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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Sonne getreten sein, als Diogenes ihn darum bat, und so mancher von uns
mag schon einen unerbetnen Gast zum Hause hinaus geworfen haben. Dürfte
man hoffen, alle Chinesen oder doch die meisten von ihnen zum Christentum
zu bekehren, so möchte allerdings auch die Hoffnung berechtigt sein, daß in
China eine radikale Umwandlung, vielleicht in unserm Sinne und vielleicht
sogar in unserm Interesse Platz greifen werde. Dies steht aber nach allen
Wahrnehmungen und Wahrscheinlichkeiten durchaus nicht zu hoffen; wenigstens
nicht auf dem bisher eingeschlagnen Wege, und solange als China so bleibt,
wie es ist. Mit der religiösen Waffe ist das heutige China nicht zu über¬
winden, weshalb wir besser thäten, unser Geld daheim für unsre innern Be¬
dürfnisse zu verwenden, die freilich weniger "interessant" sind. Anders steht
es mit unserm chinesischen Warenverkehr. Wie die Dinge nun einmal liegen,
können wir nicht plötzlich den Handel mit China abbrechen, müssen wir unsre
Handelsleute und Handelsinteressen dort schützen.

Wären die Staaten europäischer Kultur untereinander einig, so ließe sich
als zu erstrebendes Ziel denken, daß China uns freien Handel gewährte und
im übrigen abgeschlossen bliebe, wie es bis vor etwa fünfzig Jahren war. So
wäre China ein nützliches Absatzgebiet für unsre Erzeugnisse, und wäre keine
Gefahr für unsre Industrie. Wird China geöffnet in dem Sinne, wie viele
es heute bei uns wünschen, dann ersteht uns in der That eine Bedrohung
durch die gelbe Rasse. Die Amerikaner haben sich längst gegen chinesische
Einwcmdrung durch Gesetze geschützt. Bisher hinderte die chinesische Negierung
die Auswandrung; bisher wurde sie dadurch auch gehindert, daß der Chinese
auf heimischer Erde sterben oder wenigstens in ihr begraben sein wollte. Ein
kaiserliches gegen diese Sitte gerichtetes Dekret, die Begünstigung der Aus-
wandrung durch einen künftigen, reformeifrigen Kaiser kann den Strom so ver¬
stärken, daß unsre sozialen und wirtschaftlichen Zustände durch ihn in große
Gefahr geraten würden. Wenn wir in Ostelbien keine Polen ertragen können,
wenn der Berliner den "Schlesinger" nicht in den Fabriken dulden will, wie
sollten wir chinesische Kukis dulden, auch wenn sie fünffach billiger wären als
deutsche Arbeiter?

Aber die Kukis brauchen gar nicht erst zu uns zu kommen und uns dadurch
lästig werden. Indien war eine Goldgrube für England, weil es das reiche
Absatzgebiet der englischen Industrie war. Heute liefert die Goldgrube immer
weniger, weil das Land ärmer geworden ist, aber auch weil der Engländer in
Indien selbst eine Industrie ins Leben gerufen hat, die der englischen erfolg¬
reich Konkurrenz macht. Und sie macht erfolgreich Konkurrenz, weil die indische
Arbeitskraft billiger ist als die englische. Wenn nun so der indische Arbeiter
den englischen, den europäischen schlägt, wie viel mehr der fleißigere, intelligente,
zähe, bedürfnislose, gerade für technisch-mechanische Arbeit ausgezeichnet be¬
gabte Chinese? Wir sehen ja auch in Japan, wie dort ein Industriezweig
nach dem andern die europäische Ware verdrängt und schon bis nach Europa
hin konkurrierend und erfolgreich auftritt. In China sind am Kantonflusse,


Lhina

Sonne getreten sein, als Diogenes ihn darum bat, und so mancher von uns
mag schon einen unerbetnen Gast zum Hause hinaus geworfen haben. Dürfte
man hoffen, alle Chinesen oder doch die meisten von ihnen zum Christentum
zu bekehren, so möchte allerdings auch die Hoffnung berechtigt sein, daß in
China eine radikale Umwandlung, vielleicht in unserm Sinne und vielleicht
sogar in unserm Interesse Platz greifen werde. Dies steht aber nach allen
Wahrnehmungen und Wahrscheinlichkeiten durchaus nicht zu hoffen; wenigstens
nicht auf dem bisher eingeschlagnen Wege, und solange als China so bleibt,
wie es ist. Mit der religiösen Waffe ist das heutige China nicht zu über¬
winden, weshalb wir besser thäten, unser Geld daheim für unsre innern Be¬
dürfnisse zu verwenden, die freilich weniger „interessant" sind. Anders steht
es mit unserm chinesischen Warenverkehr. Wie die Dinge nun einmal liegen,
können wir nicht plötzlich den Handel mit China abbrechen, müssen wir unsre
Handelsleute und Handelsinteressen dort schützen.

