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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Neue Bücher über Musik

deutsche Arbeit auch im Auslande wirkt, wie die Opferwilligkeit und Be¬
geisterung einzelner Männer schließlich die Regierungen und Kultusministerien
ans Werk ruft. Wenigstens ans deutschem Kulturgebiet, wo jetzt zu gleicher
Zeit "Denkmäler der deutschen Tonkunst" -- in zwei selbständigen Abtei¬
lungen, die eine unter dem preußischen, die andre unter dem bayrischen
Kultusministerium -- und "Denkmäler der Tonkunst in Österreich"*) heraus¬
gegeben werden! Hohenemser giebt zuviel unnötiges Wissen zum besten, z. B,
eine Kritik Rossinis, er zeigt, um es kurz zu sagen, sehr viel Unreife, Es finden
sich infolgedessen eine Menge Stellen in seiner Arbeit, die unbedingt nicht
Hütten in Druck kommeu dürfen. Über Bach, Seite 10, lesen wir nach nicht:
Der Umschwung, der sich in der Zeit Bachs, um die Mitte des achtzehnten
Jahrhunderts in der Tonkunst vollzogen habe, sei der größte, den die Musik¬
geschichte kenne. Auf der folgenden heißes: Erst durch Bach sei die Instrumental¬
musik zur Gleichberechtigung mit dem Gesang erhoben worden. Seite 18 be¬
hauptet Hohenemser, um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts sei der Chor¬
gesang aus dein protestantischen Gottesdienst verschwunden. Solche Behaup¬
tungen kann man einem Riese verzeihen, in Arbeiten, die die Musikwissenschaft
auf deutschen Hochschulen vertreten sollen, dürfen sie nicht vorkommen. Seite 24
soll die Bach-Gesellschaft mit Herstellung von Klnvierauszügen beschäftigt sein.
Mit noch mehr Mißverständnissen wird Händel behandelt. Hohenemser scheint
es nicht zu wissen, daß die Engländer den hundertjährigen Geburtstag Händels
schon 1784, also ein Jahr zu früh gefeiert haben; unter den Bearbeitungen
des "Messias" nenut er die von R. Franz die meistbenutzte, während es die
Mozartsche ist; er tadelt den allerdings bedenklichen Mosel da, wo grundsätzlich
nichts zu tadeln ist, nämlich wegen der Kürzungen und Anstellungen und
schreibt endlich den Chrysanderschen Einrichtungen Ansprüche zu, die sie uicht
erheben.

Wir haben es also in dein vierten Stück der Sammlung mit der unzu¬
reichenden Ausführung eines glücklich gewählten Themas, aber jedenfalls mit
einer begabten Kraft zu thun. Die Bekanntschaft mit jungen Namen und
Debütanten ist ein Reiz mehr an dem erfreulichen und wichtigen Unternehmen,
dem wir einen glücklichen Fortgang wünschen.





*) Die "Gesellschaft zur Herausgabe von Denkmälern der Tonkunst" hat jüngst einen offi¬
ziellen Bericht veröffentlicht, der über den Inhalt der Bünde, über Statuten, über Leitung und
Mitglieder Auskunft giebt.
Neue Bücher über Musik

deutsche Arbeit auch im Auslande wirkt, wie die Opferwilligkeit und Be¬
geisterung einzelner Männer schließlich die Regierungen und Kultusministerien
ans Werk ruft. Wenigstens ans deutschem Kulturgebiet, wo jetzt zu gleicher
Zeit „Denkmäler der deutschen Tonkunst" — in zwei selbständigen Abtei¬
lungen, die eine unter dem preußischen, die andre unter dem bayrischen
Kultusministerium — und „Denkmäler der Tonkunst in Österreich"*) heraus¬
gegeben werden! Hohenemser giebt zuviel unnötiges Wissen zum besten, z. B,
eine Kritik Rossinis, er zeigt, um es kurz zu sagen, sehr viel Unreife, Es finden
sich infolgedessen eine Menge Stellen in seiner Arbeit, die unbedingt nicht
Hütten in Druck kommeu dürfen. Über Bach, Seite 10, lesen wir nach nicht:
Der Umschwung, der sich in der Zeit Bachs, um die Mitte des achtzehnten
Jahrhunderts in der Tonkunst vollzogen habe, sei der größte, den die Musik¬
geschichte kenne. Auf der folgenden heißes: Erst durch Bach sei die Instrumental¬
musik zur Gleichberechtigung mit dem Gesang erhoben worden. Seite 18 be¬
hauptet Hohenemser, um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts sei der Chor¬
gesang aus dein protestantischen Gottesdienst verschwunden. Solche Behaup¬
tungen kann man einem Riese verzeihen, in Arbeiten, die die Musikwissenschaft
auf deutschen Hochschulen vertreten sollen, dürfen sie nicht vorkommen. Seite 24
soll die Bach-Gesellschaft mit Herstellung von Klnvierauszügen beschäftigt sein.
Mit noch mehr Mißverständnissen wird Händel behandelt. Hohenemser scheint
es nicht zu wissen, daß die Engländer den hundertjährigen Geburtstag Händels
schon 1784, also ein Jahr zu früh gefeiert haben; unter den Bearbeitungen
des „Messias" nenut er die von R. Franz die meistbenutzte, während es die
Mozartsche ist; er tadelt den allerdings bedenklichen Mosel da, wo grundsätzlich
nichts zu tadeln ist, nämlich wegen der Kürzungen und Anstellungen und
schreibt endlich den Chrysanderschen Einrichtungen Ansprüche zu, die sie uicht
erheben.

