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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Reichskanzler und preußischer Ministerpräsident

Teile auch mit auf das Konto des verantwortlichen Reichskanzlers. Wenn
die Geschichte einmal die Summe dessen ziehn wird, was Fürst Hohenlohe dem
Reiche geleistet hat, wird auch dieses Kapitel nicht fehlen. Mag seine persön¬
liche Beteiligung daran noch so gering sein, er hat diese reiche Ernte an wich¬
tigen gesetzgeberischen Fortschritten nicht nur nicht gehindert, sondern gefördert.
Unter ihm und mit ihm ist sie unter Dach und Fach gebracht worden.

An Stelle des Grafen Posadowsky war Herr von Thielmann, der bis¬
herige Botschafter in Washington, Schatzsekrctür geworden. Auch dieser Griff
war mindestens nicht unglücklich. Wenn auch die Reichsfinanzpolitik bisher
nicht gerade neue, bahnbrechende Thaten unter ihm zu verzeichnen hat, so
zeigte sich doch bald, daß er genügend Herr des Ressorts war, daß er den
Reichsetat nicht gefährdete. In Einzelheiten ist er auch vorwärts gekommen.
Jedenfalls konnte Fürst Hohenlohe ihm so weit vertrauen, daß er im großen
und ganzen auch diesem Ressort eine gewisse freie Bewegung lassen konnte,
ohne sich in die Verwaltung selbst einzumischen.

Das Neichspostcnnt war von jeher ein etwas verwöhntes Ressort gewesen.
Es zehrte von dein verdienten Ruhme seines Schöpfers, des Staatssekretärs
von Stephan. Dieser hatte den Weltpostverein geschaffen, hatte das Ressort
zu Ansehen und Ehren gebracht, hatte überall im Reiche die großen und schönen
PostPaläste gebaut -- zuweilen wohl auch zu große und zu schöne --, hatte
für seine Beamten eine eigne, auf technischer Vorbildung beruhende Laufbahn
eröffnet, die dem einfachen Postsekretär in die wichtigsten und einflußreichsten
Stellungen seines Berufszweiges aufzusteigen ermöglichte, kurz, Stephan hatte
die Post populär gemacht und sie mit einer Art von Nimbus umgeben. Jahre¬
lang war sie bei den Etatsberatungen des Reichstags ein moll ins tgnAsrs
gewesen. In Stephans letzten Lebensjahren hatte dieser Nimbus angefangen
zu verblassen. Im Publikum und im Reichstage regten sich Wünsche und
Beschwerden, deren Berechtigung nicht zu bestreiten war. Und je eigensinniger
Stephan mit seinen Kommissären sie gleichwohl bestritt, desto lebhafter äußerte
sich der Wunsch nach Verbesserungen. Namentlich aber klagten die Finanz¬
verwaltungen der Bundesstnateu, Preußen nicht ausgenommen, mit Recht dar¬
über, daß die Erträge der Postverwaltung nicht im richtigen Verhältnis zu
den vou ihr und für sie gemachten Aufwendungen stünden. Nach Stephans
Tode wurde der Generalleutnant z. D. von Podbielsti, ein Mann, der sich
als Reichstagsabgeordneter und als Aufsichtsratsmitglied des Ofsiziervereins
den Ruf einer ungewöhnlichen geschäftlichen Begabung und Einsicht erworben
hatte, zum Staatssekretär des Neichspostmnts ernannt. Ein ungemein glück¬
licher Griff. Es stellte sich bald heraus, daß der neue Staatssekretär ein
Verwaltungstalent ersten Ranges sei. Er gewann schnell das allgemeine Ver¬
trauen und die Achtung des Reichstags und setzte die längst ersehnten Ände¬
rungen der Tarife für Postsendungen und Telegramme durch. Namentlich
aber griff er mit wohlwollender, jedoch straffer Disziplin in die Personal¬
verhältnisse des nnter ihn gestellten Heeres von Beamten ein, beseitigte den


