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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Die großen Kunstausstellungen in Berlin

genommen selbst nur Nachahmer ist. Auch Thoma hat schon eine ansehnliche
Zahl solcher Nachüffer im Gefolge. Es fehlt ihm aber auch nicht an Nach¬
folgern, die sich die gesunde Grundlage seiner Kunst, die naive Naturanschnuung
der altdeutschen Meister, angeeignet haben, damit aber die volle Freiheit der
modernen Darstellungsweise verbinden. Die Bekanntschaft eines solchen, klug
berechnenden und doch poetisch empfindenden Künstlers haben wir erst im
Oktober in der Schultischen Ausstellung in Berlin gemacht. Es ist der Maler
Edmund Steppes in München, der in seinen Wald- und Wiesenlandschaften
strenge, aber naturwahre Zeichnung aller Einzelheiten bis auf die um blauen
Himmel dahinsegelnden Wölkchen mit genauer Beobachtung der Gesetze der
Linearperspektive verbindet. Die Luftperspektive berücksichtigt er freilich nicht,
und wer ehrlich sein will, der muß bekennen, daß die sogenannte Luftperspektive,
die uns die modernen Maler so trügerisch zur Beschönigung ihrer Abneigung
gegen detaillierende Zeichnung vorgaukeln, in Wirklichkeit für ein normal ge¬
bildetes Auge bei ruhiger Tagesbeleuchtuug nicht vorhanden ist. Sie zeigt
sich nur bei bewölktem Himmel oder bei der Abenddämmerung und auch dann
nur in Gegenden, wo des Abends Dünste aus der Erde steigen und die Um¬
risse aller Gegenstände undeutlich und mit der Hingebung verschwimmen machen.
Bei gleichmäßiger Tages- oder gar bei greller Sonnenbeleuchtung wird ein
gesundes Auge nichts von der Luftperspektive gewahr; nur vielleicht wenn
es die Wimpern schließt und durch den Spalt hiudurchbliuzelt, und auch dann
ist das Flimmern der Luft nur eine Augentäuschung, die freilich eine neue
Richtung der Malerei, die impressionistische, begründet hat.

Dn diese Malerei für kranke Augen neuerdings all ihrem schnell errungnen
Glanz stark verloren hat, wollen wir bei ihr nicht weiter verweilen. Weder
die große Kunstausstellung noch die der Sezession hatten neue Offenbarungen
dieser Gattung von Malerei auszuweisen. Daß auf der der Sezession die
Führer der Impressionisten, Monet und Pissarro, vertreten waren, ist wohl
mir der Beteiligung des Kunsthandels verdankt worden, der bei der Ausstellung
der Sezessionisteu noch stärker mitzusprechen scheint als bei der großen Kunst¬
ausstellung. Die fremden Künstlernamen dienen nur dazu, dem Publikum
Sand in die Augen zu streuen. In Wirklichkeit kümmern sich die ausländischen
Künstler blitzwenig um die deutschen Ausstellungen. Die Vermittler zwischen
ihnen und demi deutschen Publikum sind immer die Kunsthändler, und nur in
größern Zwischenräumen, wenn in Deutschland internationale Kunstausstellungen
unternommen werden, spinnt sich durch die Abgesandten der deutschen Künstler-
vereine ein Verkehr zwischen deutschen und ausländischen Künstlern an, dessen
Früchte dann auf den Ausstellungen zu Tage treten -- nicht immer zur Freude
der deutschen Unternehmer, die in ihrem hellen Idealismus den Ausstellungs¬
besuchern etwas ganz besondres bieten wollten und dann zu ihrem Schaden
sehen mußten, daß dieses ganz besondre auch stark gekauft wurde.

Diese Erfahrung ist in diesem Jahre auch der Leitung der großen Kunst¬
ausstellung nicht erspart geblieben, und sie wird sie vielleicht noch öfter machen,


Grenzbote" IV 1900 36
Die großen Kunstausstellungen in Berlin

genommen selbst nur Nachahmer ist. Auch Thoma hat schon eine ansehnliche
Zahl solcher Nachüffer im Gefolge. Es fehlt ihm aber auch nicht an Nach¬
folgern, die sich die gesunde Grundlage seiner Kunst, die naive Naturanschnuung
der altdeutschen Meister, angeeignet haben, damit aber die volle Freiheit der
modernen Darstellungsweise verbinden. Die Bekanntschaft eines solchen, klug
berechnenden und doch poetisch empfindenden Künstlers haben wir erst im
Oktober in der Schultischen Ausstellung in Berlin gemacht. Es ist der Maler
Edmund Steppes in München, der in seinen Wald- und Wiesenlandschaften
strenge, aber naturwahre Zeichnung aller Einzelheiten bis auf die um blauen
Himmel dahinsegelnden Wölkchen mit genauer Beobachtung der Gesetze der
Linearperspektive verbindet. Die Luftperspektive berücksichtigt er freilich nicht,
und wer ehrlich sein will, der muß bekennen, daß die sogenannte Luftperspektive,
die uns die modernen Maler so trügerisch zur Beschönigung ihrer Abneigung
gegen detaillierende Zeichnung vorgaukeln, in Wirklichkeit für ein normal ge¬
bildetes Auge bei ruhiger Tagesbeleuchtuug nicht vorhanden ist. Sie zeigt
sich nur bei bewölktem Himmel oder bei der Abenddämmerung und auch dann
nur in Gegenden, wo des Abends Dünste aus der Erde steigen und die Um¬
risse aller Gegenstände undeutlich und mit der Hingebung verschwimmen machen.
Bei gleichmäßiger Tages- oder gar bei greller Sonnenbeleuchtung wird ein
gesundes Auge nichts von der Luftperspektive gewahr; nur vielleicht wenn
es die Wimpern schließt und durch den Spalt hiudurchbliuzelt, und auch dann
ist das Flimmern der Luft nur eine Augentäuschung, die freilich eine neue
Richtung der Malerei, die impressionistische, begründet hat.

