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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Latifundien und Bauerngut

Die dritte Kategorie ist das Hofesland, also der Rest des Gutslaudes
nach Abzug von Bnuernland und Quote. Der Gutsherr hat die freie Ver¬
fügung über das Hofesland; sie ist nur eingeschränkt durch die Bestimmung,
daß das Rittergut nicht zerstückelt werden darf unter eilt Minimum von etwa
300 Hektar hinab. Zu der Zeit der bäuerlichen Leibeigenschaft, dann der
Hörigkeit und des Frondienstes bestand die Landwirtschaft des Gutsherrn in
den Provinzen des alten Livlands hauptsächlich in der Verwaltung, der Re¬
gierung der Bauern, die die Hofesländereien zu bestellen hatten und andre
Frondienste verrichteten. Als dann die Geldpacht eintrat, war das Interesse
des Gutsherrn noch stärker auf den Bauern und seinen Hof gerichtet, denn
von dort kam das meiste Geld, nicht vom Gutsacker. Noch vor fünfzig Jahren
hielt man es kaum für möglich, daß der Gutsherr vou seinem Hofeslnnde mehr
als seine Naturalien, Brot, Lein, Milch usw. erarbeiten könne: die Bauern¬
pachten waren der Kern des Guts neben den Einnahmen von Krüger, Mühlen
und dergleichen. So schätzte man den Wert des Ritterguts hauptsächlich nach
den Pachter der Bauern, und da von dorther das meiste Geld kam, so war
das Bauernland auch die zunächst liegende Steuerquelle für alle öffentlichen
Lasten des Ritterguts. Das Bauernland wurde denn auch durch die Bauern¬
verordnungen von 1849 lind 1860 zu dem spezifischen Steuerobjekt gemacht,
es wurde das "Steuerpflichtige Land" gegenüber dem "schatzfreien Hofeslande."
Der Gutsbesitzer haftet für alle öffentlichen Stetlern und Lasten, aber umgelegt
werden sie nicht nach Umfang oder Wert des Ritterguts, sondern nach dem
Wert der dem Rittergut eignen Vauernländereien, des steuerpflichtigen Landes.
Die Verteilung geschieht so, daß der Gutsherr die meiste Geldsteuer, der Bauer
die meisten Naturallasten zu tragen hat.

Das Rittergut giebt das Material, wie Bauholz, Kalk usw. her, der
Bauer stellt Hemd- und Spanndienst, und soweit er Eigentümer des Bauern-
landes geworden ist, zahlte er bis vor etwa zehn Jahren entsprechend seinem
Lande die Geldleistungen für Brückenbau und ähnliche öffentliche Lasten. Vor
etwa zehn Jahren beschloß die Ritterschaft, diese Geldabgaben gleichmäßig zu
verteilen, indem sie auf das Hofesland einen der Größe entsprechenden Anteil
übernahm. Seitdem ruht die Geldsteuer für öffentliche Landesbedürfnisse (nicht
Staatszwecke) gleichmäßig ans allem, bäuerlichen wie gutsherrlichen, Kultur¬
lande, die Naturallast (Wege- und Brückenbau) nur auf Baueruland und
Quotenland. Wie freiwillig, ja gegen die Neigung der Staatsregierung diese
Steuerreformen zu Gunsten des Bauern von seiten der Ritterschaft durchgeführt
wurden und werden, zeigt der Umstand, daß die Staatsregierung diese Reform
für ihre etwa 300000 Hektar umfassenden Domnnengüter bis heute nicht an¬
genommen hat, sondern den aus diese Güter fallenden Anteil an den Geld
leistnngen nur von dem Bauernlande der Domänen erheben läßt, das Hvfes-
land aber davon frei erhält. Überdies bestreitet die Ritterschaft freiwillig von
ihrem Hofeslcmd die Ausgaben für die Landeskirche und einen geringen Teil
der Ausgaben für die Volksschule.


