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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Die großen Kunstansstellungen in Berlin

genügsame Einkehr in den Frieden der Natur, die aber leider fast immer
-- einige wenige Schwarzwald- und Taunuslandschaften abgerechnet -- mit
unvollkommnen Mitteln zur Anschauung gebracht ist. Wir wollen es dahin
gestellt sein lassen, ob die Art der Darstellung Thomas, namentlich die un¬
säglich steife und hölzerne Zeichnung und Modellierung seiner nackten Figuren,
die auf der Berliner Ausstellung besonders in einer "Engelswolke," einer
Schar in den Wolken schwebender Kindergestalten, mißfällig und die im übrigen
poetische Auffassung geradezu zerstörend auftrat, aus einer wirklich naiven
Naturanschauung, wie sie etwa die Holzschnitzer des vierzehnten und fünfzehnten
Jahrhunderts hatten, erwachsen ist, oder ob nur eine absichtliche Altertümelei,
die sich interessant machen will, vorliegt. Aber auch im ersten Falle wird
jeder, der es mit dem Fortschritt der Kunst ernst meint, und sich nicht bloß
mit dem Glauben an Autoritäten begnügt, das gewaltsame Zurückschrauben
unsers jetzigen Könnens auf eine Kunststufe des Mittelalters als ein unkünst¬
lerisches Verfahren ablehnen müssen. Ein Künstler, der sich mit Absicht über
das bessere Können seiner Zeit hinwegsetzt und die wirkliche Unbeholfenheit
früherer Jahrhunderte, vielleicht gar mit einem großen Aufwand von Geschick-
lichkeit, künstlich nachahmt, schließt sich damit selbst aus dem lebendigen Fluß
der Kunstbewegung seiner Zeit aus. Heute wird er noch von der Gunst seiner
Gemeinde, die er sich, wie jeder Sonderling in unsrer Zeit, gesammelt hat,
getragen, er ist wohl auch etwas in die Mode gekommen, soweit sie durch die
Einwirkung des Kunsthandels auf gewisse öffentliche Galerien und private
Sammlungen, auch aus die Salons der Finanzaristokratie in den Großstädten
gemacht wird; aber in der Kunstgeschichte wird er mir unter den Nachahmern
genannt werden können, die nicht stark genug waren, ihre eigne Seele gegen
andre, mächtigere Seelen zu schützen. Thoma hat nicht bloß nach den alten
Meister" geschaut, nach den deutschen und italienischen des fünfzehnten und
sechzehnten Jahrhunderts, sondern auch nach Böcklin, und in dem Dorfgeiger
von 1873, einem Bilde, worin sich seine Persönlichkeit noch am deutlichste"
kundgiebt, glaubt man sogar die Einwirkung der romantischen Weise des
Frankfurter Meisters Eduard von Seelilie zu erkennen. Was Thoma selbst
an persönlichem Eigentum seiner Kunst mitbrachte, läßt sich auch jetzt noch an
seinen Landschaften ermessen. Danach Hütte er vielleicht ein wirklich bedeutender
Künstler werden können, wenn er sich nur um die Natur, nicht um die Künstler
um ihn herum gekümmert Hütte. Einen völlig reinen Genuß gewähren auch
seine Landschaften nicht. Man sieht es ihnen an, daß sie nicht reine Natur¬
abschriften, sondern komponiert und stilisiert sind. Das dabei gezeigte Stil¬
gefühl hindert den Künstler aber nicht, an der Bittkarte einen Baum oder
eine Staffagefigur von oben nach unter durchzuschneiden, sodnß man nur die
eine Hälfte sieht.

Solche Schrullen werdeu erst besonders auffällig, wenn man sie im Spiegel
der Karikatur sieht, wenn sich erst das Heer spekulativer, aber sonst denkfauler
Nachahmer an die Fersen eines sogenannten Bahnbrechers heftet, der im Grunde


Die großen Kunstansstellungen in Berlin

genügsame Einkehr in den Frieden der Natur, die aber leider fast immer
— einige wenige Schwarzwald- und Taunuslandschaften abgerechnet — mit
unvollkommnen Mitteln zur Anschauung gebracht ist. Wir wollen es dahin
gestellt sein lassen, ob die Art der Darstellung Thomas, namentlich die un¬
säglich steife und hölzerne Zeichnung und Modellierung seiner nackten Figuren,
die auf der Berliner Ausstellung besonders in einer „Engelswolke," einer
Schar in den Wolken schwebender Kindergestalten, mißfällig und die im übrigen
poetische Auffassung geradezu zerstörend auftrat, aus einer wirklich naiven
Naturanschauung, wie sie etwa die Holzschnitzer des vierzehnten und fünfzehnten
Jahrhunderts hatten, erwachsen ist, oder ob nur eine absichtliche Altertümelei,
die sich interessant machen will, vorliegt. Aber auch im ersten Falle wird
jeder, der es mit dem Fortschritt der Kunst ernst meint, und sich nicht bloß
mit dem Glauben an Autoritäten begnügt, das gewaltsame Zurückschrauben
unsers jetzigen Könnens auf eine Kunststufe des Mittelalters als ein unkünst¬
lerisches Verfahren ablehnen müssen. Ein Künstler, der sich mit Absicht über
das bessere Können seiner Zeit hinwegsetzt und die wirkliche Unbeholfenheit
früherer Jahrhunderte, vielleicht gar mit einem großen Aufwand von Geschick-
lichkeit, künstlich nachahmt, schließt sich damit selbst aus dem lebendigen Fluß
der Kunstbewegung seiner Zeit aus. Heute wird er noch von der Gunst seiner
Gemeinde, die er sich, wie jeder Sonderling in unsrer Zeit, gesammelt hat,
getragen, er ist wohl auch etwas in die Mode gekommen, soweit sie durch die
Einwirkung des Kunsthandels auf gewisse öffentliche Galerien und private
Sammlungen, auch aus die Salons der Finanzaristokratie in den Großstädten
gemacht wird; aber in der Kunstgeschichte wird er mir unter den Nachahmern
genannt werden können, die nicht stark genug waren, ihre eigne Seele gegen
andre, mächtigere Seelen zu schützen. Thoma hat nicht bloß nach den alten
Meister» geschaut, nach den deutschen und italienischen des fünfzehnten und
sechzehnten Jahrhunderts, sondern auch nach Böcklin, und in dem Dorfgeiger
von 1873, einem Bilde, worin sich seine Persönlichkeit noch am deutlichste»
kundgiebt, glaubt man sogar die Einwirkung der romantischen Weise des
Frankfurter Meisters Eduard von Seelilie zu erkennen. Was Thoma selbst
an persönlichem Eigentum seiner Kunst mitbrachte, läßt sich auch jetzt noch an
seinen Landschaften ermessen. Danach Hütte er vielleicht ein wirklich bedeutender
Künstler werden können, wenn er sich nur um die Natur, nicht um die Künstler
um ihn herum gekümmert Hütte. Einen völlig reinen Genuß gewähren auch
seine Landschaften nicht. Man sieht es ihnen an, daß sie nicht reine Natur¬
abschriften, sondern komponiert und stilisiert sind. Das dabei gezeigte Stil¬
gefühl hindert den Künstler aber nicht, an der Bittkarte einen Baum oder
eine Staffagefigur von oben nach unter durchzuschneiden, sodnß man nur die
eine Hälfte sieht.

