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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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China

Bahn und des Flußverkehrs. Dagegen dürfte Deutschland nichts einzuwenden
haben, außer daß entsprechende Punkte am Muthe zur Sicherung des Flu߬
verkehrs von deutscher oder deutsch-englischer Seite zu besetzen seien. Es scheint
mir, daß diese Besetzung einiger Punkte am Janthe die notwendige Folge dieses
Vertrags, aber zugleich auch alles sei, was Deutschland politisch von China
vorläufig erwarten kann. Hiervon unabhängig bleibt natürlich die Forderung
der Sühne für Mord und der Entschädigung für Krieg und Zerstörung von
Eigentum deutscher Unterthanen. Ich sehe in Artikel 3 und 4 nicht eine
Warnung, sondern eher eine Ermunterung Rußlands, die Okkupationen seiner
Generale zu ratihabieren. Denn wie Rußland seinen Bahnverkehr sichern
muß, der Hunderte von Millionen gekostet hat, so werden wir den Flußverkehr
auf dem Uantse sichern müssen, sobald sich unser Handel dort in größerm
Maßstabe ausbreitet. Und das kann nur durch militärische Posten geschehn,
die in befestigten Forts unterzubringen wären, oder wenigstens durch feste An¬
legeplätze für unsre Kanonenboote. Denn was bisher unserm Handel mit
China am hinderlichsten war, das scheinen die Binnenzölle und Belästigungen
zu sein, mit denen die Vizekönige und lokalen Mandarine willkürlich im Innern
des Landes das Vordringen unsers Handelsverkehrs erschwert haben.

Es giebt wohl kein Land, über dessen innere Zustände, Volkswirtschaft,
Volkscharakter ein Urteil abzugeben für uns Europäer so schwer wäre als
China. Aber es liegen einige Erfahrungen und Thatsachen vor, die unsrer
Politik gegenüber diesem Reiche doch zur Richtschnur dienen können. Eine
solche Erfahrung ist, daß die Chinesen kein Volk sind, das wir wie Kaffern
und andre Wilde behandeln dürfen; diese Erfahrung wird nur zu wenig be¬
achtet. Unsre Händler und unsre Missionare reizen den vorhandnen starken
Dünkel des Chinesen oft durch einen womöglich noch stürkern Dünkel; sie gehn
hin mit dem unerschütterliche!? Bewußtsein, mit ihren Waren, ihren Lehren,
ihrem Wissen ein elendes, niederes Volk beglücken zu können, beglücken zu
müssen. Der Chinese ist nicht dieser Meinung, und er hat deshalb die auf¬
dringlicher Beglücker schou oft verjagt oder umgebracht, weil sie gar zu herrisch
in ihrem Beglückungseifer vorgingen. Der englische Opiumkrieg, die Unter¬
stützung der Dynastie im Tnipingaufstande durch England, anmaßendes Auf¬
treten christlicher Kirchenherren wie andrer einzelner Europäer -- das hat die
Abneigung der Chinesen gegen uns gesteigert. Wäre es für uns möglich,
weder Kaufleute noch Missionare nach China gehn zu lassen, so wäre wahr¬
scheinlich den Chinesen und auch uns damit am besten gedient. Um so mehr,
als keine Nasse, richtiger kein Volk der Welt nach Blut, Entwicklung, Sitten,
Moral, Gesinnung, Charakter uns fremder und feindlicher gegenübersteht als
das chinesische. Niemals kann uns der Chinese Freund sein, selbst die äußere
Berührung im Zusammenwohnen der Städte ist uns unangenehm, ja schädlich.
Das sehen wir in Amerika und in der Südsee.

Man hat ausgerechnet, daß jeder getaufte Chinese uns jährlich etwa
100 Mark koste. Wenn man sich der verbreiteten Vorliebe für recht Fernes


Grenzboten IV 1900 39
China

Bahn und des Flußverkehrs. Dagegen dürfte Deutschland nichts einzuwenden
haben, außer daß entsprechende Punkte am Muthe zur Sicherung des Flu߬
verkehrs von deutscher oder deutsch-englischer Seite zu besetzen seien. Es scheint
mir, daß diese Besetzung einiger Punkte am Janthe die notwendige Folge dieses
Vertrags, aber zugleich auch alles sei, was Deutschland politisch von China
vorläufig erwarten kann. Hiervon unabhängig bleibt natürlich die Forderung
der Sühne für Mord und der Entschädigung für Krieg und Zerstörung von
Eigentum deutscher Unterthanen. Ich sehe in Artikel 3 und 4 nicht eine
Warnung, sondern eher eine Ermunterung Rußlands, die Okkupationen seiner
Generale zu ratihabieren. Denn wie Rußland seinen Bahnverkehr sichern
muß, der Hunderte von Millionen gekostet hat, so werden wir den Flußverkehr
auf dem Uantse sichern müssen, sobald sich unser Handel dort in größerm
Maßstabe ausbreitet. Und das kann nur durch militärische Posten geschehn,
die in befestigten Forts unterzubringen wären, oder wenigstens durch feste An¬
legeplätze für unsre Kanonenboote. Denn was bisher unserm Handel mit
China am hinderlichsten war, das scheinen die Binnenzölle und Belästigungen
zu sein, mit denen die Vizekönige und lokalen Mandarine willkürlich im Innern
des Landes das Vordringen unsers Handelsverkehrs erschwert haben.