Wären die Staaten europäischer Kultur untereinander einig, so ließe sich
als zu erstrebendes Ziel denken, daß China uns freien Handel gewährte und
im übrigen abgeschlossen bliebe, wie es bis vor etwa fünfzig Jahren war. So
wäre China ein nützliches Absatzgebiet für unsre Erzeugnisse, und wäre keine
Gefahr für unsre Industrie. Wird China geöffnet in dem Sinne, wie viele
es heute bei uns wünschen, dann ersteht uns in der That eine Bedrohung
durch die gelbe Rasse. Die Amerikaner haben sich längst gegen chinesische
Einwcmdrung durch Gesetze geschützt. Bisher hinderte die chinesische Negierung
die Auswandrung; bisher wurde sie dadurch auch gehindert, daß der Chinese
auf heimischer Erde sterben oder wenigstens in ihr begraben sein wollte. Ein
kaiserliches gegen diese Sitte gerichtetes Dekret, die Begünstigung der Aus-
wandrung durch einen künftigen, reformeifrigen Kaiser kann den Strom so ver¬
stärken, daß unsre sozialen und wirtschaftlichen Zustände durch ihn in große
Gefahr geraten würden. Wenn wir in Ostelbien keine Polen ertragen können,
wenn der Berliner den „Schlesinger" nicht in den Fabriken dulden will, wie
sollten wir chinesische Kukis dulden, auch wenn sie fünffach billiger wären als
deutsche Arbeiter?

Aber die Kukis brauchen gar nicht erst zu uns zu kommen und uns dadurch
lästig werden. Indien war eine Goldgrube für England, weil es das reiche
Absatzgebiet der englischen Industrie war. Heute liefert die Goldgrube immer
weniger, weil das Land ärmer geworden ist, aber auch weil der Engländer in
Indien selbst eine Industrie ins Leben gerufen hat, die der englischen erfolg¬
reich Konkurrenz macht. Und sie macht erfolgreich Konkurrenz, weil die indische
Arbeitskraft billiger ist als die englische. Wenn nun so der indische Arbeiter
den englischen, den europäischen schlägt, wie viel mehr der fleißigere, intelligente,
zähe, bedürfnislose, gerade für technisch-mechanische Arbeit ausgezeichnet be¬
gabte Chinese? Wir sehen ja auch in Japan, wie dort ein Industriezweig
nach dem andern die europäische Ware verdrängt und schon bis nach Europa
hin konkurrierend und erfolgreich auftritt. In China sind am Kantonflusse,


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[0341] Lhina Sonne getreten sein, als Diogenes ihn darum bat, und so mancher von uns mag schon einen unerbetnen Gast zum Hause hinaus geworfen haben. Dürfte man hoffen, alle Chinesen oder doch die meisten von ihnen zum Christentum zu bekehren, so möchte allerdings auch die Hoffnung berechtigt sein, daß in China eine radikale Umwandlung, vielleicht in unserm Sinne und vielleicht sogar in unserm Interesse Platz greifen werde. Dies steht aber nach allen Wahrnehmungen und Wahrscheinlichkeiten durchaus nicht zu hoffen; wenigstens nicht auf dem bisher eingeschlagnen Wege, und solange als China so bleibt, wie es ist. Mit der religiösen Waffe ist das heutige China nicht zu über¬ winden, weshalb wir besser thäten, unser Geld daheim für unsre innern Be¬ dürfnisse zu verwenden, die freilich weniger „interessant" sind. Anders steht es mit unserm chinesischen Warenverkehr. Wie die Dinge nun einmal liegen, können wir nicht plötzlich den Handel mit China abbrechen, müssen wir unsre Handelsleute und Handelsinteressen dort schützen. Wären die Staaten europäischer Kultur untereinander einig, so ließe sich als zu erstrebendes Ziel denken, daß China uns freien Handel gewährte und im übrigen abgeschlossen bliebe, wie es bis vor etwa fünfzig Jahren war. So wäre China ein nützliches Absatzgebiet für unsre Erzeugnisse, und wäre keine Gefahr für unsre Industrie. Wird China geöffnet in dem Sinne, wie viele es heute bei uns wünschen, dann ersteht uns in der That eine Bedrohung durch die gelbe Rasse. Die Amerikaner haben sich längst gegen chinesische Einwcmdrung durch Gesetze geschützt. Bisher hinderte die chinesische Negierung die Auswandrung; bisher wurde sie dadurch auch gehindert, daß der Chinese auf heimischer Erde sterben oder wenigstens in ihr begraben sein wollte. Ein kaiserliches gegen diese Sitte gerichtetes Dekret, die Begünstigung der Aus- wandrung durch einen künftigen, reformeifrigen Kaiser kann den Strom so ver¬ stärken, daß unsre sozialen und wirtschaftlichen Zustände durch ihn in große Gefahr geraten würden. Wenn wir in Ostelbien keine Polen ertragen können, wenn der Berliner den „Schlesinger" nicht in den Fabriken dulden will, wie sollten wir chinesische Kukis dulden, auch wenn sie fünffach billiger wären als deutsche Arbeiter? Aber die Kukis brauchen gar nicht erst zu uns zu kommen und uns dadurch lästig werden. Indien war eine Goldgrube für England, weil es das reiche Absatzgebiet der englischen Industrie war. Heute liefert die Goldgrube immer weniger, weil das Land ärmer geworden ist, aber auch weil der Engländer in Indien selbst eine Industrie ins Leben gerufen hat, die der englischen erfolg¬ reich Konkurrenz macht. Und sie macht erfolgreich Konkurrenz, weil die indische Arbeitskraft billiger ist als die englische. Wenn nun so der indische Arbeiter den englischen, den europäischen schlägt, wie viel mehr der fleißigere, intelligente, zähe, bedürfnislose, gerade für technisch-mechanische Arbeit ausgezeichnet be¬ gabte Chinese? Wir sehen ja auch in Japan, wie dort ein Industriezweig nach dem andern die europäische Ware verdrängt und schon bis nach Europa hin konkurrierend und erfolgreich auftritt. In China sind am Kantonflusse,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/341>, abgerufen am 28.09.2024.