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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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China

und Fremdes entschlüge, mit der man mit weit größerer Freude einen gleich-
giltigen Brief aus Nanking als einen Frcundesbrief aus Leipzig aus der Hand
des Postboten empfängt, und wenn man Christenpflicht recht scharf von Aben¬
teuerlust schiebe, dann würde manches hundert Mark daheim besser verwandt
werden, als um einen Chinesen für das Christentum zu gewinnen oder zu --
kaufen. Denn der Chinese ist von Natur Rationalist, ja Materialist in
schärfster Form, und die zehntausend, hunderttausend, vielleicht eine Million
christlicher Chinesen, die es giebt oder einmal gab, können nur Märtyrer oder
Abtrünnige werden unter den Millionen von Leuten, die im Grunde ohne
Religion sind. Wenn diese Christen immer und immer wieder verfolgt und
erwürgt wurden, so wird man deshalb den Chinesen doch nicht religiöse Un¬
duldsamkeit vorwerfen können. Nicht das Christentum, sondern der Fremde,
der Missionar wird gehaßt, und so erleidet der christliche Chinese für den
deutschen Missionar den Tod. Sollen wir, müssen wir danach streben, immer
neue Opfer zu schaffen, einen Missionar hinzuschicken, um vielleicht ein paar
Dutzend Chinesen mehr eines kommenden Tages bluten zu sehen? Der Chinese
ist religiös viel zu gleichartig, als daß er unduldsam sein könnte, und wir
Christen sind sicher die letzten, die andern Bekenntnissen Unduldsamkeit vor¬
werfen dürfen. Wenn wir entrüstet und selbstzufrieden auf das von Chinesen
vergossene Christenblut hinweisen, so ist das Heuchelei oder Thorheit, denn
wir haben selbst in manchem Jahrhundert weit mehr Christen um ihres Be¬
kenntnisses willen umgebracht, als die Chinesen seit dem ersten Auftreten des
Christentums in ihrem Lande umgebracht haben. Intolerant sind wir, nicht
die Chinesen. Dazu kommt, daß das Christentum dort uneinig erscheint, als
Katholizismus, Luthertum, Kalvinismus usw., was offenbar dem sehr praktisch
und vernunftmäßig denkenden Chinesen die Heilswahrheit des Christentums nicht
eben erkennbarer macht.

Es wird erzählt,*) daß, als der Papst die chinesischen Zeremonien, die
dem Chinesen großenteils die Moral ersetzen, durch Abgesandte und dnrch ein
Breve als heidnisch und ketzerisch hatte verdammen lassen, der Kaiser von
China die Christen mit Ausnahme derer, die sich am Hofe nützlich gemacht
hatten, im Jahre 1723 des Landes verwiesen, und daß er zu den Missionaren
gesagt habe: "Was würdet denn ihr wohl sagen, wenn ich einen Trupp
Bonzen oder Lamas in euer Land schicken wollte, um ihre Lehre dorthin zu
verbreiten und eure Sitten zu ändern?" Nun, gerechterweise muß man an¬
erkennen, daß diese Antwort auf päpstliche Flüche nicht unbillig war, und daß
gegenüber dem immer aufdringlicher werdenden Europäer auch härtere Worte
und Maßregeln recht wohl erklärlich sind. Das Beglücken ist eine schone
Sache, nur muß es jemand geben, der beglückt werden will, der sich unglück¬
lich fühlt; wir aber überreden die Chinesen mit Kanonen, daß sie unglückliche
Leute seien. Alexander der Große wird, wie ich vermute, einfach aus der



") Knusfer, Überblick der Geschichte Oswsicns, Seite 114.
China

und Fremdes entschlüge, mit der man mit weit größerer Freude einen gleich-
giltigen Brief aus Nanking als einen Frcundesbrief aus Leipzig aus der Hand
des Postboten empfängt, und wenn man Christenpflicht recht scharf von Aben¬
teuerlust schiebe, dann würde manches hundert Mark daheim besser verwandt
werden, als um einen Chinesen für das Christentum zu gewinnen oder zu —
kaufen. Denn der Chinese ist von Natur Rationalist, ja Materialist in
schärfster Form, und die zehntausend, hunderttausend, vielleicht eine Million
christlicher Chinesen, die es giebt oder einmal gab, können nur Märtyrer oder
Abtrünnige werden unter den Millionen von Leuten, die im Grunde ohne
Religion sind. Wenn diese Christen immer und immer wieder verfolgt und
erwürgt wurden, so wird man deshalb den Chinesen doch nicht religiöse Un¬
duldsamkeit vorwerfen können. Nicht das Christentum, sondern der Fremde,
der Missionar wird gehaßt, und so erleidet der christliche Chinese für den
deutschen Missionar den Tod. Sollen wir, müssen wir danach streben, immer
neue Opfer zu schaffen, einen Missionar hinzuschicken, um vielleicht ein paar
Dutzend Chinesen mehr eines kommenden Tages bluten zu sehen? Der Chinese
ist religiös viel zu gleichartig, als daß er unduldsam sein könnte, und wir
Christen sind sicher die letzten, die andern Bekenntnissen Unduldsamkeit vor¬
werfen dürfen. Wenn wir entrüstet und selbstzufrieden auf das von Chinesen
vergossene Christenblut hinweisen, so ist das Heuchelei oder Thorheit, denn
wir haben selbst in manchem Jahrhundert weit mehr Christen um ihres Be¬
kenntnisses willen umgebracht, als die Chinesen seit dem ersten Auftreten des
Christentums in ihrem Lande umgebracht haben. Intolerant sind wir, nicht
die Chinesen. Dazu kommt, daß das Christentum dort uneinig erscheint, als
Katholizismus, Luthertum, Kalvinismus usw., was offenbar dem sehr praktisch
und vernunftmäßig denkenden Chinesen die Heilswahrheit des Christentums nicht
eben erkennbarer macht.