Dn diese Malerei für kranke Augen neuerdings all ihrem schnell errungnen
Glanz stark verloren hat, wollen wir bei ihr nicht weiter verweilen. Weder
die große Kunstausstellung noch die der Sezession hatten neue Offenbarungen
dieser Gattung von Malerei auszuweisen. Daß auf der der Sezession die
Führer der Impressionisten, Monet und Pissarro, vertreten waren, ist wohl
mir der Beteiligung des Kunsthandels verdankt worden, der bei der Ausstellung
der Sezessionisteu noch stärker mitzusprechen scheint als bei der großen Kunst¬
ausstellung. Die fremden Künstlernamen dienen nur dazu, dem Publikum
Sand in die Augen zu streuen. In Wirklichkeit kümmern sich die ausländischen
Künstler blitzwenig um die deutschen Ausstellungen. Die Vermittler zwischen
ihnen und demi deutschen Publikum sind immer die Kunsthändler, und nur in
größern Zwischenräumen, wenn in Deutschland internationale Kunstausstellungen
unternommen werden, spinnt sich durch die Abgesandten der deutschen Künstler-
vereine ein Verkehr zwischen deutschen und ausländischen Künstlern an, dessen
Früchte dann auf den Ausstellungen zu Tage treten — nicht immer zur Freude
der deutschen Unternehmer, die in ihrem hellen Idealismus den Ausstellungs¬
besuchern etwas ganz besondres bieten wollten und dann zu ihrem Schaden
sehen mußten, daß dieses ganz besondre auch stark gekauft wurde.

Diese Erfahrung ist in diesem Jahre auch der Leitung der großen Kunst¬
ausstellung nicht erspart geblieben, und sie wird sie vielleicht noch öfter machen,


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[0311] Die großen Kunstausstellungen in Berlin genommen selbst nur Nachahmer ist. Auch Thoma hat schon eine ansehnliche Zahl solcher Nachüffer im Gefolge. Es fehlt ihm aber auch nicht an Nach¬ folgern, die sich die gesunde Grundlage seiner Kunst, die naive Naturanschnuung der altdeutschen Meister, angeeignet haben, damit aber die volle Freiheit der modernen Darstellungsweise verbinden. Die Bekanntschaft eines solchen, klug berechnenden und doch poetisch empfindenden Künstlers haben wir erst im Oktober in der Schultischen Ausstellung in Berlin gemacht. Es ist der Maler Edmund Steppes in München, der in seinen Wald- und Wiesenlandschaften strenge, aber naturwahre Zeichnung aller Einzelheiten bis auf die um blauen Himmel dahinsegelnden Wölkchen mit genauer Beobachtung der Gesetze der Linearperspektive verbindet. Die Luftperspektive berücksichtigt er freilich nicht, und wer ehrlich sein will, der muß bekennen, daß die sogenannte Luftperspektive, die uns die modernen Maler so trügerisch zur Beschönigung ihrer Abneigung gegen detaillierende Zeichnung vorgaukeln, in Wirklichkeit für ein normal ge¬ bildetes Auge bei ruhiger Tagesbeleuchtuug nicht vorhanden ist. Sie zeigt sich nur bei bewölktem Himmel oder bei der Abenddämmerung und auch dann nur in Gegenden, wo des Abends Dünste aus der Erde steigen und die Um¬ risse aller Gegenstände undeutlich und mit der Hingebung verschwimmen machen. Bei gleichmäßiger Tages- oder gar bei greller Sonnenbeleuchtung wird ein gesundes Auge nichts von der Luftperspektive gewahr; nur vielleicht wenn es die Wimpern schließt und durch den Spalt hiudurchbliuzelt, und auch dann ist das Flimmern der Luft nur eine Augentäuschung, die freilich eine neue Richtung der Malerei, die impressionistische, begründet hat. Dn diese Malerei für kranke Augen neuerdings all ihrem schnell errungnen Glanz stark verloren hat, wollen wir bei ihr nicht weiter verweilen. Weder die große Kunstausstellung noch die der Sezession hatten neue Offenbarungen dieser Gattung von Malerei auszuweisen. Daß auf der der Sezession die Führer der Impressionisten, Monet und Pissarro, vertreten waren, ist wohl mir der Beteiligung des Kunsthandels verdankt worden, der bei der Ausstellung der Sezessionisteu noch stärker mitzusprechen scheint als bei der großen Kunst¬ ausstellung. Die fremden Künstlernamen dienen nur dazu, dem Publikum Sand in die Augen zu streuen. In Wirklichkeit kümmern sich die ausländischen Künstler blitzwenig um die deutschen Ausstellungen. Die Vermittler zwischen ihnen und demi deutschen Publikum sind immer die Kunsthändler, und nur in größern Zwischenräumen, wenn in Deutschland internationale Kunstausstellungen unternommen werden, spinnt sich durch die Abgesandten der deutschen Künstler- vereine ein Verkehr zwischen deutschen und ausländischen Künstlern an, dessen Früchte dann auf den Ausstellungen zu Tage treten — nicht immer zur Freude der deutschen Unternehmer, die in ihrem hellen Idealismus den Ausstellungs¬ besuchern etwas ganz besondres bieten wollten und dann zu ihrem Schaden sehen mußten, daß dieses ganz besondre auch stark gekauft wurde. Diese Erfahrung ist in diesem Jahre auch der Leitung der großen Kunst¬ ausstellung nicht erspart geblieben, und sie wird sie vielleicht noch öfter machen, Grenzbote» IV 1900 36

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/311>, abgerufen am 29.06.2024.