Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Tehren des Burenkriegs

nicht sehen, daß Unrecht und Recht, freilich zu ungleichen Teilen, auf beiden
Seiten waren, daß sich hier zwei wirtschaftliche Kulturen, eine höhere und eine
niedere gegenüberstanden, und daß in solchen Fällen die höhere zu siegen pflegt.
Auch die Dietmarscher Bauern haben die Unabhängigkeit ihres uralten Ge¬
schlechterstaats gegenüber dem Schleswig-holsteinischen und dänischen Feudalstaat
zwar in der gefeierten Schlacht bei Hemmingstedt am 17. Februar 1500 tapfer
behauptet, sie aber 1556 bei Heide doch verloren, und die Freiheitskämpfer
der Schweizer Urkantone erscheinen uns nur in dem verklärende!? Lichte der
Schillerschen Dichtung ideal; vom Standpunkt einer gröszern Staatsordnung
haben Geßler und Nudenz gar nicht so unrecht. Geradezu verwirrend und
gefährlich für das Volksgefühl wird diese Auffassung des Burenkriegs, wenn,
wie man es leider von theologischer Seite zuweilen hören konnte, der Aus¬
gang zu einem Probierstein der göttlichen Gerechtigkeit gemacht wurde. Kein
Zweifel, "jede Schuld rächt sich auf Erden," der Einzelnen wie der Völker,
und so wird auch England einmal für seine Sünden in Südafrika büßen müssen;
aber Wechsel auf so kurze Sicht, wie wir thörichten Menschenkinder ausstellen
möchten, acceptiert der Himmel selten. Und werden nicht auch die Engländer
von einem großen politischen Ideal beherrscht? Der Gedanke des Weltreichs
ist der Nation bis in ihre untersten Schichten in Fleisch und Blut über¬
gegangen; sie hat mit ihrem sichern Instinkt begriffen, daß sie ohne das Welt¬
reich nicht mehr existieren kann, und daß es in Südafrika um Sein und Nichtsein
geht. Alle Nichtswürdigkeiten englischer Kapitalistenkreise und alle Brutalitäten
ihrer Kriegführung, die uns mit Recht empören, machen sie darin nicht irre,
obwohl sie weiß und tagtäglich empfindet, daß heute auf dem europäischen
Festlande nichts verhaßter ist als der Name Englands. Polnischer Idealismus
ist auch das.

Eine zweite recht empfindliche Lehre, die der Krieg namentlich uns Deutschen
erteilt, ist die Wahrnehmung, wie ohnmächtig die öffentliche Meinung ist in
Fällen, wo sie mit den großen Interessen des Staats oder mit der Lage nicht
übereinstimmt, die Negierung also außer stände ist, nach ihr zu handeln. Wäre
es nach der öffentlichen Meinung in Deutschland gegangen, so hätte das Reich
eine große Koalition bilden und England gebieterisch in den Arm fallen müssen,
bloß um der Gerechtigkeit mulier, als wenn wir für die ganze Welt zu Sitten¬
richtern und Polizisten bestellt wären -- eine Auffassung, vor der Fürst Bismarck
immer aufs dringendste gewarnt hat --, und ohne jede Rücksicht darauf, ob
wir denn für einen so ungeheuern Einsatz irgend einen entsprechenden Gewinn
in Aussicht gehabt hätten. Alle Vorwürfe und Klagen, die, versteckt oder offen,
mit thränenreichen Pathos oder mit giftigem Hohn gegen die kaiserliche Politik
erhoben wurden und werden, mußten vergeblich bleiben und sind vergeblich ge¬
blieben. Die Vvlkspvlitik kann eben nnr äußerst selten zur Staatspolitik werden,
weil sie immer viel mehr von Empfindungen als vou Erwägungen abhängig
sein wird und die Lage der Dinge zu wenig übersehen kann. In diesem Falle
können wir uns darüber mit unsern Nachbarn trösten. In Frankreich und


