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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Die Lehren des Lurenknegs

Rußland sind die Sympathien für die Buren nicht geringer als bei uns, und
beide Staaten stehen in einem viel schärfern Gegensatze zu England als Deutsch¬
land; gleichwohl ist es weder der russischen noch der französischen Regierung
eingefallen, deu Engländern in Südafrika ein Huc>Z s^o zuzurufen, und sie
würden eine Anregung Deutschlands in diesem Sinne wahrscheinlich sehr kühl
abgelehnt haben.

Die lebhafte Sympathie für die Buren hat nach ihren ersten überraschenden
Erfolgen in Untat auch zu einer starken Überschätzung ihrer politischen und
militärischen Leistungsfähigkeit verführt. Es ist jetzt bekannt, daß sie vor dein
Ausbruche des Kriegs von Deutschland wohlmeinend davor gewarnt worden
sind, die Sache auf die Spitze zu treiben, dn eine Einmischung der Großmächte
nicht zu erwarten sei. Wenn sie trotzdem in begreiflichen Mißtrauen gegen
England losschlugen und einen Verzweiflungskampf der allmähliche" Angli-
siernng ihres Stantswesens vorzogen, so zeugt das zwar von tapferen Mute
und von dem festen Vertrauen in die Gerechtigkeit ihrer Sache, die diesen
eifrigen Kalviuern die Sache Gottes war, aber von einer richtigen Beurteilung
der Weltlage zeugt es nicht. Vielleicht hat auch die Erinnerung an den sieg¬
reichen Heldenknmpf ihrer niederländischen Vorfahren gegen die Übermacht
Spaniens dabei eine Rolle gespielt, aber die Parallele trifft nicht zu. Einmal
fochten die Niederländer auch für ihre Glaubensfreiheit, also für das teuerste
Gut gebildeter Menschen; sodann wären sie ganz sicher unterlegen, wenn ihnen
die Engländer nicht zu Hilfe gekommen und nicht 1588 die spanische Armada
geschlagen, die Kraft Spaniens gebrochen hätten. Die Buren aber waren und
blieben isoliert, und ein fanatisierender Glaubensgegensatz zu deu Engländern
besteht nicht. Ihre militärische Leistungsfähigkeit war und ist bewunderns-
würdig, sie sind die beste Miliz, die in der neuern Geschichte jemals ins Feld
gerückt ist, in ihrer Schießfertigkeit und Beweglichkeit unübertroffen, aber doch
eben nur eine Miliz, ohne feste Verbände, ohne straffe Disziplin und deshalb
für strategische wie für taktische Offensive gleich unfähig. Nicht einmal von
den vielen tüchtigen europäischen Offizieren verstanden sie den richtigen Ge¬
brauch zu machen, weil sie sich in ihrem Bauerntrotz nicht unterordnen wollten.
In bloßer Verteidigung aber kann man wohl eine Schlacht gewinnen, aber ganz
gewiß keinen Feldzug. Und doch beruhte ihre einzige Hoffnung auf Sieg in
einer rücksichtslosen kühnen Offensive während der ersten Wochen, ehe die eng¬
lischen Verstärkungen eintrafen. Wenn sie damals Natal überrannt und durch
fortreißende Erfolge die freilich sehr bedächtigen KaphoMnder zur Erhebung
und zum Anschluß gebracht hätten, dann hätten die Dinge eine günstige
Wendung für sie nehmen können; als diese kostbaren, entscheidenden Wochen
ungenützt vorübergingen, als sie nicht einmal so oberflächlich befestigte Plätze
wie Ladysmith, Mafeking und Kimberley, die doch gar keine wirklichen Festungen
waren, bezwingen konnten, da war der Feldzug verloren. Vollends mit dem
Kleinkriege allein werden sie ihr hartes Geschick nicht wenden können. Auch
mis Spanien sind die Franzosen nicht durch die spanischen Gnerilleros, sondern


Die Lehren des Lurenknegs

Rußland sind die Sympathien für die Buren nicht geringer als bei uns, und
beide Staaten stehen in einem viel schärfern Gegensatze zu England als Deutsch¬
land; gleichwohl ist es weder der russischen noch der französischen Regierung
eingefallen, deu Engländern in Südafrika ein Huc>Z s^o zuzurufen, und sie
würden eine Anregung Deutschlands in diesem Sinne wahrscheinlich sehr kühl
abgelehnt haben.