Reichskanzler und preußischer Ministerpräsident

Teile auch mit auf das Konto des verantwortlichen Reichskanzlers. Wenn
die Geschichte einmal die Summe dessen ziehn wird, was Fürst Hohenlohe dem
Reiche geleistet hat, wird auch dieses Kapitel nicht fehlen. Mag seine persön¬
liche Beteiligung daran noch so gering sein, er hat diese reiche Ernte an wich¬
tigen gesetzgeberischen Fortschritten nicht nur nicht gehindert, sondern gefördert.
Unter ihm und mit ihm ist sie unter Dach und Fach gebracht worden.

An Stelle des Grafen Posadowsky war Herr von Thielmann, der bis¬
herige Botschafter in Washington, Schatzsekrctür geworden. Auch dieser Griff
war mindestens nicht unglücklich. Wenn auch die Reichsfinanzpolitik bisher
nicht gerade neue, bahnbrechende Thaten unter ihm zu verzeichnen hat, so
zeigte sich doch bald, daß er genügend Herr des Ressorts war, daß er den
Reichsetat nicht gefährdete. In Einzelheiten ist er auch vorwärts gekommen.
Jedenfalls konnte Fürst Hohenlohe ihm so weit vertrauen, daß er im großen
und ganzen auch diesem Ressort eine gewisse freie Bewegung lassen konnte,
ohne sich in die Verwaltung selbst einzumischen.

Das Neichspostcnnt war von jeher ein etwas verwöhntes Ressort gewesen.
Es zehrte von dein verdienten Ruhme seines Schöpfers, des Staatssekretärs
von Stephan. Dieser hatte den Weltpostverein geschaffen, hatte das Ressort
zu Ansehen und Ehren gebracht, hatte überall im Reiche die großen und schönen
PostPaläste gebaut — zuweilen wohl auch zu große und zu schöne —, hatte
für seine Beamten eine eigne, auf technischer Vorbildung beruhende Laufbahn
eröffnet, die dem einfachen Postsekretär in die wichtigsten und einflußreichsten
Stellungen seines Berufszweiges aufzusteigen ermöglichte, kurz, Stephan hatte
die Post populär gemacht und sie mit einer Art von Nimbus umgeben. Jahre¬
lang war sie bei den Etatsberatungen des Reichstags ein moll ins tgnAsrs
gewesen. In Stephans letzten Lebensjahren hatte dieser Nimbus angefangen
zu verblassen. Im Publikum und im Reichstage regten sich Wünsche und
Beschwerden, deren Berechtigung nicht zu bestreiten war. Und je eigensinniger
Stephan mit seinen Kommissären sie gleichwohl bestritt, desto lebhafter äußerte
sich der Wunsch nach Verbesserungen. Namentlich aber klagten die Finanz¬
verwaltungen der Bundesstnateu, Preußen nicht ausgenommen, mit Recht dar¬
über, daß die Erträge der Postverwaltung nicht im richtigen Verhältnis zu
den vou ihr und für sie gemachten Aufwendungen stünden. Nach Stephans
Tode wurde der Generalleutnant z. D. von Podbielsti, ein Mann, der sich
als Reichstagsabgeordneter und als Aufsichtsratsmitglied des Ofsiziervereins
den Ruf einer ungewöhnlichen geschäftlichen Begabung und Einsicht erworben
hatte, zum Staatssekretär des Neichspostmnts ernannt. Ein ungemein glück¬
licher Griff. Es stellte sich bald heraus, daß der neue Staatssekretär ein
Verwaltungstalent ersten Ranges sei. Er gewann schnell das allgemeine Ver¬
trauen und die Achtung des Reichstags und setzte die längst ersehnten Ände¬
rungen der Tarife für Postsendungen und Telegramme durch. Namentlich
aber griff er mit wohlwollender, jedoch straffer Disziplin in die Personal¬
verhältnisse des nnter ihn gestellten Heeres von Beamten ein, beseitigte den