Die Tehren des Burenkriegs

nicht sehen, daß Unrecht und Recht, freilich zu ungleichen Teilen, auf beiden
Seiten waren, daß sich hier zwei wirtschaftliche Kulturen, eine höhere und eine
niedere gegenüberstanden, und daß in solchen Fällen die höhere zu siegen pflegt.
Auch die Dietmarscher Bauern haben die Unabhängigkeit ihres uralten Ge¬
schlechterstaats gegenüber dem Schleswig-holsteinischen und dänischen Feudalstaat
zwar in der gefeierten Schlacht bei Hemmingstedt am 17. Februar 1500 tapfer
behauptet, sie aber 1556 bei Heide doch verloren, und die Freiheitskämpfer
der Schweizer Urkantone erscheinen uns nur in dem verklärende!? Lichte der
Schillerschen Dichtung ideal; vom Standpunkt einer gröszern Staatsordnung
haben Geßler und Nudenz gar nicht so unrecht. Geradezu verwirrend und
gefährlich für das Volksgefühl wird diese Auffassung des Burenkriegs, wenn,
wie man es leider von theologischer Seite zuweilen hören konnte, der Aus¬
gang zu einem Probierstein der göttlichen Gerechtigkeit gemacht wurde. Kein
Zweifel, „jede Schuld rächt sich auf Erden," der Einzelnen wie der Völker,
und so wird auch England einmal für seine Sünden in Südafrika büßen müssen;
aber Wechsel auf so kurze Sicht, wie wir thörichten Menschenkinder ausstellen
möchten, acceptiert der Himmel selten. Und werden nicht auch die Engländer
von einem großen politischen Ideal beherrscht? Der Gedanke des Weltreichs
ist der Nation bis in ihre untersten Schichten in Fleisch und Blut über¬
gegangen; sie hat mit ihrem sichern Instinkt begriffen, daß sie ohne das Welt¬
reich nicht mehr existieren kann, und daß es in Südafrika um Sein und Nichtsein
geht. Alle Nichtswürdigkeiten englischer Kapitalistenkreise und alle Brutalitäten
ihrer Kriegführung, die uns mit Recht empören, machen sie darin nicht irre,
obwohl sie weiß und tagtäglich empfindet, daß heute auf dem europäischen
Festlande nichts verhaßter ist als der Name Englands. Polnischer Idealismus
ist auch das.

Eine zweite recht empfindliche Lehre, die der Krieg namentlich uns Deutschen
erteilt, ist die Wahrnehmung, wie ohnmächtig die öffentliche Meinung ist in
Fällen, wo sie mit den großen Interessen des Staats oder mit der Lage nicht
übereinstimmt, die Negierung also außer stände ist, nach ihr zu handeln. Wäre
es nach der öffentlichen Meinung in Deutschland gegangen, so hätte das Reich
eine große Koalition bilden und England gebieterisch in den Arm fallen müssen,
bloß um der Gerechtigkeit mulier, als wenn wir für die ganze Welt zu Sitten¬
richtern und Polizisten bestellt wären — eine Auffassung, vor der Fürst Bismarck
immer aufs dringendste gewarnt hat —, und ohne jede Rücksicht darauf, ob
wir denn für einen so ungeheuern Einsatz irgend einen entsprechenden Gewinn
in Aussicht gehabt hätten. Alle Vorwürfe und Klagen, die, versteckt oder offen,
mit thränenreichen Pathos oder mit giftigem Hohn gegen die kaiserliche Politik
erhoben wurden und werden, mußten vergeblich bleiben und sind vergeblich ge¬
blieben. Die Vvlkspvlitik kann eben nnr äußerst selten zur Staatspolitik werden,
weil sie immer viel mehr von Empfindungen als vou Erwägungen abhängig
sein wird und die Lage der Dinge zu wenig übersehen kann. In diesem Falle
können wir uns darüber mit unsern Nachbarn trösten. In Frankreich und