Latifundien und Bauerngut

Die dritte Kategorie ist das Hofesland, also der Rest des Gutslaudes
nach Abzug von Bnuernland und Quote. Der Gutsherr hat die freie Ver¬
fügung über das Hofesland; sie ist nur eingeschränkt durch die Bestimmung,
daß das Rittergut nicht zerstückelt werden darf unter eilt Minimum von etwa
300 Hektar hinab. Zu der Zeit der bäuerlichen Leibeigenschaft, dann der
Hörigkeit und des Frondienstes bestand die Landwirtschaft des Gutsherrn in
den Provinzen des alten Livlands hauptsächlich in der Verwaltung, der Re¬
gierung der Bauern, die die Hofesländereien zu bestellen hatten und andre
Frondienste verrichteten. Als dann die Geldpacht eintrat, war das Interesse
des Gutsherrn noch stärker auf den Bauern und seinen Hof gerichtet, denn
von dort kam das meiste Geld, nicht vom Gutsacker. Noch vor fünfzig Jahren
hielt man es kaum für möglich, daß der Gutsherr vou seinem Hofeslnnde mehr
als seine Naturalien, Brot, Lein, Milch usw. erarbeiten könne: die Bauern¬
pachten waren der Kern des Guts neben den Einnahmen von Krüger, Mühlen
und dergleichen. So schätzte man den Wert des Ritterguts hauptsächlich nach
den Pachter der Bauern, und da von dorther das meiste Geld kam, so war
das Bauernland auch die zunächst liegende Steuerquelle für alle öffentlichen
Lasten des Ritterguts. Das Bauernland wurde denn auch durch die Bauern¬
verordnungen von 1849 lind 1860 zu dem spezifischen Steuerobjekt gemacht,
es wurde das „Steuerpflichtige Land" gegenüber dem „schatzfreien Hofeslande."
Der Gutsbesitzer haftet für alle öffentlichen Stetlern und Lasten, aber umgelegt
werden sie nicht nach Umfang oder Wert des Ritterguts, sondern nach dem
Wert der dem Rittergut eignen Vauernländereien, des steuerpflichtigen Landes.
Die Verteilung geschieht so, daß der Gutsherr die meiste Geldsteuer, der Bauer
die meisten Naturallasten zu tragen hat.

Das Rittergut giebt das Material, wie Bauholz, Kalk usw. her, der
Bauer stellt Hemd- und Spanndienst, und soweit er Eigentümer des Bauern-
landes geworden ist, zahlte er bis vor etwa zehn Jahren entsprechend seinem
Lande die Geldleistungen für Brückenbau und ähnliche öffentliche Lasten. Vor
etwa zehn Jahren beschloß die Ritterschaft, diese Geldabgaben gleichmäßig zu
verteilen, indem sie auf das Hofesland einen der Größe entsprechenden Anteil
übernahm. Seitdem ruht die Geldsteuer für öffentliche Landesbedürfnisse (nicht
Staatszwecke) gleichmäßig ans allem, bäuerlichen wie gutsherrlichen, Kultur¬
lande, die Naturallast (Wege- und Brückenbau) nur auf Baueruland und
Quotenland. Wie freiwillig, ja gegen die Neigung der Staatsregierung diese
Steuerreformen zu Gunsten des Bauern von seiten der Ritterschaft durchgeführt
wurden und werden, zeigt der Umstand, daß die Staatsregierung diese Reform
für ihre etwa 300000 Hektar umfassenden Domnnengüter bis heute nicht an¬
genommen hat, sondern den aus diese Güter fallenden Anteil an den Geld
leistnngen nur von dem Bauernlande der Domänen erheben läßt, das Hvfes-
land aber davon frei erhält. Überdies bestreitet die Ritterschaft freiwillig von
ihrem Hofeslcmd die Ausgaben für die Landeskirche und einen geringen Teil
der Ausgaben für die Volksschule.


