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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Die großen Annstcmsstellungen in Berlin

da eine jährliche Ausstellung in dem einmal gegebnen Rahmen nur durch die
Mitwirkung des Auslands zugkräftig erhalten werden kann. Dasselbe gilt
von der Jahresausstcllung im Münchner Glaspalast. Für kleine Elitenus-
stellnngen wie die der Münchner und der Berliner Sezession kann die Mitwirkung
des Auslands auf die Dauer geradezu gefährlich werden, und diese Gefahr ist
anch schon von der Leitung der Münchner Sezessionsausstellung erkannt worden.
Von Jahr zu Jahr ist die Beteiligung des Auslands geringer geworden, ob
durch einen unerklärlichen Zufall oder durch absichtliche Beschränkung, das
mögen die Diplomaten entscheiden, die mit den innern Angelegenheiten der
Münchner Kunstpolitik besser vertraut sind als wir.

Auch die zweite Ausstellung der Berliner Sezession, die im Gegensatz zur
ersten die Heranziehung des Auslands ans ihr Programm gesetzt hatte, hat
nicht viel ausländische Kunst gebracht. Es hat zwar nicht um den berühmten
Namen gefehlt, die jetzt so ziemlich auf jeder größern Kunstausstellung zu
finden sind; aber die Werke, die die Namen Whistler, Lavery, Brangwyn,
Rciffaelli, Segantini, Andreas Zorn usw. trugen, waren keineswegs geeignet,
diesen Namen in den Augen der Kenner moderner .Kunst neuen Glanz zu ver¬
leihen. Man konnte vor diesen und andern Werken ausländischer Künstler die
fatale Empfindung nicht los werden, als ob hier armselige Brocken von den
wohlbesetzten Tafeln der Reichen gefallen wären, als ob für uus Deutsche die
geringste Kunstware des Auslands immer noch gut genug wäre. Eine dieser
vielumworbnen Auslandsgrößen, der Pariser Maler Jacques Emile Manche,
hatte seine Gunst ziemlich gleichmäßig auf die beiden rivalisierenden Aus¬
stellungen verteilt. Der Leitung der "großen" war es nämlich gelungen, eine
stattliche Anzahl französischer Künstler zu einer Sammelausstellung zu bewegen,
und da Blanche sich weder dieser versagen noch den Sezessionisten einen Korb
geben wollte, erschien er auf beiden Ausstellungen. Offenbar wird ihm das
Malen sehr leicht, da er sich nicht viel mit vorbereitender Denkarbeit abgiebt. Er
malt immer dieselbe Dame -- er nennt sie "Lucie" --, die, in weißem oder
lichtfarbigem Kleide, entweder mit einer Handarbeit oder mit Blnmenpflege
beschäftigt, meist aber in süßes Nichtsthun, in sanfte Melancholie versunken ist.
Nur der Raum, wo diese Lucie ihr Wesen treibt, ist immer ein andrer. Je
nachdem der Salon oder das Boudoir oder das Vorzimmer, wo sie sich gerade
aufhält, auf blau, grün oder violett gestimmt ist, erstrahlt anch die Dame in
den entsprechenden Farbenreflexen. Dieser Mann gilt in Paris und somit auch
in Frankreich für einen großen Künstler! Wie stolz dürfen wir sein, daß wir
in dem Münchner Hans Borchardt einen Künstler haben, der dieselbe Gattung
der Malerei pflegt wie der Franzose und diesem mindestens ebenbürtig, wenn
nicht gar überlegen ist. Denn er belebt seine nicht weniger fein beleuchteten
Innenräume mit zwei, auch drei Figuren, die ihre stille Beschaulichkeit bis¬
weilen sogar durch wichtige Handlungen, wie Kaffee- oder Theetrinken, unter¬
brechen. Wer die Lehren der Kunstgeschichte nicht vergessen hat, wird bemerken,
daß diese durch und durch Modernen wieder an die altniederländischen Innen-


