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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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China

Propheten, nur scheinen sie sachlicher, praktischer und weniger phantastisch ge¬
wesen zu sein, als unsre Weltverbesserer es oft sind. Wenn aber, wie Huc
angiebt, diese vor zweitausend Jahren geäußerte Ansicht noch heute die der
chinesischen Regierung ist, so muß man, so gern man sie gelten lassen mag,
in ihr doch ein starkes Motiv für die Abneigung gegen die von uns Euro¬
päern so stürmisch geforderte offne Thür anerkennen. Huc meint auch, daß
solange diese Ansicht in Geltung bleibt, europäische Produkte niemals
auf beträchtlichen Absatz rechnen dürften. "Sie wird aber, meint er weiter,
gelten, solange die Chinesen bleiben wollen, was sie nun einmal sind, und
solange sie sich nicht einem andern Geschmack und andern Gewohnheiten zu¬
wenden. Der auswärtige Seehandel liefert ihnen nichts, dessen sie notwendig
bedürften, ja was ihnen auch nur von wirklichem Nutzen wäre; es liegt ihnen
also wenig daran, ob er Ausdehnung gewinnt, oder ob er aufhört." Inzwischen
hat die Erfahrung gelehrt, daß sich Geschmack und Gewohnheiten der Chinesen
denn doch manchen europäischen Erzeugnissen zugewandt haben, sodaß wir
hoffen dürfen, daß diese Änderung auch weiter vorschreiten werde. Schon der
Umstand spricht dafür, daß, wie Huc sagt, die Chinesen an Handelsgeist und
kommerzieller Thätigkeit von keinem andern Volke übertroffen werden. "Ihr
fruchtbares Land liefert eine unendliche Produktenfülle, ihr ausgedehntes Reich
besitzt eine Menge von Verkehrswegen zu Wasser und zu Lande; das Volk ist
allezeit in rührigster Thätigkeit, und zugleich sind Gesetze und Sitten dem
Handelsbetrieb förderlich." Die chinesische "Industrie ist geradezu bewunderungs¬
würdig in Bezug auf alles, was auf nützliche Dinge und Bequemlichkeiten des
Lebens Bezug hat."

Nimmt man alles zusammen, so kommt man immer wieder zu dem Schluß,
daß es ebenso in unserm wie im Interesse Chinas liegt, die Herrschaft der
Mandschu zu beseitigen, wenn nun einmal China in unser europäisches Kultur¬
leben und unsern Verkehr hereingezogen werden muß oder soll. Und dazu dürfte
der günstigste Augenblick nahe bevorstehn. Unter den Mandarinen selbst scheinen
sich ja, und zwar bis in die höchsten Regionen des Beamtentums hinauf, in
neuster Zeit Männer zu zeigen, die einer tiefgreifenden Reform Chinas zustreben.
Das sind unsre gegebnen Bundesgenossen. Helfen wir den Chinesen, sich von
dem Druck dieser Mandschudynnstie samt ihrem räuberischen Beamtenheer zu
befreien, so dürfen wir hoffen, daß nicht nur der von den Mandschu dekretierte
und eingeführte Zopf verschwindet, sondern eine durchgreifende Regeneration
des Volks beginnen werde. Gar manchen bei uns mag diese Aussicht un¬
heimlich und bedrohlich erscheinen. Aber entweder das eine oder das andre
müssen wir doch anstreben: Abgeschlossenheit unter der Herrschaft der Mandschu,
oder Europüisierung Chinas, wie die Japaner, freilich in ihrer japanisierenden
Weise, es wollen, und dann ohne Mandschu. Von der Stellung, die die
fremden Mächte zu der Dynastie einnehmen werden, wird, so scheint es, sehr
wesentlich, wenn nicht die Zukunft Chinas, so doch das Verhalten des künf¬
tigen China zu den europäischen Kulturvölkern abhängen. Und schlimmere