Die lebhafte Sympathie für die Buren hat nach ihren ersten überraschenden
Erfolgen in Untat auch zu einer starken Überschätzung ihrer politischen und
militärischen Leistungsfähigkeit verführt. Es ist jetzt bekannt, daß sie vor dein
Ausbruche des Kriegs von Deutschland wohlmeinend davor gewarnt worden
sind, die Sache auf die Spitze zu treiben, dn eine Einmischung der Großmächte
nicht zu erwarten sei. Wenn sie trotzdem in begreiflichen Mißtrauen gegen
England losschlugen und einen Verzweiflungskampf der allmähliche» Angli-
siernng ihres Stantswesens vorzogen, so zeugt das zwar von tapferen Mute
und von dem festen Vertrauen in die Gerechtigkeit ihrer Sache, die diesen
eifrigen Kalviuern die Sache Gottes war, aber von einer richtigen Beurteilung
der Weltlage zeugt es nicht. Vielleicht hat auch die Erinnerung an den sieg¬
reichen Heldenknmpf ihrer niederländischen Vorfahren gegen die Übermacht
Spaniens dabei eine Rolle gespielt, aber die Parallele trifft nicht zu. Einmal
fochten die Niederländer auch für ihre Glaubensfreiheit, also für das teuerste
Gut gebildeter Menschen; sodann wären sie ganz sicher unterlegen, wenn ihnen
die Engländer nicht zu Hilfe gekommen und nicht 1588 die spanische Armada
geschlagen, die Kraft Spaniens gebrochen hätten. Die Buren aber waren und
blieben isoliert, und ein fanatisierender Glaubensgegensatz zu deu Engländern
besteht nicht. Ihre militärische Leistungsfähigkeit war und ist bewunderns-
würdig, sie sind die beste Miliz, die in der neuern Geschichte jemals ins Feld
gerückt ist, in ihrer Schießfertigkeit und Beweglichkeit unübertroffen, aber doch
eben nur eine Miliz, ohne feste Verbände, ohne straffe Disziplin und deshalb
für strategische wie für taktische Offensive gleich unfähig. Nicht einmal von
den vielen tüchtigen europäischen Offizieren verstanden sie den richtigen Ge¬
brauch zu machen, weil sie sich in ihrem Bauerntrotz nicht unterordnen wollten.
In bloßer Verteidigung aber kann man wohl eine Schlacht gewinnen, aber ganz
gewiß keinen Feldzug. Und doch beruhte ihre einzige Hoffnung auf Sieg in
einer rücksichtslosen kühnen Offensive während der ersten Wochen, ehe die eng¬
lischen Verstärkungen eintrafen. Wenn sie damals Natal überrannt und durch
fortreißende Erfolge die freilich sehr bedächtigen KaphoMnder zur Erhebung
und zum Anschluß gebracht hätten, dann hätten die Dinge eine günstige
Wendung für sie nehmen können; als diese kostbaren, entscheidenden Wochen
ungenützt vorübergingen, als sie nicht einmal so oberflächlich befestigte Plätze
wie Ladysmith, Mafeking und Kimberley, die doch gar keine wirklichen Festungen
waren, bezwingen konnten, da war der Feldzug verloren. Vollends mit dem
Kleinkriege allein werden sie ihr hartes Geschick nicht wenden können. Auch
mis Spanien sind die Franzosen nicht durch die spanischen Gnerilleros, sondern