Die großen Annstcmsstellungen in Berlin

da eine jährliche Ausstellung in dem einmal gegebnen Rahmen nur durch die
Mitwirkung des Auslands zugkräftig erhalten werden kann. Dasselbe gilt
von der Jahresausstcllung im Münchner Glaspalast. Für kleine Elitenus-
stellnngen wie die der Münchner und der Berliner Sezession kann die Mitwirkung
des Auslands auf die Dauer geradezu gefährlich werden, und diese Gefahr ist
anch schon von der Leitung der Münchner Sezessionsausstellung erkannt worden.
Von Jahr zu Jahr ist die Beteiligung des Auslands geringer geworden, ob
durch einen unerklärlichen Zufall oder durch absichtliche Beschränkung, das
mögen die Diplomaten entscheiden, die mit den innern Angelegenheiten der
Münchner Kunstpolitik besser vertraut sind als wir.

Auch die zweite Ausstellung der Berliner Sezession, die im Gegensatz zur
ersten die Heranziehung des Auslands ans ihr Programm gesetzt hatte, hat
nicht viel ausländische Kunst gebracht. Es hat zwar nicht um den berühmten
Namen gefehlt, die jetzt so ziemlich auf jeder größern Kunstausstellung zu
finden sind; aber die Werke, die die Namen Whistler, Lavery, Brangwyn,
Rciffaelli, Segantini, Andreas Zorn usw. trugen, waren keineswegs geeignet,
diesen Namen in den Augen der Kenner moderner .Kunst neuen Glanz zu ver¬
leihen. Man konnte vor diesen und andern Werken ausländischer Künstler die
fatale Empfindung nicht los werden, als ob hier armselige Brocken von den
wohlbesetzten Tafeln der Reichen gefallen wären, als ob für uus Deutsche die
geringste Kunstware des Auslands immer noch gut genug wäre. Eine dieser
vielumworbnen Auslandsgrößen, der Pariser Maler Jacques Emile Manche,
hatte seine Gunst ziemlich gleichmäßig auf die beiden rivalisierenden Aus¬
stellungen verteilt. Der Leitung der „großen" war es nämlich gelungen, eine
stattliche Anzahl französischer Künstler zu einer Sammelausstellung zu bewegen,
und da Blanche sich weder dieser versagen noch den Sezessionisten einen Korb
geben wollte, erschien er auf beiden Ausstellungen. Offenbar wird ihm das
Malen sehr leicht, da er sich nicht viel mit vorbereitender Denkarbeit abgiebt. Er
malt immer dieselbe Dame — er nennt sie „Lucie" —, die, in weißem oder
lichtfarbigem Kleide, entweder mit einer Handarbeit oder mit Blnmenpflege
beschäftigt, meist aber in süßes Nichtsthun, in sanfte Melancholie versunken ist.
Nur der Raum, wo diese Lucie ihr Wesen treibt, ist immer ein andrer. Je
nachdem der Salon oder das Boudoir oder das Vorzimmer, wo sie sich gerade
aufhält, auf blau, grün oder violett gestimmt ist, erstrahlt anch die Dame in
den entsprechenden Farbenreflexen. Dieser Mann gilt in Paris und somit auch
in Frankreich für einen großen Künstler! Wie stolz dürfen wir sein, daß wir
in dem Münchner Hans Borchardt einen Künstler haben, der dieselbe Gattung
der Malerei pflegt wie der Franzose und diesem mindestens ebenbürtig, wenn
nicht gar überlegen ist. Denn er belebt seine nicht weniger fein beleuchteten
Innenräume mit zwei, auch drei Figuren, die ihre stille Beschaulichkeit bis¬
weilen sogar durch wichtige Handlungen, wie Kaffee- oder Theetrinken, unter¬
brechen. Wer die Lehren der Kunstgeschichte nicht vergessen hat, wird bemerken,
daß diese durch und durch Modernen wieder an die altniederländischen Innen-


