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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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parlamentarische Bewilligung einer dringend notwendigen Flottenverstärknng
oder dergleichen von einer bestimmten Hohe der Getreidezölle abhängig z"
machen. Richtig ist aber mich hier das Gefühl: die Getreidezollpolitik muß ganz
in der freien Hand des Reichs erhalten bleiben.

Das Verlangen der Landwirte, die Getreidezollfrage womöglich durch
einen besondern Akt der Gesetzgebung vor dem Eintritt in die Handelsvertrags-
verhandlnngen zu lösen, verdient deshalb am allerwenigsten, ohne weiteres als
das non Ms Ma agrarischer Rücksichtslosigkeit verschrieen zu werden. Es ent¬
spricht einfach der von der Wissenschaft anerkannten besondern Natur der Ge¬
treidezölle, die von der der Jndustrieschutzzölle scharf unterschieden werden müssen.
Wenn sich dieses Verlangen in die Form eines Minimaltarifs kleidet und dafür
sehr hohe Zollsätze festgelegt sehen will, so erklärt sich das daraus, daß man
dem Gedanken der völligen Ausschaltung der Getreidezölle aus der Hcmdels-
vcrtragspolitik noch fern steht. Man hat es von agrarischer Seite aus¬
gesprochen, der Minimalzollsatz müsse so hoch gegriffen werden, daß er "allen
Eventualitäten" für alle Zeiten oder doch für die Vertragsperiode vorzubeugen
vermöge. Das hat guten Sinn, wenn man an den Preissturz von 1892
denkt. Es wird aber Heller Unsinn, sobald dadurch überhaupt der Abschluß
günstiger Handelsverträge verhindert wird.

Nichts ist bedauerlicher, als daß in dieser Beziehung den Wortführern
der Landwirtschaft die erwünschte Vorsicht, das nötige Maßhalten verloren
gegangen zu sein scheint. Wollen sie die Getreidezölle ans der unerträglichen
Abhängigkeit von den Handelsverträgen los haben, so müssen sie sich vor
allem mit einem mäßigen Getreidezoll, der ans eine kurze Zeit -- etwa ans
fünf Jahre -- festgelegt werden könnte, begnügen. Dann würde, wie Conrad
will, vielleicht an den langsamen Abbau des Zollschutzes gedacht werden können,
immer unter der Voraussetzung, daß sowohl in den ersten fünf Jahren wie
nach Eintritt der Abbanperiode in neueintretenden akuten, durch jähen Preis¬
sturz ans dem Weltmarkt herbeigeführten Notstandsfällen von geeigneter Stelle
sofort eine Erhöhung des Getreidezolls auf bestimmte Zeit eingeführt wird.
Selbstverständlich würde bei einem eintretenden Teuerungsnotstand auch die
Herabsetzung oder völlige Aufhebung des Zolls auf Zeit zu verfügen sein.
Die zum Teil ganz unleidlichen Zustände, die die Meistbegünstigungsverträge
für die Landwirtschaft im Gefolge haben, würden damit natürlich ganz ver¬
schwinden. Die Benutzung des Getreidezolls als Kampfzoll wäre nicht ganz
auszuschließen, dürfte aber immer nur als zweischneidige Mina. alio gegen
renitente Staaten angewandt werden. Würden wir z. B. gegen die Ver¬
einigten Staaten einmal zu Getreidekampfzöllen gezwungen, so würden sie
jedenfalls so eingerichtet werden müssen, daß sie ihren Zweck in verhältnis¬
mäßig kurzer Zeit sicher erreichten, wahrscheinlich von vornherein prvhibitiv.
Aber sie dürften womöglich der deutschen Landwirtschaft gar keinen Gewinn
bringen, damit nicht wieder die Preistreiberei der Bodenpreise Nahrung be¬
käme. Sie würden deshalb wohl sofort mit einer Aufhebung des Zolls gegen-


parlamentarische Bewilligung einer dringend notwendigen Flottenverstärknng
oder dergleichen von einer bestimmten Hohe der Getreidezölle abhängig z»
machen. Richtig ist aber mich hier das Gefühl: die Getreidezollpolitik muß ganz
in der freien Hand des Reichs erhalten bleiben.