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[0333] Die Lehren des Lurenknegs Rußland sind die Sympathien für die Buren nicht geringer als bei uns, und beide Staaten stehen in einem viel schärfern Gegensatze zu England als Deutsch¬ land; gleichwohl ist es weder der russischen noch der französischen Regierung eingefallen, deu Engländern in Südafrika ein Huc>Z s^o zuzurufen, und sie würden eine Anregung Deutschlands in diesem Sinne wahrscheinlich sehr kühl abgelehnt haben. Die lebhafte Sympathie für die Buren hat nach ihren ersten überraschenden Erfolgen in Untat auch zu einer starken Überschätzung ihrer politischen und militärischen Leistungsfähigkeit verführt. Es ist jetzt bekannt, daß sie vor dein Ausbruche des Kriegs von Deutschland wohlmeinend davor gewarnt worden sind, die Sache auf die Spitze zu treiben, dn eine Einmischung der Großmächte nicht zu erwarten sei. Wenn sie trotzdem in begreiflichen Mißtrauen gegen England losschlugen und einen Verzweiflungskampf der allmähliche» Angli- siernng ihres Stantswesens vorzogen, so zeugt das zwar von tapferen Mute und von dem festen Vertrauen in die Gerechtigkeit ihrer Sache, die diesen eifrigen Kalviuern die Sache Gottes war, aber von einer richtigen Beurteilung der Weltlage zeugt es nicht. Vielleicht hat auch die Erinnerung an den sieg¬ reichen Heldenknmpf ihrer niederländischen Vorfahren gegen die Übermacht Spaniens dabei eine Rolle gespielt, aber die Parallele trifft nicht zu. Einmal fochten die Niederländer auch für ihre Glaubensfreiheit, also für das teuerste Gut gebildeter Menschen; sodann wären sie ganz sicher unterlegen, wenn ihnen die Engländer nicht zu Hilfe gekommen und nicht 1588 die spanische Armada geschlagen, die Kraft Spaniens gebrochen hätten. Die Buren aber waren und blieben isoliert, und ein fanatisierender Glaubensgegensatz zu deu Engländern besteht nicht. Ihre militärische Leistungsfähigkeit war und ist bewunderns- würdig, sie sind die beste Miliz, die in der neuern Geschichte jemals ins Feld gerückt ist, in ihrer Schießfertigkeit und Beweglichkeit unübertroffen, aber doch eben nur eine Miliz, ohne feste Verbände, ohne straffe Disziplin und deshalb für strategische wie für taktische Offensive gleich unfähig. Nicht einmal von den vielen tüchtigen europäischen Offizieren verstanden sie den richtigen Ge¬ brauch zu machen, weil sie sich in ihrem Bauerntrotz nicht unterordnen wollten. In bloßer Verteidigung aber kann man wohl eine Schlacht gewinnen, aber ganz gewiß keinen Feldzug. Und doch beruhte ihre einzige Hoffnung auf Sieg in einer rücksichtslosen kühnen Offensive während der ersten Wochen, ehe die eng¬ lischen Verstärkungen eintrafen. Wenn sie damals Natal überrannt und durch fortreißende Erfolge die freilich sehr bedächtigen KaphoMnder zur Erhebung und zum Anschluß gebracht hätten, dann hätten die Dinge eine günstige Wendung für sie nehmen können; als diese kostbaren, entscheidenden Wochen ungenützt vorübergingen, als sie nicht einmal so oberflächlich befestigte Plätze wie Ladysmith, Mafeking und Kimberley, die doch gar keine wirklichen Festungen waren, bezwingen konnten, da war der Feldzug verloren. Vollends mit dem Kleinkriege allein werden sie ihr hartes Geschick nicht wenden können. Auch mis Spanien sind die Franzosen nicht durch die spanischen Gnerilleros, sondern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/333>, abgerufen am 29.06.2024.