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[0312] Die großen Annstcmsstellungen in Berlin da eine jährliche Ausstellung in dem einmal gegebnen Rahmen nur durch die Mitwirkung des Auslands zugkräftig erhalten werden kann. Dasselbe gilt von der Jahresausstcllung im Münchner Glaspalast. Für kleine Elitenus- stellnngen wie die der Münchner und der Berliner Sezession kann die Mitwirkung des Auslands auf die Dauer geradezu gefährlich werden, und diese Gefahr ist anch schon von der Leitung der Münchner Sezessionsausstellung erkannt worden. Von Jahr zu Jahr ist die Beteiligung des Auslands geringer geworden, ob durch einen unerklärlichen Zufall oder durch absichtliche Beschränkung, das mögen die Diplomaten entscheiden, die mit den innern Angelegenheiten der Münchner Kunstpolitik besser vertraut sind als wir. Auch die zweite Ausstellung der Berliner Sezession, die im Gegensatz zur ersten die Heranziehung des Auslands ans ihr Programm gesetzt hatte, hat nicht viel ausländische Kunst gebracht. Es hat zwar nicht um den berühmten Namen gefehlt, die jetzt so ziemlich auf jeder größern Kunstausstellung zu finden sind; aber die Werke, die die Namen Whistler, Lavery, Brangwyn, Rciffaelli, Segantini, Andreas Zorn usw. trugen, waren keineswegs geeignet, diesen Namen in den Augen der Kenner moderner .Kunst neuen Glanz zu ver¬ leihen. Man konnte vor diesen und andern Werken ausländischer Künstler die fatale Empfindung nicht los werden, als ob hier armselige Brocken von den wohlbesetzten Tafeln der Reichen gefallen wären, als ob für uus Deutsche die geringste Kunstware des Auslands immer noch gut genug wäre. Eine dieser vielumworbnen Auslandsgrößen, der Pariser Maler Jacques Emile Manche, hatte seine Gunst ziemlich gleichmäßig auf die beiden rivalisierenden Aus¬ stellungen verteilt. Der Leitung der „großen" war es nämlich gelungen, eine stattliche Anzahl französischer Künstler zu einer Sammelausstellung zu bewegen, und da Blanche sich weder dieser versagen noch den Sezessionisten einen Korb geben wollte, erschien er auf beiden Ausstellungen. Offenbar wird ihm das Malen sehr leicht, da er sich nicht viel mit vorbereitender Denkarbeit abgiebt. Er malt immer dieselbe Dame — er nennt sie „Lucie" —, die, in weißem oder lichtfarbigem Kleide, entweder mit einer Handarbeit oder mit Blnmenpflege beschäftigt, meist aber in süßes Nichtsthun, in sanfte Melancholie versunken ist. Nur der Raum, wo diese Lucie ihr Wesen treibt, ist immer ein andrer. Je nachdem der Salon oder das Boudoir oder das Vorzimmer, wo sie sich gerade aufhält, auf blau, grün oder violett gestimmt ist, erstrahlt anch die Dame in den entsprechenden Farbenreflexen. Dieser Mann gilt in Paris und somit auch in Frankreich für einen großen Künstler! Wie stolz dürfen wir sein, daß wir in dem Münchner Hans Borchardt einen Künstler haben, der dieselbe Gattung der Malerei pflegt wie der Franzose und diesem mindestens ebenbürtig, wenn nicht gar überlegen ist. Denn er belebt seine nicht weniger fein beleuchteten Innenräume mit zwei, auch drei Figuren, die ihre stille Beschaulichkeit bis¬ weilen sogar durch wichtige Handlungen, wie Kaffee- oder Theetrinken, unter¬ brechen. Wer die Lehren der Kunstgeschichte nicht vergessen hat, wird bemerken, daß diese durch und durch Modernen wieder an die altniederländischen Innen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/312>, abgerufen am 29.06.2024.