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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Getreidezölle und Handelsverträge

Über allen übrigen Staateil verbunden werden. Das; das nichts Ideales wäre,
leuchtet ein, aber eine ultima r-illo ist das niemals.

Freilich setzt das auch die Einsicht voraus, daß die Getreidezölle als
dauernde Institution, ohne einen wenn auch noch so langsamen, nud vorsich¬
tigen Abbau, nicht haltbar sind. Sie müssen Notstnndszölle sein und bleiben,
im schärfsten Sinne des Worts. Die künstliche Hochhaltung der Bodenpreise
müßte sonst ein Ende mit Schrecken nehmen, wie sie bisher die Gesundung auf¬
gehalten hat. Die Verteuerung der wichtigsten Lebensmittel für die Masse des
Volks kann nur vou Narren als gleichgiltig behandelt werden. Der Vergleich der
Weizenpreise in England mit denen in Preußen ist ein gewichtiges Memento.
Dazu haben wirs nicht, so viel teureres Brot zu essen, wie die Engländer.
Das wird in Zeiten blühender Industrie nicht so bemerkbar, aber in Nicder-
gmigszeiten um so mehr, so sehr, daß kein Reichstag und Bundesrat dem Ver¬
langen nach Herabsetzung der Zölle zu widersteh" wagen würde. Dann fällt
das Damoklesschwert den Landwirten auf den Kopf.

Diese Fragen, über die die deutschen Nationalökonomen so ziemlich einig
sind, können hier natürlich mir flüchtig augedeutet werden. Aber beachtet
sollten sie endlich werden, und nicht mit agitatorischen Schlagworten in den
Wind geschlagen werden.

Die Höhe des zur Zeit erforderlichen Getreidezolls lassen wir vorläufig
außer Betracht. Es würde viel zu weit führen, die dabei einflußreichen Gründe
auch nur flüchtig zu würdige". An eine Herabsetzung denkt zur Zeit niemand,
mich im Ausland und sogar in Rußland nicht. Die Beibehaltung des heutigen
Satzes, die selbst Kühn unter der mich von uus bezeichneten Voraussetzung
späterer Erhöhung im Notfall einmal für zulässig erklärt hat, würde deshalb
dem Abschluß günstiger Handelsverträge nicht im Wege stehn. Auch der Vor¬
behalt einer mäßigen vorübergehenden Erhöhung, wenn ein besottdrer Notstand,
dem in kurzer Frist dadurch abgeholfen werden könnte, vorläge, und wenn die
Erhöhung nur für eine kurze Frist geschähe, würde wohl auch das Ausland,
sogar Nußland, nicht einem Vertragsschluß allzu abgeneigt macheu. Bucheu-
bergcr und Goltz habe" schon vor einiger Zeit die Rückkehr zu den Sätzen vou
1887 als das Marimum bezeichnet, bis zu dem man wahrscheinlich werde gehn
können. Natürlich ganz beweislos; denn heute kann noch nicht gesagt werden,
welcher Satz 1903 nötig erscheint. Vielleicht wird sich später einmal Gelegen¬
heit geben, diese Frage eingehender zu bespreche".

Hier muß aber noch kurz des Bündnisses der Landwirte mit den hoch-
schntzzöllnerischen Industriellen in der viel genannten "Sammelpolitik" gedacht
werden. Die Herren Industriellen hüllen sich in geheimnisvolles Dunkel. Die
Landwirte scheinen am wenigsten zu wissen, was diese Bundesgenossen eigent¬
lich für sich herausschlagen wollen. Wenn sie wieder einmal ruhiger und von
der Agitation unabhängiger denken werden, so werden sie wohl einsehen, daß
die Wünsche unsrer Industrie jedenfalls nicht auf einen Zustand abzielen, der
die größte Not, die heute die Landwirtschaft bedrückt, die "Leutenot" zu lindern


Getreidezölle und Handelsverträge

Über allen übrigen Staateil verbunden werden. Das; das nichts Ideales wäre,
leuchtet ein, aber eine ultima r-illo ist das niemals.

Freilich setzt das auch die Einsicht voraus, daß die Getreidezölle als
dauernde Institution, ohne einen wenn auch noch so langsamen, nud vorsich¬
tigen Abbau, nicht haltbar sind. Sie müssen Notstnndszölle sein und bleiben,
im schärfsten Sinne des Worts. Die künstliche Hochhaltung der Bodenpreise
müßte sonst ein Ende mit Schrecken nehmen, wie sie bisher die Gesundung auf¬
gehalten hat. Die Verteuerung der wichtigsten Lebensmittel für die Masse des
Volks kann nur vou Narren als gleichgiltig behandelt werden. Der Vergleich der
Weizenpreise in England mit denen in Preußen ist ein gewichtiges Memento.
Dazu haben wirs nicht, so viel teureres Brot zu essen, wie die Engländer.
Das wird in Zeiten blühender Industrie nicht so bemerkbar, aber in Nicder-
gmigszeiten um so mehr, so sehr, daß kein Reichstag und Bundesrat dem Ver¬
langen nach Herabsetzung der Zölle zu widersteh» wagen würde. Dann fällt
das Damoklesschwert den Landwirten auf den Kopf.

Diese Fragen, über die die deutschen Nationalökonomen so ziemlich einig
sind, können hier natürlich mir flüchtig augedeutet werden. Aber beachtet
sollten sie endlich werden, und nicht mit agitatorischen Schlagworten in den
Wind geschlagen werden.

