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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Latifundien und Bauerngut

diesem Adel als Stand ist doch nur nach seinem Verdienst, nach dein Ver-
schulden seiner vornehmsten Vertreter geschehn.

Wenn ich ans die so verschiednen Rollen hinweise, die der englische und
der französische Adel gespielt haben, so Null ich damit nnr deutlicher die Stelle
in der staatlichen Rangordnung des Volks betonen, an der jeder Adel stehn
muß, um seinen Platz richtig auszufüllen, und um ein gesundes Glied des
Volks zu sein. Sei" Platz ist vor allem auf dem platten Lande, seine Pflichten
wurzeln in der Scholle, sein in soziale", Sinne nächster ist der Bauer. Die
Führung des Bauern, die Sorge um das Woylergehu des Bauern, das ist die
gesunde Politik des Landadels.

Hat um der ostelbische Adel diesen Platz im Gefüge der politischen Ord¬
nung festgehalten? Hat er dem Volk ebenso die Treue gehalten wie dem
Könige? Ist es insbesondre immer seine Sorge gewesen, einen kräftigen
Bauernstand zu schaffen und zu erhalten? Trifft ihn keine Schuld an der
Entvölkerung des platten Landes?

Ich erlaube mir, hier auf einen Adel hinzuweisen, der, in engern Grenzen
zwar, doch, wie mir scheint, besser als der französische, als der englische, auch
als der ostelbische Adel seine Aufgabe verstanden und erfüllt hat. Die deutschen
Ritterschaften der russischen Ostseeprovinzen, namentlich Livlands und Esth¬
lands, haben seit ihrer Unterwerfung unter die russische Krone dieser jederzeit
die Treue gewahrt. Die russische Krone hat bis vor einem Menschenalter
auch ihrerseits die verbrieften und uuverbricften Rechte dieser Ritterschaften
geachtet und sie dadurch befähigt, ihre Pflichten als Stand gegenüber andern
Ständen mit solchen: Erfolge zu erfülle", wie es geschehn ist. Diese Ritter¬
schaften haben dem Staat eine Menge seiner besten Diener geliefert, aber sie
haben innerhalb der Grenzen ihres Landes zugleich uicht nnr ihren ritterschaft¬
lichen, sondern den Interessen des ganzen Landes, der ganzen Provinz, vor
allem des ihnen nächststehenden Standes der Bauern gedient. Die agrarischen
Zustände der baltischen Provinzen, wie sie sich in der Hand des Adels und
unter der Kontrolle der russischen Staatsregierung entwickelt haben, verdienen
die Beachtung aller, die sich mit agrarischen Dingen zu befassen haben. Ich
beschränke mich hier auf wenige Andeutungen über die Zustände, wie sie in
Livland durch den sogenannten "roten Strich" für das Verhältnis von Ritter¬
gut zu Bauerngut festgelegt worden sind.")

Im Jahre ig03 begann der livländische Landtag, eine fast nur aus dem
grundbesitzenden Adel bestehende Versammlung, die Reform der bäuerlichen
Agrarverhültnisse mit einer Beratung und Verabschiedung der im folgenden
^ahre durch die Sanktion der Regierung zum Gesetz erhobnen Bnuernverordnnng
von 1804") Dieses Gesetz setzte vor allem an die Stelle der Leibeigenschaft eine




^ Esthland und Kurland haben ähnliche Verhältnisse, die wenn auch nicht genau auf den-
wie in Livland erreicht worden sind.
) Ich halte wich an das neuste, vortreffliche Werk von A. Tobler, Die Agrargesetz¬
gebung Livlands im neunzehnten Jahrhundert Bd. I. Berlin, Puttkammer u. Mühlbrecht, 1899.
Latifundien und Bauerngut

diesem Adel als Stand ist doch nur nach seinem Verdienst, nach dein Ver-
schulden seiner vornehmsten Vertreter geschehn.

Wenn ich ans die so verschiednen Rollen hinweise, die der englische und
der französische Adel gespielt haben, so Null ich damit nnr deutlicher die Stelle
in der staatlichen Rangordnung des Volks betonen, an der jeder Adel stehn
muß, um seinen Platz richtig auszufüllen, und um ein gesundes Glied des
Volks zu sein. Sei» Platz ist vor allem auf dem platten Lande, seine Pflichten
wurzeln in der Scholle, sein in soziale», Sinne nächster ist der Bauer. Die
Führung des Bauern, die Sorge um das Woylergehu des Bauern, das ist die
gesunde Politik des Landadels.

Hat um der ostelbische Adel diesen Platz im Gefüge der politischen Ord¬
nung festgehalten? Hat er dem Volk ebenso die Treue gehalten wie dem
Könige? Ist es insbesondre immer seine Sorge gewesen, einen kräftigen
Bauernstand zu schaffen und zu erhalten? Trifft ihn keine Schuld an der
Entvölkerung des platten Landes?