China

Propheten, nur scheinen sie sachlicher, praktischer und weniger phantastisch ge¬
wesen zu sein, als unsre Weltverbesserer es oft sind. Wenn aber, wie Huc
angiebt, diese vor zweitausend Jahren geäußerte Ansicht noch heute die der
chinesischen Regierung ist, so muß man, so gern man sie gelten lassen mag,
in ihr doch ein starkes Motiv für die Abneigung gegen die von uns Euro¬
päern so stürmisch geforderte offne Thür anerkennen. Huc meint auch, daß
solange diese Ansicht in Geltung bleibt, europäische Produkte niemals
auf beträchtlichen Absatz rechnen dürften. „Sie wird aber, meint er weiter,
gelten, solange die Chinesen bleiben wollen, was sie nun einmal sind, und
solange sie sich nicht einem andern Geschmack und andern Gewohnheiten zu¬
wenden. Der auswärtige Seehandel liefert ihnen nichts, dessen sie notwendig
bedürften, ja was ihnen auch nur von wirklichem Nutzen wäre; es liegt ihnen
also wenig daran, ob er Ausdehnung gewinnt, oder ob er aufhört." Inzwischen
hat die Erfahrung gelehrt, daß sich Geschmack und Gewohnheiten der Chinesen
denn doch manchen europäischen Erzeugnissen zugewandt haben, sodaß wir
hoffen dürfen, daß diese Änderung auch weiter vorschreiten werde. Schon der
Umstand spricht dafür, daß, wie Huc sagt, die Chinesen an Handelsgeist und
kommerzieller Thätigkeit von keinem andern Volke übertroffen werden. „Ihr
fruchtbares Land liefert eine unendliche Produktenfülle, ihr ausgedehntes Reich
besitzt eine Menge von Verkehrswegen zu Wasser und zu Lande; das Volk ist
allezeit in rührigster Thätigkeit, und zugleich sind Gesetze und Sitten dem
Handelsbetrieb förderlich." Die chinesische „Industrie ist geradezu bewunderungs¬
würdig in Bezug auf alles, was auf nützliche Dinge und Bequemlichkeiten des
Lebens Bezug hat."

Nimmt man alles zusammen, so kommt man immer wieder zu dem Schluß,
daß es ebenso in unserm wie im Interesse Chinas liegt, die Herrschaft der
Mandschu zu beseitigen, wenn nun einmal China in unser europäisches Kultur¬
leben und unsern Verkehr hereingezogen werden muß oder soll. Und dazu dürfte
der günstigste Augenblick nahe bevorstehn. Unter den Mandarinen selbst scheinen
sich ja, und zwar bis in die höchsten Regionen des Beamtentums hinauf, in
neuster Zeit Männer zu zeigen, die einer tiefgreifenden Reform Chinas zustreben.
Das sind unsre gegebnen Bundesgenossen. Helfen wir den Chinesen, sich von
dem Druck dieser Mandschudynnstie samt ihrem räuberischen Beamtenheer zu
befreien, so dürfen wir hoffen, daß nicht nur der von den Mandschu dekretierte
und eingeführte Zopf verschwindet, sondern eine durchgreifende Regeneration
des Volks beginnen werde. Gar manchen bei uns mag diese Aussicht un¬
heimlich und bedrohlich erscheinen. Aber entweder das eine oder das andre
müssen wir doch anstreben: Abgeschlossenheit unter der Herrschaft der Mandschu,
oder Europüisierung Chinas, wie die Japaner, freilich in ihrer japanisierenden
Weise, es wollen, und dann ohne Mandschu. Von der Stellung, die die
fremden Mächte zu der Dynastie einnehmen werden, wird, so scheint es, sehr
wesentlich, wenn nicht die Zukunft Chinas, so doch das Verhalten des künf¬
tigen China zu den europäischen Kulturvölkern abhängen. Und schlimmere


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/350>, abgerufen am 26.06.2024.