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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Latifundien und Bauerngut

ständische Kraft aber lebt nur in dem Bewußtsein, als Stand zu eignem Recht
und zu selbst gewallter Pflicht "eben den ander" Ständen, auch neben dem
Fürsten zu stehn. Das hat England groß gemacht, seit guter germanischer
Trotz im Jahre 1215 dem Könige die Schranke wies, die Königsrecht von
Volksrecht scheidet. Ein Adel, der sich nur dein Könige verpflichtet fühlt, der
kein staatliches Selbstgefühl außer dein feudalen Treugefühl hat, wird immer
in ständischen Eigennutz und kleinlichen Geschäftssinn verfallen; deun er fühlt
keine Verantwortung als gegenüber dem Fürsten, er sieht in seinen Mitständen
nur Nebenbuhler oder wirtschaftliche Gegner, nicht die Genossen, mit denen er
Rechte und Interessen des Volkes gemeinsam zu vertreten hat; er steht uicht
an der Spitze des Volkes, sondern hinter dein Fürsten. Das ist aber eine
falsche Stellung.

Der englische Adel hat seine Bedeutung erlangt nicht durch deu König,
sondern trotz des Königs, indem er von Anfang an, nachdem er dem Könige
für sich die Selbständigkeit in der NliAim "ImrlÄ abgerungen hatte, alsbald
für die Interessen der Städte eintrat und sich mit ihnen zur Erhaltung ihrer
Rechte gegenüber der Krone verband. Er hat seine glänzendsten Thaten und Zeiten
erlebt an der Spitze des Volks und seine bösen Zeiten, als er sich unter die
Willkür der Stuarts beugte. Der französische Adel ging zu Grunde, als Richelieu
und Ludwig XIV. ihn zu einem Hofadel entwürdigten, als er in Versailles
allein den seiner würdigen Platz sah, als er keine andern Pflichten mehr kannte,
als die ihm der König zuwies, und die er für den König erfüllen konnte, als
er nichts mehr nach eignem Recht, als er alles nur von Königs Gnaden war.
Als dann der König fiel, mußte natürlich dieser Hofadel mit in die Grube;
er stand ja nicht auf eignen Füßen, er war nur das fürstliche Gefolge, die
Dienerschaft, die bis in den Tod an den Herrn gebunden war. Es ist ihm
nur sein Recht geworden, als er als Stand vertilgt wurde, denn indem der
reichste und einflußreichste Teil den organischen Zusammenhang mit dem Volke
verloren hatte, hatte er aufgehört, seiue Pflicht zu erfüllen, die Pflicht, an
der Spitze der andern Stände die gemeinsamen Interessen gegen die Krone zu
wahren; er hatte sich längst vom Volke gelöst, seine Güter verlassen, zu arbeiten
verlernt. Dieser französische Adel, der später das Emigrantenhecr des Prinzen
Conde füllte, gab sich selbst auf, indem er sich Ludwig XIV. und dessen Nach¬
folgern überlieferte; er wurde von seinen Königen zu Grnnde gerichtet. Als
sich so mancher von diesem Adel um 1789 darau erinnerte, daß er denn doch
eigentlich nicht zu dem Gefolge des Königs, sondern an die Spitze des Volks
gehöre; als gerade der Adel die Führer für die erste Bewegung gegen die
Krone lieferte; als ein Montmorency, ein Mirabeau, ein Lafayette versuchten,
die Stellung zu erringen, die der Adel als Stand aufgegeben, zu seinem Ver¬
derben an den König verkauft hatte um einigen gleißenden Bettel, nur einen
Tisch an der königlichen Tafel und ein Lächeln des Sonnenkönigs -- da war
es zu spät. Wie sehr man auch die persönliche,. Leiden und Härten seines
Untergangs bedauern und den revolutiouüren Wahnsinn verurteile" mag:


Latifundien und Bauerngut

ständische Kraft aber lebt nur in dem Bewußtsein, als Stand zu eignem Recht
und zu selbst gewallter Pflicht »eben den ander» Ständen, auch neben dem
Fürsten zu stehn. Das hat England groß gemacht, seit guter germanischer
Trotz im Jahre 1215 dem Könige die Schranke wies, die Königsrecht von
Volksrecht scheidet. Ein Adel, der sich nur dein Könige verpflichtet fühlt, der
kein staatliches Selbstgefühl außer dein feudalen Treugefühl hat, wird immer
in ständischen Eigennutz und kleinlichen Geschäftssinn verfallen; deun er fühlt
keine Verantwortung als gegenüber dem Fürsten, er sieht in seinen Mitständen
nur Nebenbuhler oder wirtschaftliche Gegner, nicht die Genossen, mit denen er
Rechte und Interessen des Volkes gemeinsam zu vertreten hat; er steht uicht
an der Spitze des Volkes, sondern hinter dein Fürsten. Das ist aber eine
falsche Stellung.