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[0233] Reichskanzler und preußischer Ministerpräsident Teile auch mit auf das Konto des verantwortlichen Reichskanzlers. Wenn die Geschichte einmal die Summe dessen ziehn wird, was Fürst Hohenlohe dem Reiche geleistet hat, wird auch dieses Kapitel nicht fehlen. Mag seine persön¬ liche Beteiligung daran noch so gering sein, er hat diese reiche Ernte an wich¬ tigen gesetzgeberischen Fortschritten nicht nur nicht gehindert, sondern gefördert. Unter ihm und mit ihm ist sie unter Dach und Fach gebracht worden. An Stelle des Grafen Posadowsky war Herr von Thielmann, der bis¬ herige Botschafter in Washington, Schatzsekrctür geworden. Auch dieser Griff war mindestens nicht unglücklich. Wenn auch die Reichsfinanzpolitik bisher nicht gerade neue, bahnbrechende Thaten unter ihm zu verzeichnen hat, so zeigte sich doch bald, daß er genügend Herr des Ressorts war, daß er den Reichsetat nicht gefährdete. In Einzelheiten ist er auch vorwärts gekommen. Jedenfalls konnte Fürst Hohenlohe ihm so weit vertrauen, daß er im großen und ganzen auch diesem Ressort eine gewisse freie Bewegung lassen konnte, ohne sich in die Verwaltung selbst einzumischen. Das Neichspostcnnt war von jeher ein etwas verwöhntes Ressort gewesen. Es zehrte von dein verdienten Ruhme seines Schöpfers, des Staatssekretärs von Stephan. Dieser hatte den Weltpostverein geschaffen, hatte das Ressort zu Ansehen und Ehren gebracht, hatte überall im Reiche die großen und schönen PostPaläste gebaut — zuweilen wohl auch zu große und zu schöne —, hatte für seine Beamten eine eigne, auf technischer Vorbildung beruhende Laufbahn eröffnet, die dem einfachen Postsekretär in die wichtigsten und einflußreichsten Stellungen seines Berufszweiges aufzusteigen ermöglichte, kurz, Stephan hatte die Post populär gemacht und sie mit einer Art von Nimbus umgeben. Jahre¬ lang war sie bei den Etatsberatungen des Reichstags ein moll ins tgnAsrs gewesen. In Stephans letzten Lebensjahren hatte dieser Nimbus angefangen zu verblassen. Im Publikum und im Reichstage regten sich Wünsche und Beschwerden, deren Berechtigung nicht zu bestreiten war. Und je eigensinniger Stephan mit seinen Kommissären sie gleichwohl bestritt, desto lebhafter äußerte sich der Wunsch nach Verbesserungen. Namentlich aber klagten die Finanz¬ verwaltungen der Bundesstnateu, Preußen nicht ausgenommen, mit Recht dar¬ über, daß die Erträge der Postverwaltung nicht im richtigen Verhältnis zu den vou ihr und für sie gemachten Aufwendungen stünden. Nach Stephans Tode wurde der Generalleutnant z. D. von Podbielsti, ein Mann, der sich als Reichstagsabgeordneter und als Aufsichtsratsmitglied des Ofsiziervereins den Ruf einer ungewöhnlichen geschäftlichen Begabung und Einsicht erworben hatte, zum Staatssekretär des Neichspostmnts ernannt. Ein ungemein glück¬ licher Griff. Es stellte sich bald heraus, daß der neue Staatssekretär ein Verwaltungstalent ersten Ranges sei. Er gewann schnell das allgemeine Ver¬ trauen und die Achtung des Reichstags und setzte die längst ersehnten Ände¬ rungen der Tarife für Postsendungen und Telegramme durch. Namentlich aber griff er mit wohlwollender, jedoch straffer Disziplin in die Personal¬ verhältnisse des nnter ihn gestellten Heeres von Beamten ein, beseitigte den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/233>, abgerufen am 26.06.2024.