Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Reichskanzler und preußischer Ministerpräsident

war, reichlich wiedergewonnen und beträchtlich ausgedehnt, Deutschland und
jeder Deutsche muß dein Fürsten Chlodwig dafür dankbar sein. Die Jahre
vom Juli 1885 bis zum November 1894 sind ein Nnhmesblntt in seinem
Leben, und nach den glücklichen Erfolgen, die er in den Neichslanden erreicht
hatte, erscheint es vollkommen begreiflich, wie schwer es ihm wurde, in den
letzten Oktobertagen 1894 nach Potsdam zu gehn, wohin ihn der Kaiser
zugleich mit dem damaligen Unterstaatssekretär von Köller durch ein Telegramm
berufen hatte, um nach dein Rücktritte des Reichskanzlers Grafen Caprivi und
des Ministerpräsidenten Grafen Botho zu Eulenburg die Würde und Bürde
der beiden verantwortungsvollen Ämter ihm, dem sechsundsiebzigjährigen
Manne, ans die immerhin schon gebeugten Schultern zu legen.

Auch für einen jüngern Mann in der Vollkraft seiner Jahre ist es ein
gewaltiger Entschluß, Reichskanzler und zugleich preußischer Ministerpräsident
zu werde". Nicht wegen der Vereinigung beider Ämter in derselben Hand.
Sie ist eine politische und geschäftliche Notwendigkeit. Zweimal ist der Versuch
gemacht worden, sie zu trennen, das einemal unter dem Fürsten Bismarck, als
Graf Roon, das andremal nnter Graf Caprivi, als Graf Eulenburg das
Präsidium des Staatsministeriums übernahm. In beiden Fällen lag der Grund
zur Trennung der beiden Ämter in dem sehr berechtigten Wunsche, den Reichs¬
kanzler zu entlasten. Aber beidemal ist der Versuch jämmerlich gescheitert.
Die Trennung hat sich als unmöglich erwiesen. Auch bei Männern, die sich
dnrch langjährige, gemeinsame, politische Arbeit, dnrch gemeinsame Erfolge im
größten Stil und durch persönliche Freundschaft so nahe standen wie Bismarck
und Roon, zeigte sich bald, daß die Vereinigung der beideu Ämter in einer
Hand durch das Verhältnis Preußens zum Reiche und durch den in der
Reichsverfassung gegebnen Einfluß der preußischen Stimme im Bundesrat un-
nbweislich geboten ist. An dieser Stelle kann es nicht zwei maßgebende Willen,
auch nicht zwei maßgebende Ratgeber beim Kaiser und beim Könige von
Preußen geben, es müßte denn der eine eine Null sein. Und dann wäre das
Unglück nur noch größer. Mit Recht bezeichnete man damals in den preu¬
ßischen Ministerialkreisen die Trennung der beiden Gewalten als die Quelle alles
Übels. Das hat offenbar auch das scharfe Auge des Kaisers erkannt, und
aller Voraussicht nach wird das verhängnisvolle Experiment niemals wieder¬
kehren. Die Schultern des Reichskanzlers müssen stark genug sein, daß sie
<zone-"z yue ooüts das preußische Ministerpräsidium mittragen können. Der Blick
des Fürsten Hohenlohe war durch seiue politische Vergangenheit geschärft genug,
das zu erkennen. Die Fortdauer einer Trennung der beiden Ämter ist deshalb
im November des Jahres 1894 auch gar nicht wieder in Frage gekommen.