Die Höhe des zur Zeit erforderlichen Getreidezolls lassen wir vorläufig
außer Betracht. Es würde viel zu weit führen, die dabei einflußreichen Gründe
auch nur flüchtig zu würdige». An eine Herabsetzung denkt zur Zeit niemand,
mich im Ausland und sogar in Rußland nicht. Die Beibehaltung des heutigen
Satzes, die selbst Kühn unter der mich von uus bezeichneten Voraussetzung
späterer Erhöhung im Notfall einmal für zulässig erklärt hat, würde deshalb
dem Abschluß günstiger Handelsverträge nicht im Wege stehn. Auch der Vor¬
behalt einer mäßigen vorübergehenden Erhöhung, wenn ein besottdrer Notstand,
dem in kurzer Frist dadurch abgeholfen werden könnte, vorläge, und wenn die
Erhöhung nur für eine kurze Frist geschähe, würde wohl auch das Ausland,
sogar Nußland, nicht einem Vertragsschluß allzu abgeneigt macheu. Bucheu-
bergcr und Goltz habe» schon vor einiger Zeit die Rückkehr zu den Sätzen vou
1887 als das Marimum bezeichnet, bis zu dem man wahrscheinlich werde gehn
können. Natürlich ganz beweislos; denn heute kann noch nicht gesagt werden,
welcher Satz 1903 nötig erscheint. Vielleicht wird sich später einmal Gelegen¬
heit geben, diese Frage eingehender zu bespreche«.

Hier muß aber noch kurz des Bündnisses der Landwirte mit den hoch-
schntzzöllnerischen Industriellen in der viel genannten „Sammelpolitik" gedacht
werden. Die Herren Industriellen hüllen sich in geheimnisvolles Dunkel. Die
Landwirte scheinen am wenigsten zu wissen, was diese Bundesgenossen eigent¬
lich für sich herausschlagen wollen. Wenn sie wieder einmal ruhiger und von
der Agitation unabhängiger denken werden, so werden sie wohl einsehen, daß
die Wünsche unsrer Industrie jedenfalls nicht auf einen Zustand abzielen, der
die größte Not, die heute die Landwirtschaft bedrückt, die „Leutenot" zu lindern


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[0186] Getreidezölle und Handelsverträge Über allen übrigen Staateil verbunden werden. Das; das nichts Ideales wäre, leuchtet ein, aber eine ultima r-illo ist das niemals. Freilich setzt das auch die Einsicht voraus, daß die Getreidezölle als dauernde Institution, ohne einen wenn auch noch so langsamen, nud vorsich¬ tigen Abbau, nicht haltbar sind. Sie müssen Notstnndszölle sein und bleiben, im schärfsten Sinne des Worts. Die künstliche Hochhaltung der Bodenpreise müßte sonst ein Ende mit Schrecken nehmen, wie sie bisher die Gesundung auf¬ gehalten hat. Die Verteuerung der wichtigsten Lebensmittel für die Masse des Volks kann nur vou Narren als gleichgiltig behandelt werden. Der Vergleich der Weizenpreise in England mit denen in Preußen ist ein gewichtiges Memento. Dazu haben wirs nicht, so viel teureres Brot zu essen, wie die Engländer. Das wird in Zeiten blühender Industrie nicht so bemerkbar, aber in Nicder- gmigszeiten um so mehr, so sehr, daß kein Reichstag und Bundesrat dem Ver¬ langen nach Herabsetzung der Zölle zu widersteh» wagen würde. Dann fällt das Damoklesschwert den Landwirten auf den Kopf. Diese Fragen, über die die deutschen Nationalökonomen so ziemlich einig sind, können hier natürlich mir flüchtig augedeutet werden. Aber beachtet sollten sie endlich werden, und nicht mit agitatorischen Schlagworten in den Wind geschlagen werden. Die Höhe des zur Zeit erforderlichen Getreidezolls lassen wir vorläufig außer Betracht. Es würde viel zu weit führen, die dabei einflußreichen Gründe auch nur flüchtig zu würdige». An eine Herabsetzung denkt zur Zeit niemand, mich im Ausland und sogar in Rußland nicht. Die Beibehaltung des heutigen Satzes, die selbst Kühn unter der mich von uus bezeichneten Voraussetzung späterer Erhöhung im Notfall einmal für zulässig erklärt hat, würde deshalb dem Abschluß günstiger Handelsverträge nicht im Wege stehn. Auch der Vor¬ behalt einer mäßigen vorübergehenden Erhöhung, wenn ein besottdrer Notstand, dem in kurzer Frist dadurch abgeholfen werden könnte, vorläge, und wenn die Erhöhung nur für eine kurze Frist geschähe, würde wohl auch das Ausland, sogar Nußland, nicht einem Vertragsschluß allzu abgeneigt macheu. Bucheu- bergcr und Goltz habe» schon vor einiger Zeit die Rückkehr zu den Sätzen vou 1887 als das Marimum bezeichnet, bis zu dem man wahrscheinlich werde gehn können. Natürlich ganz beweislos; denn heute kann noch nicht gesagt werden, welcher Satz 1903 nötig erscheint. Vielleicht wird sich später einmal Gelegen¬ heit geben, diese Frage eingehender zu bespreche«. Hier muß aber noch kurz des Bündnisses der Landwirte mit den hoch- schntzzöllnerischen Industriellen in der viel genannten „Sammelpolitik" gedacht werden. Die Herren Industriellen hüllen sich in geheimnisvolles Dunkel. Die Landwirte scheinen am wenigsten zu wissen, was diese Bundesgenossen eigent¬ lich für sich herausschlagen wollen. Wenn sie wieder einmal ruhiger und von der Agitation unabhängiger denken werden, so werden sie wohl einsehen, daß die Wünsche unsrer Industrie jedenfalls nicht auf einen Zustand abzielen, der die größte Not, die heute die Landwirtschaft bedrückt, die „Leutenot" zu lindern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/186>, abgerufen am 26.06.2024.