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0332" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/291409"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Tehren des Burenkriegs</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1091" prev="#ID_1090"> nicht sehen, daß Unrecht und Recht, freilich zu ungleichen Teilen, auf beiden<lb/>
Seiten waren, daß sich hier zwei wirtschaftliche Kulturen, eine höhere und eine<lb/>
niedere gegenüberstanden, und daß in solchen Fällen die höhere zu siegen pflegt.<lb/>
Auch die Dietmarscher Bauern haben die Unabhängigkeit ihres uralten Ge¬<lb/>
schlechterstaats gegenüber dem Schleswig-holsteinischen und dänischen Feudalstaat<lb/>
zwar in der gefeierten Schlacht bei Hemmingstedt am 17. Februar 1500 tapfer<lb/>
behauptet, sie aber 1556 bei Heide doch verloren, und die Freiheitskämpfer<lb/>
der Schweizer Urkantone erscheinen uns nur in dem verklärende!? Lichte der<lb/>
Schillerschen Dichtung ideal; vom Standpunkt einer gröszern Staatsordnung<lb/>
haben Geßler und Nudenz gar nicht so unrecht. Geradezu verwirrend und<lb/>
gefährlich für das Volksgefühl wird diese Auffassung des Burenkriegs, wenn,<lb/>
wie man es leider von theologischer Seite zuweilen hören konnte, der Aus¬<lb/>
gang zu einem Probierstein der göttlichen Gerechtigkeit gemacht wurde. Kein<lb/>
Zweifel, &#x201E;jede Schuld rächt sich auf Erden," der Einzelnen wie der Völker,<lb/>
und so wird auch England einmal für seine Sünden in Südafrika büßen müssen;<lb/>
aber Wechsel auf so kurze Sicht, wie wir thörichten Menschenkinder ausstellen<lb/>
möchten, acceptiert der Himmel selten. Und werden nicht auch die Engländer<lb/>
von einem großen politischen Ideal beherrscht? Der Gedanke des Weltreichs<lb/>
ist der Nation bis in ihre untersten Schichten in Fleisch und Blut über¬<lb/>
gegangen; sie hat mit ihrem sichern Instinkt begriffen, daß sie ohne das Welt¬<lb/>
reich nicht mehr existieren kann, und daß es in Südafrika um Sein und Nichtsein<lb/>
geht. Alle Nichtswürdigkeiten englischer Kapitalistenkreise und alle Brutalitäten<lb/>
ihrer Kriegführung, die uns mit Recht empören, machen sie darin nicht irre,<lb/>
obwohl sie weiß und tagtäglich empfindet, daß heute auf dem europäischen<lb/>
Festlande nichts verhaßter ist als der Name Englands. Polnischer Idealismus<lb/>
ist auch das.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1092" next="#ID_1093"> Eine zweite recht empfindliche Lehre, die der Krieg namentlich uns Deutschen<lb/>
erteilt, ist die Wahrnehmung, wie ohnmächtig die öffentliche Meinung ist in<lb/>
Fällen, wo sie mit den großen Interessen des Staats oder mit der Lage nicht<lb/>
übereinstimmt, die Negierung also außer stände ist, nach ihr zu handeln. Wäre<lb/>
es nach der öffentlichen Meinung in Deutschland gegangen, so hätte das Reich<lb/>
eine große Koalition bilden und England gebieterisch in den Arm fallen müssen,<lb/>
bloß um der Gerechtigkeit mulier, als wenn wir für die ganze Welt zu Sitten¬<lb/>
richtern und Polizisten bestellt wären &#x2014; eine Auffassung, vor der Fürst Bismarck<lb/>
immer aufs dringendste gewarnt hat &#x2014;, und ohne jede Rücksicht darauf, ob<lb/>
wir denn für einen so ungeheuern Einsatz irgend einen entsprechenden Gewinn<lb/>
in Aussicht gehabt hätten. Alle Vorwürfe und Klagen, die, versteckt oder offen,<lb/>
mit thränenreichen Pathos oder mit giftigem Hohn gegen die kaiserliche Politik<lb/>
erhoben wurden und werden, mußten vergeblich bleiben und sind vergeblich ge¬<lb/>
blieben. Die Vvlkspvlitik kann eben nnr äußerst selten zur Staatspolitik werden,<lb/>
weil sie immer viel mehr von Empfindungen als vou Erwägungen abhängig<lb/>
