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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Die Lehren des Burenkriegs

durch die englischen Heere Vertrieben worden, auch die Tiroler Bauern waren
1809 nur solange siegreich, als sie sich auf Österreich stützen konnten, und auch
das nur in einen: Hochgebirgslande. Kurz, der Glaube an die Kriegstüchtig¬
keit von Milizheeren gegenüber regulären Truppen hat einen schweren Stoß
erlitten, eine herbe, aber heilsame Lehre für unsre Milizschwürmer!

Berichtigt worden ist auch unser Urteil über die Macht Englands. "Wo einst
England lag, klafft heute eine ungeheure Lücke," konnte Treitschke 1870 emphatisch
schreiben. Wir wissen heute nur zu gut, wo England liegt. Seine Rolle in der
europäischen Politik war seit langer Zeit bescheiden, in der Weltpvlitik -- und
nur von einer solchen kann heute die Rede sein -- ist sie entscheidend. In dieser
Beziehung ist es die stärkste Großmacht, weil es die beweglichste ist. Keine
andre wäre imstande gewesen, in so kurzer Zeit eine Armee von 200000 Mann
mit allem Zubehör nach Südafrika zu werfen, in eine Entfernung hinaus, für
die ein Schnelldampfer drei Wochen braucht, und das konnte England auch
nur, weil es mit seiner überlegnen Flotte die See unbedingt beherrscht, also
weder eine Störung seiner Truppentransporte noch einen Angriff auf das ent¬
blößte Mutterland zu fürchten hatte. Wir Deutschen empfinden freilich leicht
etwas wie Verachtung für ein Volk, bei dem das Pflichtbewußtsein gegen den
Staat so wenig entwickelt ist, daß es die bewaffnete Vertretung seiner Lebens¬
interessen Söldnern und "Freiwilligen" zuschiebt, und das zu Anfang unter
einer geradezu jämmerlichen Führung Schlappe auf Schlappe erleidet, auch
schließlich nur mit fünffacher Übermacht den Gegner niederringt, aber dieses
Urteil bedarf der Einschränkung. Auch wir Deutschen haben es nicht gewagt,
ohne weiteres geschlossene, schon bestehende Truppenkörper nach China zu
senden, sondern haben, obwohl die Verpflichtung des deutschen Fahneneides
auf den Dienst "zu Wasser und Lande" ohne jede Einschränkung lautet, neue
Verbände aus Freiwilligen des Landheeres geschaffen, und in einem so aus¬
gedehnten, öden, dünnbevölkerten und wegearmen Lande wie Südafrika wäre
auch eine Armee von besserer Führung und Disziplin als die englische nicht
so rasch mit einen: Gegner wie die Buren fertig geworden. Jedenfalls ist das
Machtbewußtsein der Engländer durch ihre Erfolge in Afrika gewaltig ge¬
stiegen, und die imperialistische Politik steht seit dem Ausfall der letzten
Parlamentswahlen fester als vorher.

Ohne unsern Zeitungsdiplomaten zu nahe zu treten, wird man annehmen
dürfen, daß unser Auswärtiges Amt diese Dinge beinahe ebensogut übersieht,
wie die Staatsweisen gewisser Nedaktionsstuben es thun. Trotz aller Sympathien
konnte Deutschland die Burenrepubliken in der allgemeinen Weltlage des Jahres
1900 freilich nicht retten. Aber nur politische Kinder und Narren können hier
von einem Zickzackkurs reden und dem Kaiser daraus einen Vorwurf machen,
daß er jetzt nicht für die Buren eingetreten ist, während er doch im Januar 1896
dem Präsidenten Krüger seinen Glückwunsch zur Abwehr von Jmnesons Naub-
cinfall aussprach. Als wenn nicht auch ein großer Unterschied bestünde zwischen
einem Freibeuterzug, für den die Regierung des Landes, von dem er aus-


Die Lehren des Burenkriegs

durch die englischen Heere Vertrieben worden, auch die Tiroler Bauern waren
1809 nur solange siegreich, als sie sich auf Österreich stützen konnten, und auch
das nur in einen: Hochgebirgslande. Kurz, der Glaube an die Kriegstüchtig¬
keit von Milizheeren gegenüber regulären Truppen hat einen schweren Stoß
erlitten, eine herbe, aber heilsame Lehre für unsre Milizschwürmer!

Berichtigt worden ist auch unser Urteil über die Macht Englands. „Wo einst
England lag, klafft heute eine ungeheure Lücke," konnte Treitschke 1870 emphatisch
schreiben. Wir wissen heute nur zu gut, wo England liegt. Seine Rolle in der
europäischen Politik war seit langer Zeit bescheiden, in der Weltpvlitik — und
nur von einer solchen kann heute die Rede sein — ist sie entscheidend. In dieser
Beziehung ist es die stärkste Großmacht, weil es die beweglichste ist. Keine
andre wäre imstande gewesen, in so kurzer Zeit eine Armee von 200000 Mann
mit allem Zubehör nach Südafrika zu werfen, in eine Entfernung hinaus, für
die ein Schnelldampfer drei Wochen braucht, und das konnte England auch
nur, weil es mit seiner überlegnen Flotte die See unbedingt beherrscht, also
weder eine Störung seiner Truppentransporte noch einen Angriff auf das ent¬
blößte Mutterland zu fürchten hatte. Wir Deutschen empfinden freilich leicht
etwas wie Verachtung für ein Volk, bei dem das Pflichtbewußtsein gegen den
Staat so wenig entwickelt ist, daß es die bewaffnete Vertretung seiner Lebens¬
interessen Söldnern und „Freiwilligen" zuschiebt, und das zu Anfang unter
einer geradezu jämmerlichen Führung Schlappe auf Schlappe erleidet, auch
schließlich nur mit fünffacher Übermacht den Gegner niederringt, aber dieses
Urteil bedarf der Einschränkung. Auch wir Deutschen haben es nicht gewagt,
ohne weiteres geschlossene, schon bestehende Truppenkörper nach China zu
senden, sondern haben, obwohl die Verpflichtung des deutschen Fahneneides
auf den Dienst „zu Wasser und Lande" ohne jede Einschränkung lautet, neue
Verbände aus Freiwilligen des Landheeres geschaffen, und in einem so aus¬
gedehnten, öden, dünnbevölkerten und wegearmen Lande wie Südafrika wäre
auch eine Armee von besserer Führung und Disziplin als die englische nicht
so rasch mit einen: Gegner wie die Buren fertig geworden. Jedenfalls ist das
Machtbewußtsein der Engländer durch ihre Erfolge in Afrika gewaltig ge¬
stiegen, und die imperialistische Politik steht seit dem Ausfall der letzten
Parlamentswahlen fester als vorher.

