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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Herbsttage in der Lisel

gaus gesegneten Gebreiten, heiter verquickt: über der Thür eines den rheinischen
Malern und Poeten wohlbekannten Gasthauses thront Se. Petrus mit dem
Himmelsschlüssel. Lächelnd sieht er auf den durstigen Wandrer, der in dieses
kleine Paradies einzieht, er weiß aus langjähriger Erfahrung, daß nicht jeder
das Haus so sichern Schrittes verläßt, wie er es betritt. Denn der Walporz-
heimer, dieser König der würzigen "Ahrbleicherte," ist ein tückischer Tropfen,
der sich wie Wasser trinkt, aber auch dem erprobten Zecher bald zu Kopf
steigt.

Oberhalb des Ortes springt eine messerscharfe, phantastisch geformte Fels¬
platte, die sogenannte "Bunte Kuh," weit über das Flußbett vor, an dem bald
darauf steile Berghänge, die berühmten Weinlager des Beatrixbergs und der
Klosterlei aufsteigen. Rechts in der Thalbiegung grüßen die mit Schlinggewächsen
übersponnenen Trümmer eines 1811 ausgehöhlten und gesprengten Augustiner¬
nonnenklosters. Das Thal wird nun immer enger, wilder und malerischer; an
den Weinorten Demen und Mayschoß vorbei eilt der Zug über kunstvoll an¬
gelegte Brücken, Viadukte und in den Felsen gehauene Straßen nach Altencchr,
der Perle des ganzen Thals. Hoch oben auf schroffem Grat kleben die letzten
Ruinen der alten kurkölnischer Zwingburg Are, deren Mauern die Bürger
Altencchrs, der ewigen Fehden und Belagerungen müde, im Jahre 1714 nieder¬
rissen. Allmählich verändert sich der Charakter des Thals, die Weinberge ver¬
schwinden, die Berge werden weniger steil und bedecken sich mit Wald, und
der Fluß zieht gemächlich durch Wiesen dahin. Bei Dümpelfeld verläßt die
Bahn das Thal der Ahr, um nun dem des Adenauer Bachs aufwärts zu
folgen. Nach kurzer Fahrt läuft der Zug in Atman, der Endstation der Ahr-
thalbahn, ein. Der Ort, ein freundliches, saubres Kreisstädtchen von etwa
1700 Einwohnern, zieht sich, wie die meisten Eifelstüdte, im engen Thale,
jeder Biegung des Flußlaufs folgend, langgestreckt dahin. Seine nahezu
tausendjährige Vergangenheit merkt man ihm nicht an; wir dürfen annehmen,
daß Atman wie so viele andre Orte der Gegend wiederholt durch Feuers¬
brünste zerstört worden ist, deren Ausbruch und Umsichgreifen durch die Lage
und Bauart der Häuser und nicht zum wenigsten durch die früher hier all¬
gemein übliche Strohbedachung begünstigt wurde. Ein Franziskanerkloster,
jedenfalls eine der ältesten Niederlassungen des Ordens in dieser Gegend, ist
spurlos verschwunden, das Hans des Johanniterordens, ein ziemlich bescheidner
Bau, ist heute zum Teil der königlichen Oberförsterei eingeräumt worden.
Recht malerisch nimmt sich der Marktplatz aus, er wird von stattlichen, zum
Teil mit Wappen und Inschriften geschmückten alten Häusern eingefaßt, deren
einige einen weit überhängenden, auf Pfosten gestützten Oberbau aufweisen.
An Läden fehlt es nicht, doch sind die feilgehaltnen Waren nach südländischem
Brauche an den Häusern entlang auf den Schrittsteinen ausgebreitet. Obgleich
die Landwirtschaft gerade im Kreise Atman gegen die Viehzucht zurücktritt,
bemerkte ich, wie später in andern Teilen der Eifel noch häufiger, landwirt¬
schaftliche Maschinen zum Kaufe ausgestellt, die immer von Interessenten um-