Wir haben es also in dein vierten Stück der Sammlung mit der unzu¬
reichenden Ausführung eines glücklich gewählten Themas, aber jedenfalls mit
einer begabten Kraft zu thun. Die Bekanntschaft mit jungen Namen und
Debütanten ist ein Reiz mehr an dem erfreulichen und wichtigen Unternehmen,
dem wir einen glücklichen Fortgang wünschen.





*) Die „Gesellschaft zur Herausgabe von Denkmälern der Tonkunst" hat jüngst einen offi¬
ziellen Bericht veröffentlicht, der über den Inhalt der Bünde, über Statuten, über Leitung und
Mitglieder Auskunft giebt.
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[0365] Neue Bücher über Musik deutsche Arbeit auch im Auslande wirkt, wie die Opferwilligkeit und Be¬ geisterung einzelner Männer schließlich die Regierungen und Kultusministerien ans Werk ruft. Wenigstens ans deutschem Kulturgebiet, wo jetzt zu gleicher Zeit „Denkmäler der deutschen Tonkunst" — in zwei selbständigen Abtei¬ lungen, die eine unter dem preußischen, die andre unter dem bayrischen Kultusministerium — und „Denkmäler der Tonkunst in Österreich"*) heraus¬ gegeben werden! Hohenemser giebt zuviel unnötiges Wissen zum besten, z. B, eine Kritik Rossinis, er zeigt, um es kurz zu sagen, sehr viel Unreife, Es finden sich infolgedessen eine Menge Stellen in seiner Arbeit, die unbedingt nicht Hütten in Druck kommeu dürfen. Über Bach, Seite 10, lesen wir nach nicht: Der Umschwung, der sich in der Zeit Bachs, um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts in der Tonkunst vollzogen habe, sei der größte, den die Musik¬ geschichte kenne. Auf der folgenden heißes: Erst durch Bach sei die Instrumental¬ musik zur Gleichberechtigung mit dem Gesang erhoben worden. Seite 18 be¬ hauptet Hohenemser, um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts sei der Chor¬ gesang aus dein protestantischen Gottesdienst verschwunden. Solche Behaup¬ tungen kann man einem Riese verzeihen, in Arbeiten, die die Musikwissenschaft auf deutschen Hochschulen vertreten sollen, dürfen sie nicht vorkommen. Seite 24 soll die Bach-Gesellschaft mit Herstellung von Klnvierauszügen beschäftigt sein. Mit noch mehr Mißverständnissen wird Händel behandelt. Hohenemser scheint es nicht zu wissen, daß die Engländer den hundertjährigen Geburtstag Händels schon 1784, also ein Jahr zu früh gefeiert haben; unter den Bearbeitungen des „Messias" nenut er die von R. Franz die meistbenutzte, während es die Mozartsche ist; er tadelt den allerdings bedenklichen Mosel da, wo grundsätzlich nichts zu tadeln ist, nämlich wegen der Kürzungen und Anstellungen und schreibt endlich den Chrysanderschen Einrichtungen Ansprüche zu, die sie uicht erheben. Wir haben es also in dein vierten Stück der Sammlung mit der unzu¬ reichenden Ausführung eines glücklich gewählten Themas, aber jedenfalls mit einer begabten Kraft zu thun. Die Bekanntschaft mit jungen Namen und Debütanten ist ein Reiz mehr an dem erfreulichen und wichtigen Unternehmen, dem wir einen glücklichen Fortgang wünschen. *) Die „Gesellschaft zur Herausgabe von Denkmälern der Tonkunst" hat jüngst einen offi¬ ziellen Bericht veröffentlicht, der über den Inhalt der Bünde, über Statuten, über Leitung und Mitglieder Auskunft giebt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/365>, abgerufen am 28.06.2024.