Also nur um beide Ämter zusammen handelte es sich damals, nicht um
eins. Aber welche Nieseulast an Arbeit und Verantwortung mußte ihr Träger
auf sich nehmen! Wenn es in der Welt überhaupt einen Menschen giebt, der
eine größere Last zu tragen hat, so ist es bei aller Verschiedenheit sowohl der
Verantwortung wie der Arbeit unser Kaiser. Ihm aber wird die Bürde seiner


Reichskanzler und preußischer Ministerpräsident

war, reichlich wiedergewonnen und beträchtlich ausgedehnt, Deutschland und
jeder Deutsche muß dein Fürsten Chlodwig dafür dankbar sein. Die Jahre
vom Juli 1885 bis zum November 1894 sind ein Nnhmesblntt in seinem
Leben, und nach den glücklichen Erfolgen, die er in den Neichslanden erreicht
hatte, erscheint es vollkommen begreiflich, wie schwer es ihm wurde, in den
letzten Oktobertagen 1894 nach Potsdam zu gehn, wohin ihn der Kaiser
zugleich mit dem damaligen Unterstaatssekretär von Köller durch ein Telegramm
berufen hatte, um nach dein Rücktritte des Reichskanzlers Grafen Caprivi und
des Ministerpräsidenten Grafen Botho zu Eulenburg die Würde und Bürde
der beiden verantwortungsvollen Ämter ihm, dem sechsundsiebzigjährigen
Manne, ans die immerhin schon gebeugten Schultern zu legen.

Auch für einen jüngern Mann in der Vollkraft seiner Jahre ist es ein
gewaltiger Entschluß, Reichskanzler und zugleich preußischer Ministerpräsident
zu werde». Nicht wegen der Vereinigung beider Ämter in derselben Hand.
Sie ist eine politische und geschäftliche Notwendigkeit. Zweimal ist der Versuch
gemacht worden, sie zu trennen, das einemal unter dem Fürsten Bismarck, als
Graf Roon, das andremal nnter Graf Caprivi, als Graf Eulenburg das
Präsidium des Staatsministeriums übernahm. In beiden Fällen lag der Grund
zur Trennung der beiden Ämter in dem sehr berechtigten Wunsche, den Reichs¬
kanzler zu entlasten. Aber beidemal ist der Versuch jämmerlich gescheitert.
Die Trennung hat sich als unmöglich erwiesen. Auch bei Männern, die sich
dnrch langjährige, gemeinsame, politische Arbeit, dnrch gemeinsame Erfolge im
größten Stil und durch persönliche Freundschaft so nahe standen wie Bismarck
und Roon, zeigte sich bald, daß die Vereinigung der beideu Ämter in einer
Hand durch das Verhältnis Preußens zum Reiche und durch den in der
Reichsverfassung gegebnen Einfluß der preußischen Stimme im Bundesrat un-
nbweislich geboten ist. An dieser Stelle kann es nicht zwei maßgebende Willen,
auch nicht zwei maßgebende Ratgeber beim Kaiser und beim Könige von
Preußen geben, es müßte denn der eine eine Null sein. Und dann wäre das
Unglück nur noch größer. Mit Recht bezeichnete man damals in den preu¬
ßischen Ministerialkreisen die Trennung der beiden Gewalten als die Quelle alles
Übels. Das hat offenbar auch das scharfe Auge des Kaisers erkannt, und
aller Voraussicht nach wird das verhängnisvolle Experiment niemals wieder¬
kehren. Die Schultern des Reichskanzlers müssen stark genug sein, daß sie
<zone-«z yue ooüts das preußische Ministerpräsidium mittragen können. Der Blick
des Fürsten Hohenlohe war durch seiue politische Vergangenheit geschärft genug,
das zu erkennen. Die Fortdauer einer Trennung der beiden Ämter ist deshalb
im November des Jahres 1894 auch gar nicht wieder in Frage gekommen.

Also nur um beide Ämter zusammen handelte es sich damals, nicht um
eins. Aber welche Nieseulast an Arbeit und Verantwortung mußte ihr Träger
auf sich nehmen! Wenn es in der Welt überhaupt einen Menschen giebt, der
eine größere Last zu tragen hat, so ist es bei aller Verschiedenheit sowohl der
Verantwortung wie der Arbeit unser Kaiser. Ihm aber wird die Bürde seiner