Ohne unsern Zeitungsdiplomaten zu nahe zu treten, wird man annehmen
dürfen, daß unser Auswärtiges Amt diese Dinge beinahe ebensogut übersieht,
wie die Staatsweisen gewisser Nedaktionsstuben es thun. Trotz aller Sympathien
konnte Deutschland die Burenrepubliken in der allgemeinen Weltlage des Jahres
1900 freilich nicht retten. Aber nur politische Kinder und Narren können hier
von einem Zickzackkurs reden und dem Kaiser daraus einen Vorwurf machen,
daß er jetzt nicht für die Buren eingetreten ist, während er doch im Januar 1896
dem Präsidenten Krüger seinen Glückwunsch zur Abwehr von Jmnesons Naub-
cinfall aussprach. Als wenn nicht auch ein großer Unterschied bestünde zwischen
einem Freibeuterzug, für den die Regierung des Landes, von dem er aus-


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[0334] Die Lehren des Burenkriegs durch die englischen Heere Vertrieben worden, auch die Tiroler Bauern waren 1809 nur solange siegreich, als sie sich auf Österreich stützen konnten, und auch das nur in einen: Hochgebirgslande. Kurz, der Glaube an die Kriegstüchtig¬ keit von Milizheeren gegenüber regulären Truppen hat einen schweren Stoß erlitten, eine herbe, aber heilsame Lehre für unsre Milizschwürmer! Berichtigt worden ist auch unser Urteil über die Macht Englands. „Wo einst England lag, klafft heute eine ungeheure Lücke," konnte Treitschke 1870 emphatisch schreiben. Wir wissen heute nur zu gut, wo England liegt. Seine Rolle in der europäischen Politik war seit langer Zeit bescheiden, in der Weltpvlitik — und nur von einer solchen kann heute die Rede sein — ist sie entscheidend. In dieser Beziehung ist es die stärkste Großmacht, weil es die beweglichste ist. Keine andre wäre imstande gewesen, in so kurzer Zeit eine Armee von 200000 Mann mit allem Zubehör nach Südafrika zu werfen, in eine Entfernung hinaus, für die ein Schnelldampfer drei Wochen braucht, und das konnte England auch nur, weil es mit seiner überlegnen Flotte die See unbedingt beherrscht, also weder eine Störung seiner Truppentransporte noch einen Angriff auf das ent¬ blößte Mutterland zu fürchten hatte. Wir Deutschen empfinden freilich leicht etwas wie Verachtung für ein Volk, bei dem das Pflichtbewußtsein gegen den Staat so wenig entwickelt ist, daß es die bewaffnete Vertretung seiner Lebens¬ interessen Söldnern und „Freiwilligen" zuschiebt, und das zu Anfang unter einer geradezu jämmerlichen Führung Schlappe auf Schlappe erleidet, auch schließlich nur mit fünffacher Übermacht den Gegner niederringt, aber dieses Urteil bedarf der Einschränkung. Auch wir Deutschen haben es nicht gewagt, ohne weiteres geschlossene, schon bestehende Truppenkörper nach China zu senden, sondern haben, obwohl die Verpflichtung des deutschen Fahneneides auf den Dienst „zu Wasser und Lande" ohne jede Einschränkung lautet, neue Verbände aus Freiwilligen des Landheeres geschaffen, und in einem so aus¬ gedehnten, öden, dünnbevölkerten und wegearmen Lande wie Südafrika wäre auch eine Armee von besserer Führung und Disziplin als die englische nicht so rasch mit einen: Gegner wie die Buren fertig geworden. Jedenfalls ist das Machtbewußtsein der Engländer durch ihre Erfolge in Afrika gewaltig ge¬ stiegen, und die imperialistische Politik steht seit dem Ausfall der letzten Parlamentswahlen fester als vorher. Ohne unsern Zeitungsdiplomaten zu nahe zu treten, wird man annehmen dürfen, daß unser Auswärtiges Amt diese Dinge beinahe ebensogut übersieht, wie die Staatsweisen gewisser Nedaktionsstuben es thun. Trotz aller Sympathien konnte Deutschland die Burenrepubliken in der allgemeinen Weltlage des Jahres 1900 freilich nicht retten. Aber nur politische Kinder und Narren können hier von einem Zickzackkurs reden und dem Kaiser daraus einen Vorwurf machen, daß er jetzt nicht für die Buren eingetreten ist, während er doch im Januar 1896 dem Präsidenten Krüger seinen Glückwunsch zur Abwehr von Jmnesons Naub- cinfall aussprach. Als wenn nicht auch ein großer Unterschied bestünde zwischen einem Freibeuterzug, für den die Regierung des Landes, von dem er aus-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/334>, abgerufen am 29.06.2024.