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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Getreidezölle und Handelsverträge

die das nicht anerkennen will; sie fordern mit Recht die autonome Regelung
des Agrarschutzes, soweit es sich nur Getreidezölle handelt, Sie haben aber
nicht den geringsten Grund, müßten vielmehr sehr unverständig sein, wenn sie
eine Handelsvertragspolitik bekämpfen wollten, die die Gctreidezollfrage mög¬
lichst ganz unberührt läßt und sich wieder hauptsächlich auf dem Gebiet von
Handel und Industrie abspielt. Wo die gleitende Skala für den Getreide¬
schutzzoll galt, und wenn heute vou mancher Seite an diese Tarifform gedacht
wird, so hatte und hat das immer eine ziemlich vollstüudige Ausschaltung der
Getreidezollfrage aus den Handelsverträgen zur Voraussetzung, nud es lohnte
sich schon, statt des unausgesetzten und ausschließliche" Feilscheus um hohe und
niedrige Kornzollsätzc in den zukünftigen Haudelsverträgen, einmal ernstlich
darüber nachzudenken, ob und wie diese Ausschaltung, ohne eine ersprießliche
Handelsvcrtragspolitik überhaupt unmöglich zu machen, anzubahnen wäre.

Am Schluß der oben schou zitierten Arbeit Conrads heißt es: "Die
Wirkung der (Getreide-) Zölle wird aber nnr eine angemessene sein, wenn sie
von vornherein als eine Übergangsmaßregel hingestellt werde, die Landwirte
mithin auf die Beseitigung derselben stets rechnen müssen, und deshalb der
Grundwert dadurch nicht künstlich gesteigert wird. Es muß zweckmäßig er¬
scheine"?, dieselben mir für eine bestimmte Zeit aufzulegen, und nach eiuer
vorher festgesetzten Frist eine allmähliche Verminderung von Monat zu Monat
in ganz geringen Beträgen anzusetzen, damit sich die ganzen Produktions- und
Handelsverhältnisse danach einrichten können."

Damit spricht doch eigentlich auch Conrad selbst das Verlangen aus: Los
von den Handelsverträgen! Dasselbe thun aber auch die Volkswirte, die sich
unter Vermeidung der "mechanisch") gleitenden Skala einem Eingreifen der
Gesetzgebung oder des gesetzlich einer bestimmten Stelle beizulegende,: Verord-
uuugsrechts von Fall zu Fall zuneigen. Schmoller hat 1885 angesichts der
starken Zollerhöhung von damals geschrieben: "Ich hätte es für das heilsantste
gehalten, wenn dem Bundesrat nicht für immer, aber versuchsweise auf drei
bis vier Jahre die Getreidezölle ganz nach seinem freien Ermessen innerhalb
eines Maximal- und Minimalbetrags zu normieren aufgetragen worden wäre."
Dadurch würde, meint er wohl stark optimistisch, hauptsächlich auch der dunkelste
Punkt unsrer parlamentarischen Debatten und Abstimmungen, der Klassenkampf,
der Kampf der nackten wirtschaftlichen Sonderinteressen miteinander, vermieden.
Es hätten der preußische Staatsrat vor 1848 und die Zollvereinskonserenz
wegen der Tnriffrageu mit unendlich mehr Sachlichkeit, Sachkenntnis, Ruhe
und Mäßigkeit verhandelt als unsre heutigen parlamentarischen Vertretungen.
Wir wollen hier nicht untersuche", wie weit sich heute die Ausübung derartiger
Befugnisse durch den Bundesrat von den parlamentarischen Mehrheiten unab¬
hängig halteir würde. Dem Kuhhandel bliebe der Weg immer offen, die



") A. Humann, Der deutsch-russische Handels- und Schifsnhrts vertrag vom 20. März
1894. Leipzig, Duncker und Humblot, 1900.
Getreidezölle und Handelsverträge

die das nicht anerkennen will; sie fordern mit Recht die autonome Regelung
des Agrarschutzes, soweit es sich nur Getreidezölle handelt, Sie haben aber
nicht den geringsten Grund, müßten vielmehr sehr unverständig sein, wenn sie
eine Handelsvertragspolitik bekämpfen wollten, die die Gctreidezollfrage mög¬
lichst ganz unberührt läßt und sich wieder hauptsächlich auf dem Gebiet von
Handel und Industrie abspielt. Wo die gleitende Skala für den Getreide¬
schutzzoll galt, und wenn heute vou mancher Seite an diese Tarifform gedacht
wird, so hatte und hat das immer eine ziemlich vollstüudige Ausschaltung der
Getreidezollfrage aus den Handelsverträgen zur Voraussetzung, nud es lohnte
sich schon, statt des unausgesetzten und ausschließliche» Feilscheus um hohe und
niedrige Kornzollsätzc in den zukünftigen Haudelsverträgen, einmal ernstlich
darüber nachzudenken, ob und wie diese Ausschaltung, ohne eine ersprießliche
Handelsvcrtragspolitik überhaupt unmöglich zu machen, anzubahnen wäre.

Am Schluß der oben schou zitierten Arbeit Conrads heißt es: „Die
Wirkung der (Getreide-) Zölle wird aber nnr eine angemessene sein, wenn sie
von vornherein als eine Übergangsmaßregel hingestellt werde, die Landwirte
mithin auf die Beseitigung derselben stets rechnen müssen, und deshalb der
Grundwert dadurch nicht künstlich gesteigert wird. Es muß zweckmäßig er¬
scheine«?, dieselben mir für eine bestimmte Zeit aufzulegen, und nach eiuer
vorher festgesetzten Frist eine allmähliche Verminderung von Monat zu Monat
in ganz geringen Beträgen anzusetzen, damit sich die ganzen Produktions- und
Handelsverhältnisse danach einrichten können."

