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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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China

alle Seen und schiffbaren Flüsse untereinander, und man kann durch alle
Provinzen reisen, ohne daß man nötig Hütte, sein Fahrzeug zu verlassen."
Zahllose Schiffe beleben den Strom, seine Nebenflüsse, Seen und Kanäle.
Es ist erklärlich, daß die Engländer auf dieses ungeheure Handelsgelnet des
Nantse-Kiang immer ein lüsternes Auge gerichtet haben. Aber wenn Huc
Recht hat, so wird daS weitere Vordringen des europäischen Absatzes immer
mit Schwierigkeiten zu kämpfen haben.

"Die chinesische Regierung, sagt Huc, hat niemals den Handel mit den
Europäern begünstigt, sondern hat ihm im Gegenteil Hindernisse in den Weg
gelegt und würde ihn am liebsten ganz beseitigt haben, weil sie glaubt, daß
er die wahren Interessen des Landes beeinträchtige. Sie meint, der Handel
sei für das Land nur dann ersprießlich, wenn er es überflüssiger Artikel ent¬
ledige und dafür nützliche und notwendige Waren herbeischaffe. Diesem
Grundsatz gemäß folgert sie, daß, indem der auswärtige Handel die gewöhn¬
liche Quantität Seide, Thee und Porzellan vermindere und zugleich eben da¬
durch den Preis aller dieser Waren in den Provinzen steigere, er dem Reiche
keinen Vorteil bringe; es sei deshalb geraten, ihn möglichst zu beschränken.
Sie legt ans die europäischen Luxusgegenstände und kostspieligen Bagatellen
der europäischen Industrie keinen Wert und läßt sich dadurch nicht verblenden.
Dagegen ist ihr der Handelsverkehr mit den Mongolen und Russen genehm,
denn durch diesen erhält sie Artikel, deren sämtliche Provinzen bedürfen, nämlich
Leder und Pelzwerk. Überhaupt haben die Chinesen vom Handel ganz andre
Ansichten und Begriffe als die Europäer. Schon vor mehr als zweitausend
Jahren äußerte sich Kuau-the, ein berühmter Staatswirt, in folgender Weise:

"Geld, das durch den Handel ins Land kommt, bereichert es uicht in
demselben Verhältnis, als durch den Handel hinausgeht. Auf die Dauer kann
kein andrer Handel vorteilhaft sein als ein solcher, der im Austausch nützlicher
oder notwendiger Waren besteht. Der Handel mit Gegenständen des Prunks,
der Delikatesse oder der Neugier, mag er durch Tausch oder durch .Kauf ge¬
schehn, hat zur Vorbedingung den Luxus. Dieser besteht darin, daß manche
Bürger eine große Fülle am Überflüssigem haben; das setzt aber voraus, daß
viele andre am notwendigen Mangel leiden. Je mehr Pferde die Reichen vor
ihre Wagen spannen, um so viel mehr andre Leute müsse" zu Fuß gehn; je
größer und prachtvoller ihre Häuser sind, um so kleiner und armseliger sind
die der Dürftigen; je mehr Gerichte ans ihrer Tafel stehn, um so mehr Leute
sehen sich lediglich auf Reis allein angewiesen. Es ist am besten, wenn die
Menschen, die die Staatsgesellschnft ausmachen, durch Gewerbsmnkeit, Arbeit,
Umsicht und Sparsamkeit in einem wohlbevölkerten Reiche soviel erwerben, daß
alle das Notwendige haben, und manche sich das zur Bequemlichkeit Erforder¬
liche verschaffen können."

Wie man hieraus und aus vielen andern höchst interessanten Mitteilungen
Huch sehen kann, haben die chinesischen Sozialpolitiker vor zweitausend Jahren
nicht viel andre Weisheit ans Licht gebracht, als unsre heutigen sozialistischen


China

alle Seen und schiffbaren Flüsse untereinander, und man kann durch alle
Provinzen reisen, ohne daß man nötig Hütte, sein Fahrzeug zu verlassen."
Zahllose Schiffe beleben den Strom, seine Nebenflüsse, Seen und Kanäle.
Es ist erklärlich, daß die Engländer auf dieses ungeheure Handelsgelnet des
Nantse-Kiang immer ein lüsternes Auge gerichtet haben. Aber wenn Huc
Recht hat, so wird daS weitere Vordringen des europäischen Absatzes immer
mit Schwierigkeiten zu kämpfen haben.

„Die chinesische Regierung, sagt Huc, hat niemals den Handel mit den
Europäern begünstigt, sondern hat ihm im Gegenteil Hindernisse in den Weg
gelegt und würde ihn am liebsten ganz beseitigt haben, weil sie glaubt, daß
er die wahren Interessen des Landes beeinträchtige. Sie meint, der Handel
sei für das Land nur dann ersprießlich, wenn er es überflüssiger Artikel ent¬
ledige und dafür nützliche und notwendige Waren herbeischaffe. Diesem
Grundsatz gemäß folgert sie, daß, indem der auswärtige Handel die gewöhn¬
liche Quantität Seide, Thee und Porzellan vermindere und zugleich eben da¬
durch den Preis aller dieser Waren in den Provinzen steigere, er dem Reiche
keinen Vorteil bringe; es sei deshalb geraten, ihn möglichst zu beschränken.
Sie legt ans die europäischen Luxusgegenstände und kostspieligen Bagatellen
der europäischen Industrie keinen Wert und läßt sich dadurch nicht verblenden.
Dagegen ist ihr der Handelsverkehr mit den Mongolen und Russen genehm,
denn durch diesen erhält sie Artikel, deren sämtliche Provinzen bedürfen, nämlich
Leder und Pelzwerk. Überhaupt haben die Chinesen vom Handel ganz andre
Ansichten und Begriffe als die Europäer. Schon vor mehr als zweitausend
Jahren äußerte sich Kuau-the, ein berühmter Staatswirt, in folgender Weise:

