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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Latifundien und Bauerngut

Aber die livländische Ritterschaft ist hierbei nicht stehn geblieben, Sie hat
seit Jahren einen vollkommnen Ausgleich der Steuerverhältnisse zwischen Hofes-
lcmd und Bauernland angestrebt und vorbereitet. Sie ist eben am Werke, eine
Steuerreform bei der Staatsregierung durchzusetzen, die Geldkasten und Natural-
lasten gleichmäßig verteilt und den letzten Unterschied von schatzfreiem Hofes¬
lande und steuerpflichtigen Bauernlande aufhebt. Diese Reform soll auch den
Wald, der den größern Teil der Hofesländereien ausmacht, aber bisher steuer¬
frei war, zur Besteuerung heranziehn. Da das Bauernland fast gar keinen
Wald hat, so trifft diese Steuer nnr das Rittergut, und da auch die Natural¬
leistungen für Wegebau usw. auf das Hofesland ausgedehnt werden sollen,
so bedeutet diese Reform eine Entlastung des bäuerlichen Eigentümers zu Lasten
des Ritterguts.

Werfen wir nun einen Blick auf die heutige Verteilung des Landes nach
der Art der Nutzung und nach der sozialen Ordnung. Das Gesamtareal Liv-
lands umfaßt 3137215 Dessätinen (1 Dessütine ^ 1,0925 Hektar) etwa
701 Quadratmeilen, darunter Domänen des Staats 292000 Dessätinen. Hier¬
von sind:

Hofesland...... 1650829 Dessätinen,
Quote ........ 250S73
Bauernland......1246 813

Da von der Quote etwa 50000 Dessätinen schon an Bauern verkauft sind,
so steht ein gutsherrlicher Besitz von 1800000 Dessätinen einem bäuerlichen
Besitz von 1300000 Dessätinen gegenüber. Nun besteht aber das Bauernland
fast nur aus Kulturland (Acker, Wiese, Weide), das Hofesland zum großen Teil
aus Wald und sogenannten Jmpedimenten, nämlich Moor, Wasser, Wegen usw.,
und zwar beträgt der Wald 746000 Dessätinen, Moore usw. 327 000 Dessätinen.
zusammen 1073000 Dessätinen, sodaß dem Hofesland an eigentlichem Kulturland
nur etwa 778000 Dessätinen verbleiben, und das Hauptgewicht des Hofeslandes
immer mehr auf den Wald übergeht, dessen Wert gegenüber dem Kulturlcmde
stetig wächst. Von dem gesamten Kulturareal waren nach der Zählung vom
Jahre 1881 in der Nutzung selbständiger Mittel- und Kleinwirtschaften
81,4 Prozent, in der Nutzung des Großgrundbesitzes 18,6 Prozent. Diese
81,4 Prozent sind heute etwa bis zu 85 Prozent in bäuerliches Eigentum
übergegangen; von den 18,6 Prozent wurden etwa 250000 Dessätiuen in
Großbetrieb bewirtschaftet, doch ist die Anbauflüche seitdem sehr gewachsen.
Daneben gab es 1881 kleine Häuslereien, mit Knechtsfamilien besetzt, die etwa
29000 Dessätinen Land hatten.

Diese agrarische Verfassung hat nun eine große soziale Bedeutung. Sie
sichert gegen allzu schnellen Besitzwechsel, sie schafft einen lebensfähigen Gro߬
besitz, einen lebensfähigen Mittelbesitz und giebt den Boden für einen Klein¬
besitz als Stütze einer seßhaften Arbeitermafse. Sie sichert den Bauernstand
gegen das Zerstäuben durch das Kapital, das Legen oder Sprengen des Bauern¬
hofes. Freilich nur bis zu der Grenze des Minimums, aber doch immer als


Grenzboten IV 1900 34
Latifundien und Bauerngut

Aber die livländische Ritterschaft ist hierbei nicht stehn geblieben, Sie hat
seit Jahren einen vollkommnen Ausgleich der Steuerverhältnisse zwischen Hofes-
lcmd und Bauernland angestrebt und vorbereitet. Sie ist eben am Werke, eine
Steuerreform bei der Staatsregierung durchzusetzen, die Geldkasten und Natural-
lasten gleichmäßig verteilt und den letzten Unterschied von schatzfreiem Hofes¬
lande und steuerpflichtigen Bauernlande aufhebt. Diese Reform soll auch den
Wald, der den größern Teil der Hofesländereien ausmacht, aber bisher steuer¬
frei war, zur Besteuerung heranziehn. Da das Bauernland fast gar keinen
Wald hat, so trifft diese Steuer nnr das Rittergut, und da auch die Natural¬
leistungen für Wegebau usw. auf das Hofesland ausgedehnt werden sollen,
so bedeutet diese Reform eine Entlastung des bäuerlichen Eigentümers zu Lasten
des Ritterguts.