Der englische Adel hat seine Bedeutung erlangt nicht durch deu König,
sondern trotz des Königs, indem er von Anfang an, nachdem er dem Könige
für sich die Selbständigkeit in der NliAim «ImrlÄ abgerungen hatte, alsbald
für die Interessen der Städte eintrat und sich mit ihnen zur Erhaltung ihrer
Rechte gegenüber der Krone verband. Er hat seine glänzendsten Thaten und Zeiten
erlebt an der Spitze des Volks und seine bösen Zeiten, als er sich unter die
Willkür der Stuarts beugte. Der französische Adel ging zu Grunde, als Richelieu
und Ludwig XIV. ihn zu einem Hofadel entwürdigten, als er in Versailles
allein den seiner würdigen Platz sah, als er keine andern Pflichten mehr kannte,
als die ihm der König zuwies, und die er für den König erfüllen konnte, als
er nichts mehr nach eignem Recht, als er alles nur von Königs Gnaden war.
Als dann der König fiel, mußte natürlich dieser Hofadel mit in die Grube;
er stand ja nicht auf eignen Füßen, er war nur das fürstliche Gefolge, die
Dienerschaft, die bis in den Tod an den Herrn gebunden war. Es ist ihm
nur sein Recht geworden, als er als Stand vertilgt wurde, denn indem der
reichste und einflußreichste Teil den organischen Zusammenhang mit dem Volke
verloren hatte, hatte er aufgehört, seiue Pflicht zu erfüllen, die Pflicht, an
der Spitze der andern Stände die gemeinsamen Interessen gegen die Krone zu
wahren; er hatte sich längst vom Volke gelöst, seine Güter verlassen, zu arbeiten
verlernt. Dieser französische Adel, der später das Emigrantenhecr des Prinzen
Conde füllte, gab sich selbst auf, indem er sich Ludwig XIV. und dessen Nach¬
folgern überlieferte; er wurde von seinen Königen zu Grnnde gerichtet. Als
sich so mancher von diesem Adel um 1789 darau erinnerte, daß er denn doch
eigentlich nicht zu dem Gefolge des Königs, sondern an die Spitze des Volks
gehöre; als gerade der Adel die Führer für die erste Bewegung gegen die
Krone lieferte; als ein Montmorency, ein Mirabeau, ein Lafayette versuchten,
die Stellung zu erringen, die der Adel als Stand aufgegeben, zu seinem Ver¬
derben an den König verkauft hatte um einigen gleißenden Bettel, nur einen
Tisch an der königlichen Tafel und ein Lächeln des Sonnenkönigs — da war
es zu spät. Wie sehr man auch die persönliche,. Leiden und Härten seines
Untergangs bedauern und den revolutiouüren Wahnsinn verurteile» mag:


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[0290] Latifundien und Bauerngut ständische Kraft aber lebt nur in dem Bewußtsein, als Stand zu eignem Recht und zu selbst gewallter Pflicht »eben den ander» Ständen, auch neben dem Fürsten zu stehn. Das hat England groß gemacht, seit guter germanischer Trotz im Jahre 1215 dem Könige die Schranke wies, die Königsrecht von Volksrecht scheidet. Ein Adel, der sich nur dein Könige verpflichtet fühlt, der kein staatliches Selbstgefühl außer dein feudalen Treugefühl hat, wird immer in ständischen Eigennutz und kleinlichen Geschäftssinn verfallen; deun er fühlt keine Verantwortung als gegenüber dem Fürsten, er sieht in seinen Mitständen nur Nebenbuhler oder wirtschaftliche Gegner, nicht die Genossen, mit denen er Rechte und Interessen des Volkes gemeinsam zu vertreten hat; er steht uicht an der Spitze des Volkes, sondern hinter dein Fürsten. Das ist aber eine falsche Stellung. Der englische Adel hat seine Bedeutung erlangt nicht durch deu König, sondern trotz des Königs, indem er von Anfang an, nachdem er dem Könige für sich die Selbständigkeit in der NliAim «ImrlÄ abgerungen hatte, alsbald für die Interessen der Städte eintrat und sich mit ihnen zur Erhaltung ihrer Rechte gegenüber der Krone verband. Er hat seine glänzendsten Thaten und Zeiten erlebt an der Spitze des Volks und seine bösen Zeiten, als er sich unter die Willkür der Stuarts beugte. Der französische Adel ging zu Grunde, als Richelieu und Ludwig XIV. ihn zu einem Hofadel entwürdigten, als er in Versailles allein den seiner würdigen Platz sah, als er keine andern Pflichten mehr kannte, als die ihm der König zuwies, und die er für den König erfüllen konnte, als er nichts mehr nach eignem Recht, als er alles nur von Königs Gnaden war. Als dann der König fiel, mußte natürlich dieser Hofadel mit in die Grube; er stand ja nicht auf eignen Füßen, er war nur das fürstliche Gefolge, die Dienerschaft, die bis in den Tod an den Herrn gebunden war. Es ist ihm nur sein Recht geworden, als er als Stand vertilgt wurde, denn indem der reichste und einflußreichste Teil den organischen Zusammenhang mit dem Volke verloren hatte, hatte er aufgehört, seiue Pflicht zu erfüllen, die Pflicht, an der Spitze der andern Stände die gemeinsamen Interessen gegen die Krone zu wahren; er hatte sich längst vom Volke gelöst, seine Güter verlassen, zu arbeiten verlernt. Dieser französische Adel, der später das Emigrantenhecr des Prinzen Conde füllte, gab sich selbst auf, indem er sich Ludwig XIV. und dessen Nach¬ folgern überlieferte; er wurde von seinen Königen zu Grnnde gerichtet. Als sich so mancher von diesem Adel um 1789 darau erinnerte, daß er denn doch eigentlich nicht zu dem Gefolge des Königs, sondern an die Spitze des Volks gehöre; als gerade der Adel die Führer für die erste Bewegung gegen die Krone lieferte; als ein Montmorency, ein Mirabeau, ein Lafayette versuchten, die Stellung zu erringen, die der Adel als Stand aufgegeben, zu seinem Ver¬ derben an den König verkauft hatte um einigen gleißenden Bettel, nur einen Tisch an der königlichen Tafel und ein Lächeln des Sonnenkönigs — da war es zu spät. Wie sehr man auch die persönliche,. Leiden und Härten seines Untergangs bedauern und den revolutiouüren Wahnsinn verurteile» mag:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/290>, abgerufen am 27.06.2024.