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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Die großen Runstausstellungen in Berlin

raummaler, an Terborch, Pieter de Hooch, Jan Steen, Adriaen van Ostade usw.
angeknüpft haben. Nur daß sie das Dämmerlicht, unter dem sich flüchtige
Zeichnung und schlaffe Modellierung bequem verbergen lassen, viel eifriger
pflegen als jene fleißigen Alten, die sich auch bei schlechter Bezahlung keine
Mühe verdrießen ließen.

Auch die französischen Maler, die sich an der großen Berliner Kunstaus¬
stellung beteiligt haben, haben nicht das Beste, was sie gerade hatten, nach
Berlin geschickt. Dazu war die Zeit so schlecht wie möglich gewählt. Aber
einige, wie z. B. Jules Lefebvre und Benjamin Constant, haben sich doch der
Verpflichtung erinnert, die ihnen ihr Name auferlegt, und ein paar vortreff¬
liche Bildnisse geschickt. Vor zwanzig Jahren hätten sie vielleicht in Berlin
noch einen Sturm der Bewundrung erregt; aber heute stehn sie fast auf einer
Höhe mit den Leistungen unsrer Bildnismaler mittlern Ranges. An die Ge¬
nialität eines Lenbach, wie unbändig er sich auch gebärden, wie sehr er sich
auch in der Vernachlässigung der Zeichnung und Modellierung und der bis¬
weilen geradezu barbarischen Behandlung der Hände lind Arme seiner Opfer
versündigen mag, reicht doch keiner von den Franzosen, auch keiner von den
Engländern und Amerikanern, Whistler, Sargent, anch Herkomer mit einbe¬
griffen, heran. Sogar der an Temperament und künstlerischer Individualität
schwächere Friedrich August Kaulbach hat sich von jenen Eigenschaften eines
Bildnismalers, die früher als spezifisch französisch galten, so viele angeeignet,
daß er als Fraucnmaler auf gleicher Höhe mit den besten Franzosen steht.
Das bedeutet, mit dem höchsten Maßstabe gemessen, nicht viel. Aber es muß
hervorgehoben werden, solange noch nicht die Legende von der absoluten
Überlegenheit der französischen Kunst unter unsern Landsleuten völlig be¬
seitigt ist.

Einen gewaltigen Schritt dazu hat der Massenbesuch der Pariser Welt¬
ausstellung gethan, vielleicht am meisten die Beobachtung, daß die aus der
Ferne kritiklos angestaunte "Hauptstadt der Welt" in ihrer gesamten Kultur
während der letzte" zwanzig Jahre stehn geblieben ist, daß die dritte Republik
de>s Erbe der napoleviiischell Herrschaft, soweit es der äußern Gestaltung der
Stadt Paris zum Segen gereicht hat, sehr schlecht verwaltet hat, und daß
Paris namentlich in seinen iimständlicheil und unvollkommnen Verkehrsver-
hältnissen hinter denen der meisten deutschen Mittelstädte zurücksteht. Diese
Beobachtung hat zu einer Ernüchterung geführt, die auch auf die Beurteilung
der Werke der bildenden Künste herabflimmert eingewirkt hat. Im lärmenden
Pathos sind uns die französischen Baukünstler, Bildner und Maler immer noch
überlegen. Aber unsre Kunst hat längst den Ehrgeiz aufgegeben, sich mit den
Franzosen gerade auf diesen, Gebiete zu messen. Sie hat erkannt, daß die
große theatralische Gebärde etwas spezifisch gallisches ist, und daß der germa¬
nische Kunstgeist sein höchstes Ideal in der stillen Größe sieht, die sozusagen
von innerm Feuer durchleuchtet wird. Das ungeheure Aufgebot von plastischem
Zierat, mit dem die Schöpfer der Pariser Weltausstelllingsbauteu, auch der


Die großen Runstausstellungen in Berlin

raummaler, an Terborch, Pieter de Hooch, Jan Steen, Adriaen van Ostade usw.
angeknüpft haben. Nur daß sie das Dämmerlicht, unter dem sich flüchtige
Zeichnung und schlaffe Modellierung bequem verbergen lassen, viel eifriger
pflegen als jene fleißigen Alten, die sich auch bei schlechter Bezahlung keine
Mühe verdrießen ließen.

Auch die französischen Maler, die sich an der großen Berliner Kunstaus¬
stellung beteiligt haben, haben nicht das Beste, was sie gerade hatten, nach
Berlin geschickt. Dazu war die Zeit so schlecht wie möglich gewählt. Aber
einige, wie z. B. Jules Lefebvre und Benjamin Constant, haben sich doch der
Verpflichtung erinnert, die ihnen ihr Name auferlegt, und ein paar vortreff¬
liche Bildnisse geschickt. Vor zwanzig Jahren hätten sie vielleicht in Berlin
noch einen Sturm der Bewundrung erregt; aber heute stehn sie fast auf einer
Höhe mit den Leistungen unsrer Bildnismaler mittlern Ranges. An die Ge¬
nialität eines Lenbach, wie unbändig er sich auch gebärden, wie sehr er sich
auch in der Vernachlässigung der Zeichnung und Modellierung und der bis¬
weilen geradezu barbarischen Behandlung der Hände lind Arme seiner Opfer
versündigen mag, reicht doch keiner von den Franzosen, auch keiner von den
Engländern und Amerikanern, Whistler, Sargent, anch Herkomer mit einbe¬
griffen, heran. Sogar der an Temperament und künstlerischer Individualität
schwächere Friedrich August Kaulbach hat sich von jenen Eigenschaften eines
Bildnismalers, die früher als spezifisch französisch galten, so viele angeeignet,
daß er als Fraucnmaler auf gleicher Höhe mit den besten Franzosen steht.
Das bedeutet, mit dem höchsten Maßstabe gemessen, nicht viel. Aber es muß
hervorgehoben werden, solange noch nicht die Legende von der absoluten
Überlegenheit der französischen Kunst unter unsern Landsleuten völlig be¬
seitigt ist.

Einen gewaltigen Schritt dazu hat der Massenbesuch der Pariser Welt¬
ausstellung gethan, vielleicht am meisten die Beobachtung, daß die aus der
Ferne kritiklos angestaunte „Hauptstadt der Welt" in ihrer gesamten Kultur
während der letzte» zwanzig Jahre stehn geblieben ist, daß die dritte Republik
de>s Erbe der napoleviiischell Herrschaft, soweit es der äußern Gestaltung der
Stadt Paris zum Segen gereicht hat, sehr schlecht verwaltet hat, und daß
Paris namentlich in seinen iimständlicheil und unvollkommnen Verkehrsver-
hältnissen hinter denen der meisten deutschen Mittelstädte zurücksteht. Diese
Beobachtung hat zu einer Ernüchterung geführt, die auch auf die Beurteilung
der Werke der bildenden Künste herabflimmert eingewirkt hat. Im lärmenden
Pathos sind uns die französischen Baukünstler, Bildner und Maler immer noch
überlegen. Aber unsre Kunst hat längst den Ehrgeiz aufgegeben, sich mit den
Franzosen gerade auf diesen, Gebiete zu messen. Sie hat erkannt, daß die
große theatralische Gebärde etwas spezifisch gallisches ist, und daß der germa¬
nische Kunstgeist sein höchstes Ideal in der stillen Größe sieht, die sozusagen
von innerm Feuer durchleuchtet wird. Das ungeheure Aufgebot von plastischem
Zierat, mit dem die Schöpfer der Pariser Weltausstelllingsbauteu, auch der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/313>, abgerufen am 29.06.2024.