Das Verlangen der Landwirte, die Getreidezollfrage womöglich durch
einen besondern Akt der Gesetzgebung vor dem Eintritt in die Handelsvertrags-
verhandlnngen zu lösen, verdient deshalb am allerwenigsten, ohne weiteres als
das non Ms Ma agrarischer Rücksichtslosigkeit verschrieen zu werden. Es ent¬
spricht einfach der von der Wissenschaft anerkannten besondern Natur der Ge¬
treidezölle, die von der der Jndustrieschutzzölle scharf unterschieden werden müssen.
Wenn sich dieses Verlangen in die Form eines Minimaltarifs kleidet und dafür
sehr hohe Zollsätze festgelegt sehen will, so erklärt sich das daraus, daß man
dem Gedanken der völligen Ausschaltung der Getreidezölle aus der Hcmdels-
vcrtragspolitik noch fern steht. Man hat es von agrarischer Seite aus¬
gesprochen, der Minimalzollsatz müsse so hoch gegriffen werden, daß er „allen
Eventualitäten" für alle Zeiten oder doch für die Vertragsperiode vorzubeugen
vermöge. Das hat guten Sinn, wenn man an den Preissturz von 1892
denkt. Es wird aber Heller Unsinn, sobald dadurch überhaupt der Abschluß
günstiger Handelsverträge verhindert wird.

Nichts ist bedauerlicher, als daß in dieser Beziehung den Wortführern
der Landwirtschaft die erwünschte Vorsicht, das nötige Maßhalten verloren
gegangen zu sein scheint. Wollen sie die Getreidezölle ans der unerträglichen
Abhängigkeit von den Handelsverträgen los haben, so müssen sie sich vor
allem mit einem mäßigen Getreidezoll, der ans eine kurze Zeit — etwa ans
fünf Jahre — festgelegt werden könnte, begnügen. Dann würde, wie Conrad
will, vielleicht an den langsamen Abbau des Zollschutzes gedacht werden können,
immer unter der Voraussetzung, daß sowohl in den ersten fünf Jahren wie
nach Eintritt der Abbanperiode in neueintretenden akuten, durch jähen Preis¬
sturz ans dem Weltmarkt herbeigeführten Notstandsfällen von geeigneter Stelle
sofort eine Erhöhung des Getreidezolls auf bestimmte Zeit eingeführt wird.
Selbstverständlich würde bei einem eintretenden Teuerungsnotstand auch die
Herabsetzung oder völlige Aufhebung des Zolls auf Zeit zu verfügen sein.
Die zum Teil ganz unleidlichen Zustände, die die Meistbegünstigungsverträge
für die Landwirtschaft im Gefolge haben, würden damit natürlich ganz ver¬
schwinden. Die Benutzung des Getreidezolls als Kampfzoll wäre nicht ganz
auszuschließen, dürfte aber immer nur als zweischneidige Mina. alio gegen
renitente Staaten angewandt werden. Würden wir z. B. gegen die Ver¬
einigten Staaten einmal zu Getreidekampfzöllen gezwungen, so würden sie
jedenfalls so eingerichtet werden müssen, daß sie ihren Zweck in verhältnis¬
mäßig kurzer Zeit sicher erreichten, wahrscheinlich von vornherein prvhibitiv.
Aber sie dürften womöglich der deutschen Landwirtschaft gar keinen Gewinn
bringen, damit nicht wieder die Preistreiberei der Bodenpreise Nahrung be¬
käme. Sie würden deshalb wohl sofort mit einer Aufhebung des Zolls gegen-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/185>, abgerufen am 26.06.2024.