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0230" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/291307"/>
          <fw type="header" place="top"> Reichskanzler und preußischer Ministerpräsident</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_802" prev="#ID_801"> war, reichlich wiedergewonnen und beträchtlich ausgedehnt, Deutschland und<lb/>
jeder Deutsche muß dein Fürsten Chlodwig dafür dankbar sein. Die Jahre<lb/>
vom Juli 1885 bis zum November 1894 sind ein Nnhmesblntt in seinem<lb/>
Leben, und nach den glücklichen Erfolgen, die er in den Neichslanden erreicht<lb/>
hatte, erscheint es vollkommen begreiflich, wie schwer es ihm wurde, in den<lb/>
letzten Oktobertagen 1894 nach Potsdam zu gehn, wohin ihn der Kaiser<lb/>
zugleich mit dem damaligen Unterstaatssekretär von Köller durch ein Telegramm<lb/>
berufen hatte, um nach dein Rücktritte des Reichskanzlers Grafen Caprivi und<lb/>
des Ministerpräsidenten Grafen Botho zu Eulenburg die Würde und Bürde<lb/>
der beiden verantwortungsvollen Ämter ihm, dem sechsundsiebzigjährigen<lb/>
Manne, ans die immerhin schon gebeugten Schultern zu legen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_803"> Auch für einen jüngern Mann in der Vollkraft seiner Jahre ist es ein<lb/>
gewaltiger Entschluß, Reichskanzler und zugleich preußischer Ministerpräsident<lb/>
zu werde». Nicht wegen der Vereinigung beider Ämter in derselben Hand.<lb/>
Sie ist eine politische und geschäftliche Notwendigkeit. Zweimal ist der Versuch<lb/>
gemacht worden, sie zu trennen, das einemal unter dem Fürsten Bismarck, als<lb/>
Graf Roon, das andremal nnter Graf Caprivi, als Graf Eulenburg das<lb/>
Präsidium des Staatsministeriums übernahm. In beiden Fällen lag der Grund<lb/>
zur Trennung der beiden Ämter in dem sehr berechtigten Wunsche, den Reichs¬<lb/>
kanzler zu entlasten. Aber beidemal ist der Versuch jämmerlich gescheitert.<lb/>
Die Trennung hat sich als unmöglich erwiesen. Auch bei Männern, die sich<lb/>
dnrch langjährige, gemeinsame, politische Arbeit, dnrch gemeinsame Erfolge im<lb/>
größten Stil und durch persönliche Freundschaft so nahe standen wie Bismarck<lb/>
und Roon, zeigte sich bald, daß die Vereinigung der beideu Ämter in einer<lb/>
Hand durch das Verhältnis Preußens zum Reiche und durch den in der<lb/>
Reichsverfassung gegebnen Einfluß der preußischen Stimme im Bundesrat un-<lb/>
nbweislich geboten ist. An dieser Stelle kann es nicht zwei maßgebende Willen,<lb/>
auch nicht zwei maßgebende Ratgeber beim Kaiser und beim Könige von<lb/>
Preußen geben, es müßte denn der eine eine Null sein. Und dann wäre das<lb/>
Unglück nur noch größer. Mit Recht bezeichnete man damals in den preu¬<lb/>
ßischen Ministerialkreisen die Trennung der beiden Gewalten als die Quelle alles<lb/>
Übels. Das hat offenbar auch das scharfe Auge des Kaisers erkannt, und<lb/>
aller Voraussicht nach wird das verhängnisvolle Experiment niemals wieder¬<lb/>
kehren. Die Schultern des Reichskanzlers müssen stark genug sein, daß sie<lb/>
&lt;zone-«z yue ooüts das preußische Ministerpräsidium mittragen können. Der Blick<lb/>
des Fürsten Hohenlohe war durch seiue politische Vergangenheit geschärft genug,<lb/>
das zu erkennen. Die Fortdauer einer Trennung der beiden Ämter ist deshalb<lb/>
im November des Jahres 1894 auch gar nicht wieder in Frage gekommen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_804" next="#ID_805"> Also nur um beide Ämter zusammen handelte es sich damals, nicht um<lb/>
eins. Aber welche Nieseulast an Arbeit und Verantwortung mußte ihr Träger<lb/>
auf sich nehmen! Wenn es in der Welt überhaupt einen Menschen giebt, der<lb/>