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[0294] Latifundien und Bauerngut Die dritte Kategorie ist das Hofesland, also der Rest des Gutslaudes nach Abzug von Bnuernland und Quote. Der Gutsherr hat die freie Ver¬ fügung über das Hofesland; sie ist nur eingeschränkt durch die Bestimmung, daß das Rittergut nicht zerstückelt werden darf unter eilt Minimum von etwa 300 Hektar hinab. Zu der Zeit der bäuerlichen Leibeigenschaft, dann der Hörigkeit und des Frondienstes bestand die Landwirtschaft des Gutsherrn in den Provinzen des alten Livlands hauptsächlich in der Verwaltung, der Re¬ gierung der Bauern, die die Hofesländereien zu bestellen hatten und andre Frondienste verrichteten. Als dann die Geldpacht eintrat, war das Interesse des Gutsherrn noch stärker auf den Bauern und seinen Hof gerichtet, denn von dort kam das meiste Geld, nicht vom Gutsacker. Noch vor fünfzig Jahren hielt man es kaum für möglich, daß der Gutsherr vou seinem Hofeslnnde mehr als seine Naturalien, Brot, Lein, Milch usw. erarbeiten könne: die Bauern¬ pachten waren der Kern des Guts neben den Einnahmen von Krüger, Mühlen und dergleichen. So schätzte man den Wert des Ritterguts hauptsächlich nach den Pachter der Bauern, und da von dorther das meiste Geld kam, so war das Bauernland auch die zunächst liegende Steuerquelle für alle öffentlichen Lasten des Ritterguts. Das Bauernland wurde denn auch durch die Bauern¬ verordnungen von 1849 lind 1860 zu dem spezifischen Steuerobjekt gemacht, es wurde das „Steuerpflichtige Land" gegenüber dem „schatzfreien Hofeslande." Der Gutsbesitzer haftet für alle öffentlichen Stetlern und Lasten, aber umgelegt werden sie nicht nach Umfang oder Wert des Ritterguts, sondern nach dem Wert der dem Rittergut eignen Vauernländereien, des steuerpflichtigen Landes. Die Verteilung geschieht so, daß der Gutsherr die meiste Geldsteuer, der Bauer die meisten Naturallasten zu tragen hat. Das Rittergut giebt das Material, wie Bauholz, Kalk usw. her, der Bauer stellt Hemd- und Spanndienst, und soweit er Eigentümer des Bauern- landes geworden ist, zahlte er bis vor etwa zehn Jahren entsprechend seinem Lande die Geldleistungen für Brückenbau und ähnliche öffentliche Lasten. Vor etwa zehn Jahren beschloß die Ritterschaft, diese Geldabgaben gleichmäßig zu verteilen, indem sie auf das Hofesland einen der Größe entsprechenden Anteil übernahm. Seitdem ruht die Geldsteuer für öffentliche Landesbedürfnisse (nicht Staatszwecke) gleichmäßig ans allem, bäuerlichen wie gutsherrlichen, Kultur¬ lande, die Naturallast (Wege- und Brückenbau) nur auf Baueruland und Quotenland. Wie freiwillig, ja gegen die Neigung der Staatsregierung diese Steuerreformen zu Gunsten des Bauern von seiten der Ritterschaft durchgeführt wurden und werden, zeigt der Umstand, daß die Staatsregierung diese Reform für ihre etwa 300000 Hektar umfassenden Domnnengüter bis heute nicht an¬ genommen hat, sondern den aus diese Güter fallenden Anteil an den Geld leistnngen nur von dem Bauernlande der Domänen erheben läßt, das Hvfes- land aber davon frei erhält. Überdies bestreitet die Ritterschaft freiwillig von ihrem Hofeslcmd die Ausgaben für die Landeskirche und einen geringen Teil der Ausgaben für die Volksschule.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/294>, abgerufen am 29.06.2024.