß sein Acker bei zweckentsprechender Bewirt¬
schaftung durchaus nicht so unergiebig ist, wie er bisher annahm. Namentlich
von der Wirkung künstlicher Düngstoffe, gegen deren Einführung man sich an¬
fangs geradezu gewehrt hatte, wußten mir zwei Landleute, mit denen ich über
diesen für die Eifel so wichtigen Gegenstand sprach, wahre Wunder zu er¬
zählen.

Im allgemeinen ist der Eifeler Bauer ein Mensch von recht einsilbiger
Natur, der auf Erkundigungen uach seiner Lebensführung mit großer Zurück¬
haltung antwortet. Erkennt er jedoch wirkliches Interesse, so taut er bald
auf und legt eine naive Heiterkeit an den Tag, die aber gelegentlich mit einer
kleinen Dosis Bitterkeit gemischt ist. "Wenn wir die Eisenbahn nur zehn Jahre
früher bekommen Hütten!" das ist der gewöhnliche Refrain seiner oft nur zu
berechtigten Klagen. Im Kampfe um das tägliche Brot hat sich sein Verstand
geschärft; die Skepsis, mit der er alles Neue betrachtet, entbehrt keineswegs
der Logik. Als guter Katholik ist er fromm, ohne gerade bigott zu sein, für
den Neubau oder die Ausschmückung der Kirche seines Heimatorts hat er,
wenn er auch sonst noch so kümmerlich lebt, immer einige Groschen übrig. In
seinein Wohngelaß, das er häufig mit den Hühnern teilt, hängt außer einem
Madonnenbilde -- besonders häufig sah ich Guido Renis Madonna -- auch
das Bild des Papstes, aber ebensowenig fehlt ein Kaiserporträt oder ein
Gruppenbild der kaiserlichen Familie. Die Wirtsstuben, auch die bescheidensten,
weisen neben Reklameplakaten durchgehends patriotische Darstellungen als
Wandschmuck auf. Von dem bekannten Gruppenbilde des alten Kaisers, des
damaligen Kronprinzen Friedrich Wilhelm, des Prinzen Wilhelm und dessen
Erstgebornen, den der greise Urgroßvater im Arme hält, scheint die ganze Rest¬
auslage in die Eifel gelangt zu sein; das Bild fand ich auf meiner Reise wohl
an die zwanzigmal.

Das kleine Atman hat außer einigen kleinen Wirtshäusern vier ganz an¬
sehnliche Gasthöfe, in denen Touristen mit nicht gerade übertriebnen Ansprüchen
gute Unterkunft finden. Während der Herbstferien pflegen hier häufig rheinische
Familien Aufenthalt zu nehmen, um von Atman aus die Hohe Eifel zu be¬
suchen, deren höchste Erhebung, die 760 Meter hohe Basaltkuppe "Hohe Acht"
uur acht Kilometer entfernt ist. Die Aussicht von dort oben ist eine der gro߬
artigsten der ganzen Rheinprovinz. Bei klarem Wetter schweift der Blick über
den größten Teil der Eifel von den Ardennen bis zum Westerwald. Unter
besonders günstigen Witterungsverhältnissen soll sogar der Kölner Dom deutlich
erkennbar sein.

Das Ziel meiner ersten Wanderung war Blankenheim. Ich verließ Atman
am nördlichen Ende des Orts und wanderte die anfangs stark ansteigende Land¬
straße empor. Ich muß hier gleich bemerken, daß die Eifeler Chausseen wahre


Grenzboten IV 1S00 ^
Herbsttage in der Lisel

lagert warm. Der Eifeler Bauer, unter seinen Berufsgenossen im deutschen
Vnterlaude vielleicht der allerkonservativste, lernt dank der ihm durch die neuer¬
dings zahlreich begründeten landwirtschaftlichen Kasinos zu teil gewordnen Be¬
lehrung allmählich einsehen, daß sein Acker bei zweckentsprechender Bewirt¬
schaftung durchaus nicht so unergiebig ist, wie er bisher annahm. Namentlich
von der Wirkung künstlicher Düngstoffe, gegen deren Einführung man sich an¬
fangs geradezu gewehrt hatte, wußten mir zwei Landleute, mit denen ich über
diesen für die Eifel so wichtigen Gegenstand sprach, wahre Wunder zu er¬
zählen.

Im allgemeinen ist der Eifeler Bauer ein Mensch von recht einsilbiger
Natur, der auf Erkundigungen uach seiner Lebensführung mit großer Zurück¬
haltung antwortet. Erkennt er jedoch wirkliches Interesse, so taut er bald
auf und legt eine naive Heiterkeit an den Tag, die aber gelegentlich mit einer
kleinen Dosis Bitterkeit gemischt ist. „Wenn wir die Eisenbahn nur zehn Jahre
früher bekommen Hütten!" das ist der gewöhnliche Refrain seiner oft nur zu
berechtigten Klagen. Im Kampfe um das tägliche Brot hat sich sein Verstand
geschärft; die Skepsis, mit der er alles Neue betrachtet, entbehrt keineswegs
der Logik. Als guter Katholik ist er fromm, ohne gerade bigott zu sein, für
den Neubau oder die Ausschmückung der Kirche seines Heimatorts hat er,
wenn er auch sonst noch so kümmerlich lebt, immer einige Groschen übrig. In
seinein Wohngelaß, das er häufig mit den Hühnern teilt, hängt außer einem
Madonnenbilde — besonders häufig sah ich Guido Renis Madonna — auch
das Bild des Papstes, aber ebensowenig fehlt ein Kaiserporträt oder ein
Gruppenbild der kaiserlichen Familie. Die Wirtsstuben, auch die bescheidensten,
weisen neben Reklameplakaten durchgehends patriotische Darstellungen als
Wandschmuck auf. Von dem bekannten Gruppenbilde des alten Kaisers, des
damaligen Kronprinzen Friedrich Wilhelm, des Prinzen Wilhelm und dessen
Erstgebornen, den der greise Urgroßvater im Arme hält, scheint die ganze Rest¬
auslage in die Eifel gelangt zu sein; das Bild fand ich auf meiner Reise wohl
an die zwanzigmal.