Solche Schrullen werdeu erst besonders auffällig, wenn man sie im Spiegel
der Karikatur sieht, wenn sich erst das Heer spekulativer, aber sonst denkfauler
Nachahmer an die Fersen eines sogenannten Bahnbrechers heftet, der im Grunde


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[0310] Die großen Kunstansstellungen in Berlin genügsame Einkehr in den Frieden der Natur, die aber leider fast immer — einige wenige Schwarzwald- und Taunuslandschaften abgerechnet — mit unvollkommnen Mitteln zur Anschauung gebracht ist. Wir wollen es dahin gestellt sein lassen, ob die Art der Darstellung Thomas, namentlich die un¬ säglich steife und hölzerne Zeichnung und Modellierung seiner nackten Figuren, die auf der Berliner Ausstellung besonders in einer „Engelswolke," einer Schar in den Wolken schwebender Kindergestalten, mißfällig und die im übrigen poetische Auffassung geradezu zerstörend auftrat, aus einer wirklich naiven Naturanschauung, wie sie etwa die Holzschnitzer des vierzehnten und fünfzehnten Jahrhunderts hatten, erwachsen ist, oder ob nur eine absichtliche Altertümelei, die sich interessant machen will, vorliegt. Aber auch im ersten Falle wird jeder, der es mit dem Fortschritt der Kunst ernst meint, und sich nicht bloß mit dem Glauben an Autoritäten begnügt, das gewaltsame Zurückschrauben unsers jetzigen Könnens auf eine Kunststufe des Mittelalters als ein unkünst¬ lerisches Verfahren ablehnen müssen. Ein Künstler, der sich mit Absicht über das bessere Können seiner Zeit hinwegsetzt und die wirkliche Unbeholfenheit früherer Jahrhunderte, vielleicht gar mit einem großen Aufwand von Geschick- lichkeit, künstlich nachahmt, schließt sich damit selbst aus dem lebendigen Fluß der Kunstbewegung seiner Zeit aus. Heute wird er noch von der Gunst seiner Gemeinde, die er sich, wie jeder Sonderling in unsrer Zeit, gesammelt hat, getragen, er ist wohl auch etwas in die Mode gekommen, soweit sie durch die Einwirkung des Kunsthandels auf gewisse öffentliche Galerien und private Sammlungen, auch aus die Salons der Finanzaristokratie in den Großstädten gemacht wird; aber in der Kunstgeschichte wird er mir unter den Nachahmern genannt werden können, die nicht stark genug waren, ihre eigne Seele gegen andre, mächtigere Seelen zu schützen. Thoma hat nicht bloß nach den alten Meister» geschaut, nach den deutschen und italienischen des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts, sondern auch nach Böcklin, und in dem Dorfgeiger von 1873, einem Bilde, worin sich seine Persönlichkeit noch am deutlichste» kundgiebt, glaubt man sogar die Einwirkung der romantischen Weise des Frankfurter Meisters Eduard von Seelilie zu erkennen. Was Thoma selbst an persönlichem Eigentum seiner Kunst mitbrachte, läßt sich auch jetzt noch an seinen Landschaften ermessen. Danach Hütte er vielleicht ein wirklich bedeutender Künstler werden können, wenn er sich nur um die Natur, nicht um die Künstler um ihn herum gekümmert Hütte. Einen völlig reinen Genuß gewähren auch seine Landschaften nicht. Man sieht es ihnen an, daß sie nicht reine Natur¬ abschriften, sondern komponiert und stilisiert sind. Das dabei gezeigte Stil¬ gefühl hindert den Künstler aber nicht, an der Bittkarte einen Baum oder eine Staffagefigur von oben nach unter durchzuschneiden, sodnß man nur die eine Hälfte sieht. Solche Schrullen werdeu erst besonders auffällig, wenn man sie im Spiegel der Karikatur sieht, wenn sich erst das Heer spekulativer, aber sonst denkfauler Nachahmer an die Fersen eines sogenannten Bahnbrechers heftet, der im Grunde

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/310>, abgerufen am 29.06.2024.