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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Die großen Runstausstellungen in Berlin

gelbe Tupfen zu malen. Nur die Staffage wechselt. Bald sind es holländische
Waisenmädchen bei der Arbeit oder bei der Erholung, bald Frauen und
Mädchen auf dem Kirchgang, bald Kinder, die zur Schule gehn. Diese hin
und her hüpfenden Sonnenflecke sind allmählich zum Schibboleth geworden, an
dem man einen echten Liebermann erkennt. Vor zwei Jahren hat er endlich
wieder ein neues Motiv gefunden, das er seitdem auch schon mehreremale in
Öl und Aquarell behandelt hat: badende Jungen, die sich am flachen Meeres¬
strande unter Aufsicht eiues Badewärters tummeln. Ein alltäglicher Gegen¬
stand, der vor Liebermann unzähligemale dargestellt worden ist, viel humor¬
voller, kecker und vor allem liebenswürdiger, als es Liebermann gelungen
ist. Das hat aber seine Anhänger nicht gehindert, frohlockend auszurufen,
daß jetzt erst -- Manet wird über Liebermann ganz vergessen -- die rechte
Hohe der Freilichtmalerei erreicht worden sei. Daß die einzelnen Figuren der
badenden Knaben noch deutlich die gesuchte, ausgeklügelte Modellstellung er¬
kennen lassen, wird, mit Absicht oder wegen mangelnden Scharfblicks, übersehen.
Überhaupt wurzelt die ganze Liebermannsche Kunst in reiner Verstandesarbeit.
Auch das anscheinend rein Malerische auf seinen Bildern ist das Erzeugnis
kluger Berechnung, nicht naiver Empfindung, und wie die Phantasie hat auch
das seelische Element in der Charakteristik seiner Figuren keinen Platz. Über
die allgemeine, fast typische Darstellung empfindungslosen Stumpfsinns geht er
selten hinaus, darin steht er noch unter dem Grafen Leopold von Kalckreuth,
von dem man wenigstens sagen kann, daß er in den Gesichtern seiner alten
Bauern und Bäuerinnen eine ganze Leidensgeschichte von Mühsal und Arbeit
lesen läßt. Wenn Liebermann gelegentlich dazu kommt, Bildnisse geistig be¬
deutender Personen zu malen, verfällt er in das entgegengesetzte Extrem. Er
will dann wieder zu geistreich werden, und dadurch erhalten die Köpfe einen
gezwungnen Ausdruck, der etwas grimassenhaftes hat.

Was Liebermann an freier Erfindungskraft und an Phantasie zu wenig
hat, hat Hans Thoma zu viel. Er sollte in diese": Jahre, wie im vorigen
Leiht, der eigentliche Held der Berliner Sezessionsausstellung werden, aber zur
Übernahme dieser .Heldenrolle ist seine Kunst nicht stark und urwüchsig genug,
und was die Hauptsache ist, er ist kein Maler im eigentlichen Sinne des Worts.
Die Modernen haben ihn auf ihren Schild gehoben, weil er jahrzehntelang zu
den Einsamen und Verläumder gehört hat. Ein Bahnbrecher auf den Pfaden
der vorwärtsschreitenden Kunst ist er aber nicht. Wenn man ein ans der
Politik geläufiges Wort auf ihn anwenden darf, so giebt es in der Kunst der
Gegenwart kaum einen ärgern Reaktionär als Hans Thoma. Bis in den An¬
fang der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts reichen die Bilder zurück,
die in der Ausstellung zu sehen waren. Auch wenn man sein ganzes übriges
Lebenswerk hinzuzieht, wird man nichts andres sagen können, als daß sich der
jetzt siebzigjährige Künstler während der ganzen Zeit seines Schaffens jederzeit
willig fremden Einflüssen hingegeben hat, und daß dabei eigentlich nicht mehr
Persönliches herausgekommen ist, als ein träumerischer Zug, als eine stille,