Das kleine Atman hat außer einigen kleinen Wirtshäusern vier ganz an¬
sehnliche Gasthöfe, in denen Touristen mit nicht gerade übertriebnen Ansprüchen
gute Unterkunft finden. Während der Herbstferien pflegen hier häufig rheinische
Familien Aufenthalt zu nehmen, um von Atman aus die Hohe Eifel zu be¬
suchen, deren höchste Erhebung, die 760 Meter hohe Basaltkuppe „Hohe Acht"
uur acht Kilometer entfernt ist. Die Aussicht von dort oben ist eine der gro߬
artigsten der ganzen Rheinprovinz. Bei klarem Wetter schweift der Blick über
den größten Teil der Eifel von den Ardennen bis zum Westerwald. Unter
besonders günstigen Witterungsverhältnissen soll sogar der Kölner Dom deutlich
erkennbar sein.

Das Ziel meiner ersten Wanderung war Blankenheim. Ich verließ Atman
am nördlichen Ende des Orts und wanderte die anfangs stark ansteigende Land¬
straße empor. Ich muß hier gleich bemerken, daß die Eifeler Chausseen wahre


Grenzboten IV 1S00 ^
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[0371] Herbsttage in der Lisel lagert warm. Der Eifeler Bauer, unter seinen Berufsgenossen im deutschen Vnterlaude vielleicht der allerkonservativste, lernt dank der ihm durch die neuer¬ dings zahlreich begründeten landwirtschaftlichen Kasinos zu teil gewordnen Be¬ lehrung allmählich einsehen, daß sein Acker bei zweckentsprechender Bewirt¬ schaftung durchaus nicht so unergiebig ist, wie er bisher annahm. Namentlich von der Wirkung künstlicher Düngstoffe, gegen deren Einführung man sich an¬ fangs geradezu gewehrt hatte, wußten mir zwei Landleute, mit denen ich über diesen für die Eifel so wichtigen Gegenstand sprach, wahre Wunder zu er¬ zählen. Im allgemeinen ist der Eifeler Bauer ein Mensch von recht einsilbiger Natur, der auf Erkundigungen uach seiner Lebensführung mit großer Zurück¬ haltung antwortet. Erkennt er jedoch wirkliches Interesse, so taut er bald auf und legt eine naive Heiterkeit an den Tag, die aber gelegentlich mit einer kleinen Dosis Bitterkeit gemischt ist. „Wenn wir die Eisenbahn nur zehn Jahre früher bekommen Hütten!" das ist der gewöhnliche Refrain seiner oft nur zu berechtigten Klagen. Im Kampfe um das tägliche Brot hat sich sein Verstand geschärft; die Skepsis, mit der er alles Neue betrachtet, entbehrt keineswegs der Logik. Als guter Katholik ist er fromm, ohne gerade bigott zu sein, für den Neubau oder die Ausschmückung der Kirche seines Heimatorts hat er, wenn er auch sonst noch so kümmerlich lebt, immer einige Groschen übrig. In seinein Wohngelaß, das er häufig mit den Hühnern teilt, hängt außer einem Madonnenbilde — besonders häufig sah ich Guido Renis Madonna — auch das Bild des Papstes, aber ebensowenig fehlt ein Kaiserporträt oder ein Gruppenbild der kaiserlichen Familie. Die Wirtsstuben, auch die bescheidensten, weisen neben Reklameplakaten durchgehends patriotische Darstellungen als Wandschmuck auf. Von dem bekannten Gruppenbilde des alten Kaisers, des damaligen Kronprinzen Friedrich Wilhelm, des Prinzen Wilhelm und dessen Erstgebornen, den der greise Urgroßvater im Arme hält, scheint die ganze Rest¬ auslage in die Eifel gelangt zu sein; das Bild fand ich auf meiner Reise wohl an die zwanzigmal. Das kleine Atman hat außer einigen kleinen Wirtshäusern vier ganz an¬ sehnliche Gasthöfe, in denen Touristen mit nicht gerade übertriebnen Ansprüchen gute Unterkunft finden. Während der Herbstferien pflegen hier häufig rheinische Familien Aufenthalt zu nehmen, um von Atman aus die Hohe Eifel zu be¬ suchen, deren höchste Erhebung, die 760 Meter hohe Basaltkuppe „Hohe Acht" uur acht Kilometer entfernt ist. Die Aussicht von dort oben ist eine der gro߬ artigsten der ganzen Rheinprovinz. Bei klarem Wetter schweift der Blick über den größten Teil der Eifel von den Ardennen bis zum Westerwald. Unter besonders günstigen Witterungsverhältnissen soll sogar der Kölner Dom deutlich erkennbar sein. Das Ziel meiner ersten Wanderung war Blankenheim. Ich verließ Atman am nördlichen Ende des Orts und wanderte die anfangs stark ansteigende Land¬ straße empor. Ich muß hier gleich bemerken, daß die Eifeler Chausseen wahre Grenzboten IV 1S00 ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/371>, abgerufen am 29.06.2024.