sein wird und die Lage der Dinge zu wenig übersehen kann. In diesem Falle<lb/>
können wir uns darüber mit unsern Nachbarn trösten.  In Frankreich und</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0332] Die Tehren des Burenkriegs nicht sehen, daß Unrecht und Recht, freilich zu ungleichen Teilen, auf beiden Seiten waren, daß sich hier zwei wirtschaftliche Kulturen, eine höhere und eine niedere gegenüberstanden, und daß in solchen Fällen die höhere zu siegen pflegt. Auch die Dietmarscher Bauern haben die Unabhängigkeit ihres uralten Ge¬ schlechterstaats gegenüber dem Schleswig-holsteinischen und dänischen Feudalstaat zwar in der gefeierten Schlacht bei Hemmingstedt am 17. Februar 1500 tapfer behauptet, sie aber 1556 bei Heide doch verloren, und die Freiheitskämpfer der Schweizer Urkantone erscheinen uns nur in dem verklärende!? Lichte der Schillerschen Dichtung ideal; vom Standpunkt einer gröszern Staatsordnung haben Geßler und Nudenz gar nicht so unrecht. Geradezu verwirrend und gefährlich für das Volksgefühl wird diese Auffassung des Burenkriegs, wenn, wie man es leider von theologischer Seite zuweilen hören konnte, der Aus¬ gang zu einem Probierstein der göttlichen Gerechtigkeit gemacht wurde. Kein Zweifel, „jede Schuld rächt sich auf Erden," der Einzelnen wie der Völker, und so wird auch England einmal für seine Sünden in Südafrika büßen müssen; aber Wechsel auf so kurze Sicht, wie wir thörichten Menschenkinder ausstellen möchten, acceptiert der Himmel selten. Und werden nicht auch die Engländer von einem großen politischen Ideal beherrscht? Der Gedanke des Weltreichs ist der Nation bis in ihre untersten Schichten in Fleisch und Blut über¬ gegangen; sie hat mit ihrem sichern Instinkt begriffen, daß sie ohne das Welt¬ reich nicht mehr existieren kann, und daß es in Südafrika um Sein und Nichtsein geht. Alle Nichtswürdigkeiten englischer Kapitalistenkreise und alle Brutalitäten ihrer Kriegführung, die uns mit Recht empören, machen sie darin nicht irre, obwohl sie weiß und tagtäglich empfindet, daß heute auf dem europäischen Festlande nichts verhaßter ist als der Name Englands. Polnischer Idealismus ist auch das. Eine zweite recht empfindliche Lehre, die der Krieg namentlich uns Deutschen erteilt, ist die Wahrnehmung, wie ohnmächtig die öffentliche Meinung ist in Fällen, wo sie mit den großen Interessen des Staats oder mit der Lage nicht übereinstimmt, die Negierung also außer stände ist, nach ihr zu handeln. Wäre es nach der öffentlichen Meinung in Deutschland gegangen, so hätte das Reich eine große Koalition bilden und England gebieterisch in den Arm fallen müssen, bloß um der Gerechtigkeit mulier, als wenn wir für die ganze Welt zu Sitten¬ richtern und Polizisten bestellt wären — eine Auffassung, vor der Fürst Bismarck immer aufs dringendste gewarnt hat —, und ohne jede Rücksicht darauf, ob wir denn für einen so ungeheuern Einsatz irgend einen entsprechenden Gewinn in Aussicht gehabt hätten. Alle Vorwürfe und Klagen, die, versteckt oder offen, mit thränenreichen Pathos oder mit giftigem Hohn gegen die kaiserliche Politik erhoben wurden und werden, mußten vergeblich bleiben und sind vergeblich ge¬ blieben. Die Vvlkspvlitik kann eben nnr äußerst selten zur Staatspolitik werden, weil sie immer viel mehr von Empfindungen als vou Erwägungen abhängig sein wird und die Lage der Dinge zu wenig übersehen kann. In diesem Falle können wir uns darüber mit unsern Nachbarn trösten. In Frankreich und

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/332
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/332>, abgerufen am 29.06.2024.