Es wird erzählt,*) daß, als der Papst die chinesischen Zeremonien, die
dem Chinesen großenteils die Moral ersetzen, durch Abgesandte und dnrch ein
Breve als heidnisch und ketzerisch hatte verdammen lassen, der Kaiser von
China die Christen mit Ausnahme derer, die sich am Hofe nützlich gemacht
hatten, im Jahre 1723 des Landes verwiesen, und daß er zu den Missionaren
gesagt habe: „Was würdet denn ihr wohl sagen, wenn ich einen Trupp
Bonzen oder Lamas in euer Land schicken wollte, um ihre Lehre dorthin zu
verbreiten und eure Sitten zu ändern?" Nun, gerechterweise muß man an¬
erkennen, daß diese Antwort auf päpstliche Flüche nicht unbillig war, und daß
gegenüber dem immer aufdringlicher werdenden Europäer auch härtere Worte
und Maßregeln recht wohl erklärlich sind. Das Beglücken ist eine schone
Sache, nur muß es jemand geben, der beglückt werden will, der sich unglück¬
lich fühlt; wir aber überreden die Chinesen mit Kanonen, daß sie unglückliche
Leute seien. Alexander der Große wird, wie ich vermute, einfach aus der



») Knusfer, Überblick der Geschichte Oswsicns, Seite 114.
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[0340] China und Fremdes entschlüge, mit der man mit weit größerer Freude einen gleich- giltigen Brief aus Nanking als einen Frcundesbrief aus Leipzig aus der Hand des Postboten empfängt, und wenn man Christenpflicht recht scharf von Aben¬ teuerlust schiebe, dann würde manches hundert Mark daheim besser verwandt werden, als um einen Chinesen für das Christentum zu gewinnen oder zu — kaufen. Denn der Chinese ist von Natur Rationalist, ja Materialist in schärfster Form, und die zehntausend, hunderttausend, vielleicht eine Million christlicher Chinesen, die es giebt oder einmal gab, können nur Märtyrer oder Abtrünnige werden unter den Millionen von Leuten, die im Grunde ohne Religion sind. Wenn diese Christen immer und immer wieder verfolgt und erwürgt wurden, so wird man deshalb den Chinesen doch nicht religiöse Un¬ duldsamkeit vorwerfen können. Nicht das Christentum, sondern der Fremde, der Missionar wird gehaßt, und so erleidet der christliche Chinese für den deutschen Missionar den Tod. Sollen wir, müssen wir danach streben, immer neue Opfer zu schaffen, einen Missionar hinzuschicken, um vielleicht ein paar Dutzend Chinesen mehr eines kommenden Tages bluten zu sehen? Der Chinese ist religiös viel zu gleichartig, als daß er unduldsam sein könnte, und wir Christen sind sicher die letzten, die andern Bekenntnissen Unduldsamkeit vor¬ werfen dürfen. Wenn wir entrüstet und selbstzufrieden auf das von Chinesen vergossene Christenblut hinweisen, so ist das Heuchelei oder Thorheit, denn wir haben selbst in manchem Jahrhundert weit mehr Christen um ihres Be¬ kenntnisses willen umgebracht, als die Chinesen seit dem ersten Auftreten des Christentums in ihrem Lande umgebracht haben. Intolerant sind wir, nicht die Chinesen. Dazu kommt, daß das Christentum dort uneinig erscheint, als Katholizismus, Luthertum, Kalvinismus usw., was offenbar dem sehr praktisch und vernunftmäßig denkenden Chinesen die Heilswahrheit des Christentums nicht eben erkennbarer macht. Es wird erzählt,*) daß, als der Papst die chinesischen Zeremonien, die dem Chinesen großenteils die Moral ersetzen, durch Abgesandte und dnrch ein Breve als heidnisch und ketzerisch hatte verdammen lassen, der Kaiser von China die Christen mit Ausnahme derer, die sich am Hofe nützlich gemacht hatten, im Jahre 1723 des Landes verwiesen, und daß er zu den Missionaren gesagt habe: „Was würdet denn ihr wohl sagen, wenn ich einen Trupp Bonzen oder Lamas in euer Land schicken wollte, um ihre Lehre dorthin zu verbreiten und eure Sitten zu ändern?" Nun, gerechterweise muß man an¬ erkennen, daß diese Antwort auf päpstliche Flüche nicht unbillig war, und daß gegenüber dem immer aufdringlicher werdenden Europäer auch härtere Worte und Maßregeln recht wohl erklärlich sind. Das Beglücken ist eine schone Sache, nur muß es jemand geben, der beglückt werden will, der sich unglück¬ lich fühlt; wir aber überreden die Chinesen mit Kanonen, daß sie unglückliche Leute seien. Alexander der Große wird, wie ich vermute, einfach aus der ») Knusfer, Überblick der Geschichte Oswsicns, Seite 114.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/340>, abgerufen am 28.09.2024.