„Geld, das durch den Handel ins Land kommt, bereichert es uicht in
demselben Verhältnis, als durch den Handel hinausgeht. Auf die Dauer kann
kein andrer Handel vorteilhaft sein als ein solcher, der im Austausch nützlicher
oder notwendiger Waren besteht. Der Handel mit Gegenständen des Prunks,
der Delikatesse oder der Neugier, mag er durch Tausch oder durch .Kauf ge¬
schehn, hat zur Vorbedingung den Luxus. Dieser besteht darin, daß manche
Bürger eine große Fülle am Überflüssigem haben; das setzt aber voraus, daß
viele andre am notwendigen Mangel leiden. Je mehr Pferde die Reichen vor
ihre Wagen spannen, um so viel mehr andre Leute müsse» zu Fuß gehn; je
größer und prachtvoller ihre Häuser sind, um so kleiner und armseliger sind
die der Dürftigen; je mehr Gerichte ans ihrer Tafel stehn, um so mehr Leute
sehen sich lediglich auf Reis allein angewiesen. Es ist am besten, wenn die
Menschen, die die Staatsgesellschnft ausmachen, durch Gewerbsmnkeit, Arbeit,
Umsicht und Sparsamkeit in einem wohlbevölkerten Reiche soviel erwerben, daß
alle das Notwendige haben, und manche sich das zur Bequemlichkeit Erforder¬
liche verschaffen können."

Wie man hieraus und aus vielen andern höchst interessanten Mitteilungen
Huch sehen kann, haben die chinesischen Sozialpolitiker vor zweitausend Jahren
nicht viel andre Weisheit ans Licht gebracht, als unsre heutigen sozialistischen


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[0349] China alle Seen und schiffbaren Flüsse untereinander, und man kann durch alle Provinzen reisen, ohne daß man nötig Hütte, sein Fahrzeug zu verlassen." Zahllose Schiffe beleben den Strom, seine Nebenflüsse, Seen und Kanäle. Es ist erklärlich, daß die Engländer auf dieses ungeheure Handelsgelnet des Nantse-Kiang immer ein lüsternes Auge gerichtet haben. Aber wenn Huc Recht hat, so wird daS weitere Vordringen des europäischen Absatzes immer mit Schwierigkeiten zu kämpfen haben. „Die chinesische Regierung, sagt Huc, hat niemals den Handel mit den Europäern begünstigt, sondern hat ihm im Gegenteil Hindernisse in den Weg gelegt und würde ihn am liebsten ganz beseitigt haben, weil sie glaubt, daß er die wahren Interessen des Landes beeinträchtige. Sie meint, der Handel sei für das Land nur dann ersprießlich, wenn er es überflüssiger Artikel ent¬ ledige und dafür nützliche und notwendige Waren herbeischaffe. Diesem Grundsatz gemäß folgert sie, daß, indem der auswärtige Handel die gewöhn¬ liche Quantität Seide, Thee und Porzellan vermindere und zugleich eben da¬ durch den Preis aller dieser Waren in den Provinzen steigere, er dem Reiche keinen Vorteil bringe; es sei deshalb geraten, ihn möglichst zu beschränken. Sie legt ans die europäischen Luxusgegenstände und kostspieligen Bagatellen der europäischen Industrie keinen Wert und läßt sich dadurch nicht verblenden. Dagegen ist ihr der Handelsverkehr mit den Mongolen und Russen genehm, denn durch diesen erhält sie Artikel, deren sämtliche Provinzen bedürfen, nämlich Leder und Pelzwerk. Überhaupt haben die Chinesen vom Handel ganz andre Ansichten und Begriffe als die Europäer. Schon vor mehr als zweitausend Jahren äußerte sich Kuau-the, ein berühmter Staatswirt, in folgender Weise: „Geld, das durch den Handel ins Land kommt, bereichert es uicht in demselben Verhältnis, als durch den Handel hinausgeht. Auf die Dauer kann kein andrer Handel vorteilhaft sein als ein solcher, der im Austausch nützlicher oder notwendiger Waren besteht. Der Handel mit Gegenständen des Prunks, der Delikatesse oder der Neugier, mag er durch Tausch oder durch .Kauf ge¬ schehn, hat zur Vorbedingung den Luxus. Dieser besteht darin, daß manche Bürger eine große Fülle am Überflüssigem haben; das setzt aber voraus, daß viele andre am notwendigen Mangel leiden. Je mehr Pferde die Reichen vor ihre Wagen spannen, um so viel mehr andre Leute müsse» zu Fuß gehn; je größer und prachtvoller ihre Häuser sind, um so kleiner und armseliger sind die der Dürftigen; je mehr Gerichte ans ihrer Tafel stehn, um so mehr Leute sehen sich lediglich auf Reis allein angewiesen. Es ist am besten, wenn die Menschen, die die Staatsgesellschnft ausmachen, durch Gewerbsmnkeit, Arbeit, Umsicht und Sparsamkeit in einem wohlbevölkerten Reiche soviel erwerben, daß alle das Notwendige haben, und manche sich das zur Bequemlichkeit Erforder¬ liche verschaffen können." Wie man hieraus und aus vielen andern höchst interessanten Mitteilungen Huch sehen kann, haben die chinesischen Sozialpolitiker vor zweitausend Jahren nicht viel andre Weisheit ans Licht gebracht, als unsre heutigen sozialistischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/349>, abgerufen am 28.09.2024.