Die großen Runstausstellungen in Berlin

gelbe Tupfen zu malen. Nur die Staffage wechselt. Bald sind es holländische
Waisenmädchen bei der Arbeit oder bei der Erholung, bald Frauen und
Mädchen auf dem Kirchgang, bald Kinder, die zur Schule gehn. Diese hin
und her hüpfenden Sonnenflecke sind allmählich zum Schibboleth geworden, an
dem man einen echten Liebermann erkennt. Vor zwei Jahren hat er endlich
wieder ein neues Motiv gefunden, das er seitdem auch schon mehreremale in
Öl und Aquarell behandelt hat: badende Jungen, die sich am flachen Meeres¬
strande unter Aufsicht eiues Badewärters tummeln. Ein alltäglicher Gegen¬
stand, der vor Liebermann unzähligemale dargestellt worden ist, viel humor¬
voller, kecker und vor allem liebenswürdiger, als es Liebermann gelungen
ist. Das hat aber seine Anhänger nicht gehindert, frohlockend auszurufen,
daß jetzt erst — Manet wird über Liebermann ganz vergessen — die rechte
Hohe der Freilichtmalerei erreicht worden sei. Daß die einzelnen Figuren der
badenden Knaben noch deutlich die gesuchte, ausgeklügelte Modellstellung er¬
kennen lassen, wird, mit Absicht oder wegen mangelnden Scharfblicks, übersehen.
Überhaupt wurzelt die ganze Liebermannsche Kunst in reiner Verstandesarbeit.
Auch das anscheinend rein Malerische auf seinen Bildern ist das Erzeugnis
kluger Berechnung, nicht naiver Empfindung, und wie die Phantasie hat auch
das seelische Element in der Charakteristik seiner Figuren keinen Platz. Über
die allgemeine, fast typische Darstellung empfindungslosen Stumpfsinns geht er
selten hinaus, darin steht er noch unter dem Grafen Leopold von Kalckreuth,
von dem man wenigstens sagen kann, daß er in den Gesichtern seiner alten
Bauern und Bäuerinnen eine ganze Leidensgeschichte von Mühsal und Arbeit
lesen läßt. Wenn Liebermann gelegentlich dazu kommt, Bildnisse geistig be¬
deutender Personen zu malen, verfällt er in das entgegengesetzte Extrem. Er
will dann wieder zu geistreich werden, und dadurch erhalten die Köpfe einen
gezwungnen Ausdruck, der etwas grimassenhaftes hat.

Was Liebermann an freier Erfindungskraft und an Phantasie zu wenig
hat, hat Hans Thoma zu viel. Er sollte in diese»: Jahre, wie im vorigen
Leiht, der eigentliche Held der Berliner Sezessionsausstellung werden, aber zur
Übernahme dieser .Heldenrolle ist seine Kunst nicht stark und urwüchsig genug,
und was die Hauptsache ist, er ist kein Maler im eigentlichen Sinne des Worts.
Die Modernen haben ihn auf ihren Schild gehoben, weil er jahrzehntelang zu
den Einsamen und Verläumder gehört hat. Ein Bahnbrecher auf den Pfaden
der vorwärtsschreitenden Kunst ist er aber nicht. Wenn man ein ans der
Politik geläufiges Wort auf ihn anwenden darf, so giebt es in der Kunst der
Gegenwart kaum einen ärgern Reaktionär als Hans Thoma. Bis in den An¬
fang der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts reichen die Bilder zurück,
die in der Ausstellung zu sehen waren. Auch wenn man sein ganzes übriges
Lebenswerk hinzuzieht, wird man nichts andres sagen können, als daß sich der
jetzt siebzigjährige Künstler während der ganzen Zeit seines Schaffens jederzeit
willig fremden Einflüssen hingegeben hat, und daß dabei eigentlich nicht mehr
Persönliches herausgekommen ist, als ein träumerischer Zug, als eine stille,