Ich erlaube mir, hier auf einen Adel hinzuweisen, der, in engern Grenzen
zwar, doch, wie mir scheint, besser als der französische, als der englische, auch
als der ostelbische Adel seine Aufgabe verstanden und erfüllt hat. Die deutschen
Ritterschaften der russischen Ostseeprovinzen, namentlich Livlands und Esth¬
lands, haben seit ihrer Unterwerfung unter die russische Krone dieser jederzeit
die Treue gewahrt. Die russische Krone hat bis vor einem Menschenalter
auch ihrerseits die verbrieften und uuverbricften Rechte dieser Ritterschaften
geachtet und sie dadurch befähigt, ihre Pflichten als Stand gegenüber andern
Ständen mit solchen: Erfolge zu erfülle», wie es geschehn ist. Diese Ritter¬
schaften haben dem Staat eine Menge seiner besten Diener geliefert, aber sie
haben innerhalb der Grenzen ihres Landes zugleich uicht nnr ihren ritterschaft¬
lichen, sondern den Interessen des ganzen Landes, der ganzen Provinz, vor
allem des ihnen nächststehenden Standes der Bauern gedient. Die agrarischen
Zustände der baltischen Provinzen, wie sie sich in der Hand des Adels und
unter der Kontrolle der russischen Staatsregierung entwickelt haben, verdienen
die Beachtung aller, die sich mit agrarischen Dingen zu befassen haben. Ich
beschränke mich hier auf wenige Andeutungen über die Zustände, wie sie in
Livland durch den sogenannten „roten Strich" für das Verhältnis von Ritter¬
gut zu Bauerngut festgelegt worden sind.")

Im Jahre ig03 begann der livländische Landtag, eine fast nur aus dem
grundbesitzenden Adel bestehende Versammlung, die Reform der bäuerlichen
Agrarverhültnisse mit einer Beratung und Verabschiedung der im folgenden
^ahre durch die Sanktion der Regierung zum Gesetz erhobnen Bnuernverordnnng
von 1804«) Dieses Gesetz setzte vor allem an die Stelle der Leibeigenschaft eine




^ Esthland und Kurland haben ähnliche Verhältnisse, die wenn auch nicht genau auf den-
wie in Livland erreicht worden sind.
) Ich halte wich an das neuste, vortreffliche Werk von A. Tobler, Die Agrargesetz¬
gebung Livlands im neunzehnten Jahrhundert Bd. I. Berlin, Puttkammer u. Mühlbrecht, 1899.
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[0291] Latifundien und Bauerngut diesem Adel als Stand ist doch nur nach seinem Verdienst, nach dein Ver- schulden seiner vornehmsten Vertreter geschehn. Wenn ich ans die so verschiednen Rollen hinweise, die der englische und der französische Adel gespielt haben, so Null ich damit nnr deutlicher die Stelle in der staatlichen Rangordnung des Volks betonen, an der jeder Adel stehn muß, um seinen Platz richtig auszufüllen, und um ein gesundes Glied des Volks zu sein. Sei» Platz ist vor allem auf dem platten Lande, seine Pflichten wurzeln in der Scholle, sein in soziale», Sinne nächster ist der Bauer. Die Führung des Bauern, die Sorge um das Woylergehu des Bauern, das ist die gesunde Politik des Landadels. Hat um der ostelbische Adel diesen Platz im Gefüge der politischen Ord¬ nung festgehalten? Hat er dem Volk ebenso die Treue gehalten wie dem Könige? Ist es insbesondre immer seine Sorge gewesen, einen kräftigen Bauernstand zu schaffen und zu erhalten? Trifft ihn keine Schuld an der Entvölkerung des platten Landes? Ich erlaube mir, hier auf einen Adel hinzuweisen, der, in engern Grenzen zwar, doch, wie mir scheint, besser als der französische, als der englische, auch als der ostelbische Adel seine Aufgabe verstanden und erfüllt hat. Die deutschen Ritterschaften der russischen Ostseeprovinzen, namentlich Livlands und Esth¬ lands, haben seit ihrer Unterwerfung unter die russische Krone dieser jederzeit die Treue gewahrt. Die russische Krone hat bis vor einem Menschenalter auch ihrerseits die verbrieften und uuverbricften Rechte dieser Ritterschaften geachtet und sie dadurch befähigt, ihre Pflichten als Stand gegenüber andern Ständen mit solchen: Erfolge zu erfülle», wie es geschehn ist. Diese Ritter¬ schaften haben dem Staat eine Menge seiner besten Diener geliefert, aber sie haben innerhalb der Grenzen ihres Landes zugleich uicht nnr ihren ritterschaft¬ lichen, sondern den Interessen des ganzen Landes, der ganzen Provinz, vor allem des ihnen nächststehenden Standes der Bauern gedient. Die agrarischen Zustände der baltischen Provinzen, wie sie sich in der Hand des Adels und unter der Kontrolle der russischen Staatsregierung entwickelt haben, verdienen die Beachtung aller, die sich mit agrarischen Dingen zu befassen haben. Ich beschränke mich hier auf wenige Andeutungen über die Zustände, wie sie in Livland durch den sogenannten „roten Strich" für das Verhältnis von Ritter¬ gut zu Bauerngut festgelegt worden sind.") Im Jahre ig03 begann der livländische Landtag, eine fast nur aus dem grundbesitzenden Adel bestehende Versammlung, die Reform der bäuerlichen Agrarverhültnisse mit einer Beratung und Verabschiedung der im folgenden ^ahre durch die Sanktion der Regierung zum Gesetz erhobnen Bnuernverordnnng von 1804«) Dieses Gesetz setzte vor allem an die Stelle der Leibeigenschaft eine ^ Esthland und Kurland haben ähnliche Verhältnisse, die wenn auch nicht genau auf den- wie in Livland erreicht worden sind. ) Ich halte wich an das neuste, vortreffliche Werk von A. Tobler, Die Agrargesetz¬ gebung Livlands im neunzehnten Jahrhundert Bd. I. Berlin, Puttkammer u. Mühlbrecht, 1899.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/291>, abgerufen am 29.06.2024.