eine größere Last zu tragen hat, so ist es bei aller Verschiedenheit sowohl der<lb/>
Verantwortung wie der Arbeit unser Kaiser. Ihm aber wird die Bürde seiner</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0230] Reichskanzler und preußischer Ministerpräsident war, reichlich wiedergewonnen und beträchtlich ausgedehnt, Deutschland und jeder Deutsche muß dein Fürsten Chlodwig dafür dankbar sein. Die Jahre vom Juli 1885 bis zum November 1894 sind ein Nnhmesblntt in seinem Leben, und nach den glücklichen Erfolgen, die er in den Neichslanden erreicht hatte, erscheint es vollkommen begreiflich, wie schwer es ihm wurde, in den letzten Oktobertagen 1894 nach Potsdam zu gehn, wohin ihn der Kaiser zugleich mit dem damaligen Unterstaatssekretär von Köller durch ein Telegramm berufen hatte, um nach dein Rücktritte des Reichskanzlers Grafen Caprivi und des Ministerpräsidenten Grafen Botho zu Eulenburg die Würde und Bürde der beiden verantwortungsvollen Ämter ihm, dem sechsundsiebzigjährigen Manne, ans die immerhin schon gebeugten Schultern zu legen. Auch für einen jüngern Mann in der Vollkraft seiner Jahre ist es ein gewaltiger Entschluß, Reichskanzler und zugleich preußischer Ministerpräsident zu werde». Nicht wegen der Vereinigung beider Ämter in derselben Hand. Sie ist eine politische und geschäftliche Notwendigkeit. Zweimal ist der Versuch gemacht worden, sie zu trennen, das einemal unter dem Fürsten Bismarck, als Graf Roon, das andremal nnter Graf Caprivi, als Graf Eulenburg das Präsidium des Staatsministeriums übernahm. In beiden Fällen lag der Grund zur Trennung der beiden Ämter in dem sehr berechtigten Wunsche, den Reichs¬ kanzler zu entlasten. Aber beidemal ist der Versuch jämmerlich gescheitert. Die Trennung hat sich als unmöglich erwiesen. Auch bei Männern, die sich dnrch langjährige, gemeinsame, politische Arbeit, dnrch gemeinsame Erfolge im größten Stil und durch persönliche Freundschaft so nahe standen wie Bismarck und Roon, zeigte sich bald, daß die Vereinigung der beideu Ämter in einer Hand durch das Verhältnis Preußens zum Reiche und durch den in der Reichsverfassung gegebnen Einfluß der preußischen Stimme im Bundesrat un- nbweislich geboten ist. An dieser Stelle kann es nicht zwei maßgebende Willen, auch nicht zwei maßgebende Ratgeber beim Kaiser und beim Könige von Preußen geben, es müßte denn der eine eine Null sein. Und dann wäre das Unglück nur noch größer. Mit Recht bezeichnete man damals in den preu¬ ßischen Ministerialkreisen die Trennung der beiden Gewalten als die Quelle alles Übels. Das hat offenbar auch das scharfe Auge des Kaisers erkannt, und aller Voraussicht nach wird das verhängnisvolle Experiment niemals wieder¬ kehren. Die Schultern des Reichskanzlers müssen stark genug sein, daß sie <zone-«z yue ooüts das preußische Ministerpräsidium mittragen können. Der Blick des Fürsten Hohenlohe war durch seiue politische Vergangenheit geschärft genug, das zu erkennen. Die Fortdauer einer Trennung der beiden Ämter ist deshalb im November des Jahres 1894 auch gar nicht wieder in Frage gekommen. Also nur um beide Ämter zusammen handelte es sich damals, nicht um eins. Aber welche Nieseulast an Arbeit und Verantwortung mußte ihr Träger auf sich nehmen! Wenn es in der Welt überhaupt einen Menschen giebt, der eine größere Last zu tragen hat, so ist es bei aller Verschiedenheit sowohl der Verantwortung wie der Arbeit unser Kaiser. Ihm aber wird die Bürde seiner

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/230
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/230>, abgerufen am 26.06.2024.