Damit spricht doch eigentlich auch Conrad selbst das Verlangen aus: Los
von den Handelsverträgen! Dasselbe thun aber auch die Volkswirte, die sich
unter Vermeidung der „mechanisch") gleitenden Skala einem Eingreifen der
Gesetzgebung oder des gesetzlich einer bestimmten Stelle beizulegende,: Verord-
uuugsrechts von Fall zu Fall zuneigen. Schmoller hat 1885 angesichts der
starken Zollerhöhung von damals geschrieben: „Ich hätte es für das heilsantste
gehalten, wenn dem Bundesrat nicht für immer, aber versuchsweise auf drei
bis vier Jahre die Getreidezölle ganz nach seinem freien Ermessen innerhalb
eines Maximal- und Minimalbetrags zu normieren aufgetragen worden wäre."
Dadurch würde, meint er wohl stark optimistisch, hauptsächlich auch der dunkelste
Punkt unsrer parlamentarischen Debatten und Abstimmungen, der Klassenkampf,
der Kampf der nackten wirtschaftlichen Sonderinteressen miteinander, vermieden.
Es hätten der preußische Staatsrat vor 1848 und die Zollvereinskonserenz
wegen der Tnriffrageu mit unendlich mehr Sachlichkeit, Sachkenntnis, Ruhe
und Mäßigkeit verhandelt als unsre heutigen parlamentarischen Vertretungen.
Wir wollen hier nicht untersuche», wie weit sich heute die Ausübung derartiger
Befugnisse durch den Bundesrat von den parlamentarischen Mehrheiten unab¬
hängig halteir würde. Dem Kuhhandel bliebe der Weg immer offen, die



") A. Humann, Der deutsch-russische Handels- und Schifsnhrts vertrag vom 20. März
1894. Leipzig, Duncker und Humblot, 1900.
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[0184] Getreidezölle und Handelsverträge die das nicht anerkennen will; sie fordern mit Recht die autonome Regelung des Agrarschutzes, soweit es sich nur Getreidezölle handelt, Sie haben aber nicht den geringsten Grund, müßten vielmehr sehr unverständig sein, wenn sie eine Handelsvertragspolitik bekämpfen wollten, die die Gctreidezollfrage mög¬ lichst ganz unberührt läßt und sich wieder hauptsächlich auf dem Gebiet von Handel und Industrie abspielt. Wo die gleitende Skala für den Getreide¬ schutzzoll galt, und wenn heute vou mancher Seite an diese Tarifform gedacht wird, so hatte und hat das immer eine ziemlich vollstüudige Ausschaltung der Getreidezollfrage aus den Handelsverträgen zur Voraussetzung, nud es lohnte sich schon, statt des unausgesetzten und ausschließliche» Feilscheus um hohe und niedrige Kornzollsätzc in den zukünftigen Haudelsverträgen, einmal ernstlich darüber nachzudenken, ob und wie diese Ausschaltung, ohne eine ersprießliche Handelsvcrtragspolitik überhaupt unmöglich zu machen, anzubahnen wäre. Am Schluß der oben schou zitierten Arbeit Conrads heißt es: „Die Wirkung der (Getreide-) Zölle wird aber nnr eine angemessene sein, wenn sie von vornherein als eine Übergangsmaßregel hingestellt werde, die Landwirte mithin auf die Beseitigung derselben stets rechnen müssen, und deshalb der Grundwert dadurch nicht künstlich gesteigert wird. Es muß zweckmäßig er¬ scheine«?, dieselben mir für eine bestimmte Zeit aufzulegen, und nach eiuer vorher festgesetzten Frist eine allmähliche Verminderung von Monat zu Monat in ganz geringen Beträgen anzusetzen, damit sich die ganzen Produktions- und Handelsverhältnisse danach einrichten können." Damit spricht doch eigentlich auch Conrad selbst das Verlangen aus: Los von den Handelsverträgen! Dasselbe thun aber auch die Volkswirte, die sich unter Vermeidung der „mechanisch") gleitenden Skala einem Eingreifen der Gesetzgebung oder des gesetzlich einer bestimmten Stelle beizulegende,: Verord- uuugsrechts von Fall zu Fall zuneigen. Schmoller hat 1885 angesichts der starken Zollerhöhung von damals geschrieben: „Ich hätte es für das heilsantste gehalten, wenn dem Bundesrat nicht für immer, aber versuchsweise auf drei bis vier Jahre die Getreidezölle ganz nach seinem freien Ermessen innerhalb eines Maximal- und Minimalbetrags zu normieren aufgetragen worden wäre." Dadurch würde, meint er wohl stark optimistisch, hauptsächlich auch der dunkelste Punkt unsrer parlamentarischen Debatten und Abstimmungen, der Klassenkampf, der Kampf der nackten wirtschaftlichen Sonderinteressen miteinander, vermieden. Es hätten der preußische Staatsrat vor 1848 und die Zollvereinskonserenz wegen der Tnriffrageu mit unendlich mehr Sachlichkeit, Sachkenntnis, Ruhe und Mäßigkeit verhandelt als unsre heutigen parlamentarischen Vertretungen. Wir wollen hier nicht untersuche», wie weit sich heute die Ausübung derartiger Befugnisse durch den Bundesrat von den parlamentarischen Mehrheiten unab¬ hängig halteir würde. Dem Kuhhandel bliebe der Weg immer offen, die ") A. Humann, Der deutsch-russische Handels- und Schifsnhrts vertrag vom 20. März 1894. Leipzig, Duncker und Humblot, 1900.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/184>, abgerufen am 26.06.2024.