Werfen wir nun einen Blick auf die heutige Verteilung des Landes nach
der Art der Nutzung und nach der sozialen Ordnung. Das Gesamtareal Liv-
lands umfaßt 3137215 Dessätinen (1 Dessütine ^ 1,0925 Hektar) etwa
701 Quadratmeilen, darunter Domänen des Staats 292000 Dessätinen. Hier¬
von sind:

Hofesland...... 1650829 Dessätinen,
Quote ........ 250S73
Bauernland......1246 813

Da von der Quote etwa 50000 Dessätinen schon an Bauern verkauft sind,
so steht ein gutsherrlicher Besitz von 1800000 Dessätinen einem bäuerlichen
Besitz von 1300000 Dessätinen gegenüber. Nun besteht aber das Bauernland
fast nur aus Kulturland (Acker, Wiese, Weide), das Hofesland zum großen Teil
aus Wald und sogenannten Jmpedimenten, nämlich Moor, Wasser, Wegen usw.,
und zwar beträgt der Wald 746000 Dessätinen, Moore usw. 327 000 Dessätinen.
zusammen 1073000 Dessätinen, sodaß dem Hofesland an eigentlichem Kulturland
nur etwa 778000 Dessätinen verbleiben, und das Hauptgewicht des Hofeslandes
immer mehr auf den Wald übergeht, dessen Wert gegenüber dem Kulturlcmde
stetig wächst. Von dem gesamten Kulturareal waren nach der Zählung vom
Jahre 1881 in der Nutzung selbständiger Mittel- und Kleinwirtschaften
81,4 Prozent, in der Nutzung des Großgrundbesitzes 18,6 Prozent. Diese
81,4 Prozent sind heute etwa bis zu 85 Prozent in bäuerliches Eigentum
übergegangen; von den 18,6 Prozent wurden etwa 250000 Dessätiuen in
Großbetrieb bewirtschaftet, doch ist die Anbauflüche seitdem sehr gewachsen.
Daneben gab es 1881 kleine Häuslereien, mit Knechtsfamilien besetzt, die etwa
29000 Dessätinen Land hatten.

Diese agrarische Verfassung hat nun eine große soziale Bedeutung. Sie
sichert gegen allzu schnellen Besitzwechsel, sie schafft einen lebensfähigen Gro߬
besitz, einen lebensfähigen Mittelbesitz und giebt den Boden für einen Klein¬
besitz als Stütze einer seßhaften Arbeitermafse. Sie sichert den Bauernstand
gegen das Zerstäuben durch das Kapital, das Legen oder Sprengen des Bauern¬
hofes. Freilich nur bis zu der Grenze des Minimums, aber doch immer als


Grenzboten IV 1900 34
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[0295] Latifundien und Bauerngut Aber die livländische Ritterschaft ist hierbei nicht stehn geblieben, Sie hat seit Jahren einen vollkommnen Ausgleich der Steuerverhältnisse zwischen Hofes- lcmd und Bauernland angestrebt und vorbereitet. Sie ist eben am Werke, eine Steuerreform bei der Staatsregierung durchzusetzen, die Geldkasten und Natural- lasten gleichmäßig verteilt und den letzten Unterschied von schatzfreiem Hofes¬ lande und steuerpflichtigen Bauernlande aufhebt. Diese Reform soll auch den Wald, der den größern Teil der Hofesländereien ausmacht, aber bisher steuer¬ frei war, zur Besteuerung heranziehn. Da das Bauernland fast gar keinen Wald hat, so trifft diese Steuer nnr das Rittergut, und da auch die Natural¬ leistungen für Wegebau usw. auf das Hofesland ausgedehnt werden sollen, so bedeutet diese Reform eine Entlastung des bäuerlichen Eigentümers zu Lasten des Ritterguts. Werfen wir nun einen Blick auf die heutige Verteilung des Landes nach der Art der Nutzung und nach der sozialen Ordnung. Das Gesamtareal Liv- lands umfaßt 3137215 Dessätinen (1 Dessütine ^ 1,0925 Hektar) etwa 701 Quadratmeilen, darunter Domänen des Staats 292000 Dessätinen. Hier¬ von sind: Hofesland...... 1650829 Dessätinen, Quote ........ 250S73 Bauernland......1246 813 Da von der Quote etwa 50000 Dessätinen schon an Bauern verkauft sind, so steht ein gutsherrlicher Besitz von 1800000 Dessätinen einem bäuerlichen Besitz von 1300000 Dessätinen gegenüber. Nun besteht aber das Bauernland fast nur aus Kulturland (Acker, Wiese, Weide), das Hofesland zum großen Teil aus Wald und sogenannten Jmpedimenten, nämlich Moor, Wasser, Wegen usw., und zwar beträgt der Wald 746000 Dessätinen, Moore usw. 327 000 Dessätinen. zusammen 1073000 Dessätinen, sodaß dem Hofesland an eigentlichem Kulturland nur etwa 778000 Dessätinen verbleiben, und das Hauptgewicht des Hofeslandes immer mehr auf den Wald übergeht, dessen Wert gegenüber dem Kulturlcmde stetig wächst. Von dem gesamten Kulturareal waren nach der Zählung vom Jahre 1881 in der Nutzung selbständiger Mittel- und Kleinwirtschaften 81,4 Prozent, in der Nutzung des Großgrundbesitzes 18,6 Prozent. Diese 81,4 Prozent sind heute etwa bis zu 85 Prozent in bäuerliches Eigentum übergegangen; von den 18,6 Prozent wurden etwa 250000 Dessätiuen in Großbetrieb bewirtschaftet, doch ist die Anbauflüche seitdem sehr gewachsen. Daneben gab es 1881 kleine Häuslereien, mit Knechtsfamilien besetzt, die etwa 29000 Dessätinen Land hatten. Diese agrarische Verfassung hat nun eine große soziale Bedeutung. Sie sichert gegen allzu schnellen Besitzwechsel, sie schafft einen lebensfähigen Gro߬ besitz, einen lebensfähigen Mittelbesitz und giebt den Boden für einen Klein¬ besitz als Stütze einer seßhaften Arbeitermafse. Sie sichert den Bauernstand gegen das Zerstäuben durch das Kapital, das Legen oder Sprengen des Bauern¬ hofes. Freilich nur bis zu der Grenze des Minimums, aber doch immer als Grenzboten IV 1900 34

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/295>, abgerufen am 29.06.2024.