Es giebt wohl kein Land, über dessen innere Zustände, Volkswirtschaft,
Volkscharakter ein Urteil abzugeben für uns Europäer so schwer wäre als
China. Aber es liegen einige Erfahrungen und Thatsachen vor, die unsrer
Politik gegenüber diesem Reiche doch zur Richtschnur dienen können. Eine
solche Erfahrung ist, daß die Chinesen kein Volk sind, das wir wie Kaffern
und andre Wilde behandeln dürfen; diese Erfahrung wird nur zu wenig be¬
achtet. Unsre Händler und unsre Missionare reizen den vorhandnen starken
Dünkel des Chinesen oft durch einen womöglich noch stürkern Dünkel; sie gehn
hin mit dem unerschütterliche!? Bewußtsein, mit ihren Waren, ihren Lehren,
ihrem Wissen ein elendes, niederes Volk beglücken zu können, beglücken zu
müssen. Der Chinese ist nicht dieser Meinung, und er hat deshalb die auf¬
dringlicher Beglücker schou oft verjagt oder umgebracht, weil sie gar zu herrisch
in ihrem Beglückungseifer vorgingen. Der englische Opiumkrieg, die Unter¬
stützung der Dynastie im Tnipingaufstande durch England, anmaßendes Auf¬
treten christlicher Kirchenherren wie andrer einzelner Europäer — das hat die
Abneigung der Chinesen gegen uns gesteigert. Wäre es für uns möglich,
weder Kaufleute noch Missionare nach China gehn zu lassen, so wäre wahr¬
scheinlich den Chinesen und auch uns damit am besten gedient. Um so mehr,
als keine Nasse, richtiger kein Volk der Welt nach Blut, Entwicklung, Sitten,
Moral, Gesinnung, Charakter uns fremder und feindlicher gegenübersteht als
das chinesische. Niemals kann uns der Chinese Freund sein, selbst die äußere
Berührung im Zusammenwohnen der Städte ist uns unangenehm, ja schädlich.
Das sehen wir in Amerika und in der Südsee.

Man hat ausgerechnet, daß jeder getaufte Chinese uns jährlich etwa
100 Mark koste. Wenn man sich der verbreiteten Vorliebe für recht Fernes


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[0339] China Bahn und des Flußverkehrs. Dagegen dürfte Deutschland nichts einzuwenden haben, außer daß entsprechende Punkte am Muthe zur Sicherung des Flu߬ verkehrs von deutscher oder deutsch-englischer Seite zu besetzen seien. Es scheint mir, daß diese Besetzung einiger Punkte am Janthe die notwendige Folge dieses Vertrags, aber zugleich auch alles sei, was Deutschland politisch von China vorläufig erwarten kann. Hiervon unabhängig bleibt natürlich die Forderung der Sühne für Mord und der Entschädigung für Krieg und Zerstörung von Eigentum deutscher Unterthanen. Ich sehe in Artikel 3 und 4 nicht eine Warnung, sondern eher eine Ermunterung Rußlands, die Okkupationen seiner Generale zu ratihabieren. Denn wie Rußland seinen Bahnverkehr sichern muß, der Hunderte von Millionen gekostet hat, so werden wir den Flußverkehr auf dem Uantse sichern müssen, sobald sich unser Handel dort in größerm Maßstabe ausbreitet. Und das kann nur durch militärische Posten geschehn, die in befestigten Forts unterzubringen wären, oder wenigstens durch feste An¬ legeplätze für unsre Kanonenboote. Denn was bisher unserm Handel mit China am hinderlichsten war, das scheinen die Binnenzölle und Belästigungen zu sein, mit denen die Vizekönige und lokalen Mandarine willkürlich im Innern des Landes das Vordringen unsers Handelsverkehrs erschwert haben. Es giebt wohl kein Land, über dessen innere Zustände, Volkswirtschaft, Volkscharakter ein Urteil abzugeben für uns Europäer so schwer wäre als China. Aber es liegen einige Erfahrungen und Thatsachen vor, die unsrer Politik gegenüber diesem Reiche doch zur Richtschnur dienen können. Eine solche Erfahrung ist, daß die Chinesen kein Volk sind, das wir wie Kaffern und andre Wilde behandeln dürfen; diese Erfahrung wird nur zu wenig be¬ achtet. Unsre Händler und unsre Missionare reizen den vorhandnen starken Dünkel des Chinesen oft durch einen womöglich noch stürkern Dünkel; sie gehn hin mit dem unerschütterliche!? Bewußtsein, mit ihren Waren, ihren Lehren, ihrem Wissen ein elendes, niederes Volk beglücken zu können, beglücken zu müssen. Der Chinese ist nicht dieser Meinung, und er hat deshalb die auf¬ dringlicher Beglücker schou oft verjagt oder umgebracht, weil sie gar zu herrisch in ihrem Beglückungseifer vorgingen. Der englische Opiumkrieg, die Unter¬ stützung der Dynastie im Tnipingaufstande durch England, anmaßendes Auf¬ treten christlicher Kirchenherren wie andrer einzelner Europäer — das hat die Abneigung der Chinesen gegen uns gesteigert. Wäre es für uns möglich, weder Kaufleute noch Missionare nach China gehn zu lassen, so wäre wahr¬ scheinlich den Chinesen und auch uns damit am besten gedient. Um so mehr, als keine Nasse, richtiger kein Volk der Welt nach Blut, Entwicklung, Sitten, Moral, Gesinnung, Charakter uns fremder und feindlicher gegenübersteht als das chinesische. Niemals kann uns der Chinese Freund sein, selbst die äußere Berührung im Zusammenwohnen der Städte ist uns unangenehm, ja schädlich. Das sehen wir in Amerika und in der Südsee. Man hat ausgerechnet, daß jeder getaufte Chinese uns jährlich etwa 100 Mark koste. Wenn man sich der verbreiteten Vorliebe für recht Fernes Grenzboten IV 1900 39

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/339>, abgerufen am 26.06.2024.