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[0309] Die großen Runstausstellungen in Berlin gelbe Tupfen zu malen. Nur die Staffage wechselt. Bald sind es holländische Waisenmädchen bei der Arbeit oder bei der Erholung, bald Frauen und Mädchen auf dem Kirchgang, bald Kinder, die zur Schule gehn. Diese hin und her hüpfenden Sonnenflecke sind allmählich zum Schibboleth geworden, an dem man einen echten Liebermann erkennt. Vor zwei Jahren hat er endlich wieder ein neues Motiv gefunden, das er seitdem auch schon mehreremale in Öl und Aquarell behandelt hat: badende Jungen, die sich am flachen Meeres¬ strande unter Aufsicht eiues Badewärters tummeln. Ein alltäglicher Gegen¬ stand, der vor Liebermann unzähligemale dargestellt worden ist, viel humor¬ voller, kecker und vor allem liebenswürdiger, als es Liebermann gelungen ist. Das hat aber seine Anhänger nicht gehindert, frohlockend auszurufen, daß jetzt erst — Manet wird über Liebermann ganz vergessen — die rechte Hohe der Freilichtmalerei erreicht worden sei. Daß die einzelnen Figuren der badenden Knaben noch deutlich die gesuchte, ausgeklügelte Modellstellung er¬ kennen lassen, wird, mit Absicht oder wegen mangelnden Scharfblicks, übersehen. Überhaupt wurzelt die ganze Liebermannsche Kunst in reiner Verstandesarbeit. Auch das anscheinend rein Malerische auf seinen Bildern ist das Erzeugnis kluger Berechnung, nicht naiver Empfindung, und wie die Phantasie hat auch das seelische Element in der Charakteristik seiner Figuren keinen Platz. Über die allgemeine, fast typische Darstellung empfindungslosen Stumpfsinns geht er selten hinaus, darin steht er noch unter dem Grafen Leopold von Kalckreuth, von dem man wenigstens sagen kann, daß er in den Gesichtern seiner alten Bauern und Bäuerinnen eine ganze Leidensgeschichte von Mühsal und Arbeit lesen läßt. Wenn Liebermann gelegentlich dazu kommt, Bildnisse geistig be¬ deutender Personen zu malen, verfällt er in das entgegengesetzte Extrem. Er will dann wieder zu geistreich werden, und dadurch erhalten die Köpfe einen gezwungnen Ausdruck, der etwas grimassenhaftes hat. Was Liebermann an freier Erfindungskraft und an Phantasie zu wenig hat, hat Hans Thoma zu viel. Er sollte in diese»: Jahre, wie im vorigen Leiht, der eigentliche Held der Berliner Sezessionsausstellung werden, aber zur Übernahme dieser .Heldenrolle ist seine Kunst nicht stark und urwüchsig genug, und was die Hauptsache ist, er ist kein Maler im eigentlichen Sinne des Worts. Die Modernen haben ihn auf ihren Schild gehoben, weil er jahrzehntelang zu den Einsamen und Verläumder gehört hat. Ein Bahnbrecher auf den Pfaden der vorwärtsschreitenden Kunst ist er aber nicht. Wenn man ein ans der Politik geläufiges Wort auf ihn anwenden darf, so giebt es in der Kunst der Gegenwart kaum einen ärgern Reaktionär als Hans Thoma. Bis in den An¬ fang der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts reichen die Bilder zurück, die in der Ausstellung zu sehen waren. Auch wenn man sein ganzes übriges Lebenswerk hinzuzieht, wird man nichts andres sagen können, als daß sich der jetzt siebzigjährige Künstler während der ganzen Zeit seines Schaffens jederzeit willig fremden Einflüssen hingegeben hat, und daß dabei eigentlich nicht mehr Persönliches herausgekommen ist, als ein träumerischer Zug, als eine stille,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/309>, abgerufen am 29.06.2024.