Herbsttage in der Lisel

gaus gesegneten Gebreiten, heiter verquickt: über der Thür eines den rheinischen
Malern und Poeten wohlbekannten Gasthauses thront Se. Petrus mit dem
Himmelsschlüssel. Lächelnd sieht er auf den durstigen Wandrer, der in dieses
kleine Paradies einzieht, er weiß aus langjähriger Erfahrung, daß nicht jeder
das Haus so sichern Schrittes verläßt, wie er es betritt. Denn der Walporz-
heimer, dieser König der würzigen „Ahrbleicherte," ist ein tückischer Tropfen,
der sich wie Wasser trinkt, aber auch dem erprobten Zecher bald zu Kopf
steigt.

Oberhalb des Ortes springt eine messerscharfe, phantastisch geformte Fels¬
platte, die sogenannte „Bunte Kuh," weit über das Flußbett vor, an dem bald
darauf steile Berghänge, die berühmten Weinlager des Beatrixbergs und der
Klosterlei aufsteigen. Rechts in der Thalbiegung grüßen die mit Schlinggewächsen
übersponnenen Trümmer eines 1811 ausgehöhlten und gesprengten Augustiner¬
nonnenklosters. Das Thal wird nun immer enger, wilder und malerischer; an
den Weinorten Demen und Mayschoß vorbei eilt der Zug über kunstvoll an¬
gelegte Brücken, Viadukte und in den Felsen gehauene Straßen nach Altencchr,
der Perle des ganzen Thals. Hoch oben auf schroffem Grat kleben die letzten
Ruinen der alten kurkölnischer Zwingburg Are, deren Mauern die Bürger
Altencchrs, der ewigen Fehden und Belagerungen müde, im Jahre 1714 nieder¬
rissen. Allmählich verändert sich der Charakter des Thals, die Weinberge ver¬
schwinden, die Berge werden weniger steil und bedecken sich mit Wald, und
der Fluß zieht gemächlich durch Wiesen dahin. Bei Dümpelfeld verläßt die
Bahn das Thal der Ahr, um nun dem des Adenauer Bachs aufwärts zu
folgen. Nach kurzer Fahrt läuft der Zug in Atman, der Endstation der Ahr-
thalbahn, ein. Der Ort, ein freundliches, saubres Kreisstädtchen von etwa
1700 Einwohnern, zieht sich, wie die meisten Eifelstüdte, im engen Thale,
jeder Biegung des Flußlaufs folgend, langgestreckt dahin. Seine nahezu
tausendjährige Vergangenheit merkt man ihm nicht an; wir dürfen annehmen,
daß Atman wie so viele andre Orte der Gegend wiederholt durch Feuers¬
brünste zerstört worden ist, deren Ausbruch und Umsichgreifen durch die Lage
und Bauart der Häuser und nicht zum wenigsten durch die früher hier all¬
gemein übliche Strohbedachung begünstigt wurde. Ein Franziskanerkloster,
jedenfalls eine der ältesten Niederlassungen des Ordens in dieser Gegend, ist
spurlos verschwunden, das Hans des Johanniterordens, ein ziemlich bescheidner
Bau, ist heute zum Teil der königlichen Oberförsterei eingeräumt worden.
Recht malerisch nimmt sich der Marktplatz aus, er wird von stattlichen, zum
Teil mit Wappen und Inschriften geschmückten alten Häusern eingefaßt, deren
einige einen weit überhängenden, auf Pfosten gestützten Oberbau aufweisen.
An Läden fehlt es nicht, doch sind die feilgehaltnen Waren nach südländischem
Brauche an den Häusern entlang auf den Schrittsteinen ausgebreitet. Obgleich
die Landwirtschaft gerade im Kreise Atman gegen die Viehzucht zurücktritt,
bemerkte ich, wie später in andern Teilen der Eifel noch häufiger, landwirt¬
schaftliche Maschinen zum Kaufe ausgestellt, die immer von Interessenten um-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/370>, abgerufen am 29.06.2024.