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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Getreidezölle und Handelsverträge

es kommen mußte, daß mich so langem mit starkem Steigen der Preise das
immer dichter bevölkerte und immer industrieller werdende Mittel- und West¬
europa schließlich den Getreideüberfluß des europäischen Ostens und Amerikas
zu seiner Verproviantierung heranzog. Die hohen Preise mußten naturnotwendig
die Erschließung des jungfräulichen Getreidebodens Amerikas provozieren.

Konnten die Getreidezölle den Preisfall nicht verhindern, so haben sie
doch, wie die Vergleichung der preußischen und der englischen Weizenpreise
zeigt, insofern zunächst ihre Schuldigkeit gethan, daß sie den Preis auf dem
deutschen Markt viel höher hielten, als er auf dem Weltmarkt stand. Es
ist ganz richtig und sagt durchaus nichts gegen den Agrarzollschutz an sich,
wenn Professor Conrad in Halle in seiner neuste" vortrefflichen Arbeit über
Getreidezölle schreibt/') daß "ein dauernd auferlegter Getreidezoll die Preise
des Inlands im großen Durchschnitt entsprechend erhöht," und daß davon
"die Landwirte einen entsprechenden Vorteil, die Konsumenten den Nachteil
haben."

In gewissen Grenzen gilt das freilich für alle wirksam eingerichteten,
ihren Zweck erfüllenden Schutzzölle. Aber es besteht doch ein wesentlicher, in
der Natur der Sache begründeter Unterschied zwischen den Wirkungen des
Getreideschutzzolls und des Jnduftriezvlls, der für die Beurteilung des Ver¬
hältnisses der Landwirtschaft zu den Handelsverträgen von -hoher Bedeutung
ist. Conrad spricht sich darüber etwa folgendermaßen aus. Ist der Vorteil
des Schutzzolls für den Industriellen groß, so steigert er alsbald im Inland
selbst die Konkurrenz in dem betreffenden Industriezweige, wodurch in einiger
Zeit der Nachteil des Konsumenten wieder verschwindet. Ja, für Jndustrie-
zölle ist es ganz richtig, und sogar der zur Zeit schutzzöllnerische Professor
Van der Borght erkennt es an, "daß jeder wirksame Schutzzoll sich selbst
schließlich entbehrlich machen muß." Ganz anders, sagt Conrad, stehe die
Sache in der Landwirtschaft. Seien durch den Zoll die Preise in die Höhe
gegangen, so gehe auch die Pacht in die Hohe, der Wert des Grund und
Bodeus steige, der Besitzer, der in dem Augenblick der Auflegung des Zolls
das Gut in der Hand habe, mache dem entsprechend Gewinn, er erhalte eine
Kapitalschenknng. Ein neuer Pächter oder Käufer, der auf Grund der Zoll-
erhöhnng und der durch sie bewirkten Kornpreissteigernng mehr Pacht oder
einen größern Kaufpreis zahle, habe dann keinen entsprechenden Vorteil mehr
von dem Zoll. Dazu hänge die Herabsetzung des Zolls, die für ihn eine
Kapitalkonfiskation bedeute, wie ein Damoklesschwert über ihm.

Wörtlich sagt dieser alte Freund und Kenner der ostdeutschen Landwirt¬
schaft dann noch weiter: "Das hat sich auch in Deutschland in hohem Maße
gezeigt. Die Hoffnung auf die Wirkung der Zölle hat die Landwirte fast
anderthalb Jahrzehnte, 1880 bis 1895, veranlaßt, zu hohe Pacht, zu hohe
Kaufpreise zu bieten. Beide sind dadurch in der nmiatürlichen Hohe erhalten,



*) Handwörterbuch der SwntSmissenschnsten. L. Auslage.
Getreidezölle und Handelsverträge

es kommen mußte, daß mich so langem mit starkem Steigen der Preise das
immer dichter bevölkerte und immer industrieller werdende Mittel- und West¬
europa schließlich den Getreideüberfluß des europäischen Ostens und Amerikas
zu seiner Verproviantierung heranzog. Die hohen Preise mußten naturnotwendig
die Erschließung des jungfräulichen Getreidebodens Amerikas provozieren.

Konnten die Getreidezölle den Preisfall nicht verhindern, so haben sie
doch, wie die Vergleichung der preußischen und der englischen Weizenpreise
zeigt, insofern zunächst ihre Schuldigkeit gethan, daß sie den Preis auf dem
deutschen Markt viel höher hielten, als er auf dem Weltmarkt stand. Es
ist ganz richtig und sagt durchaus nichts gegen den Agrarzollschutz an sich,
wenn Professor Conrad in Halle in seiner neuste» vortrefflichen Arbeit über
Getreidezölle schreibt/') daß „ein dauernd auferlegter Getreidezoll die Preise
des Inlands im großen Durchschnitt entsprechend erhöht," und daß davon
„die Landwirte einen entsprechenden Vorteil, die Konsumenten den Nachteil
haben."

In gewissen Grenzen gilt das freilich für alle wirksam eingerichteten,
ihren Zweck erfüllenden Schutzzölle. Aber es besteht doch ein wesentlicher, in
der Natur der Sache begründeter Unterschied zwischen den Wirkungen des
Getreideschutzzolls und des Jnduftriezvlls, der für die Beurteilung des Ver¬
hältnisses der Landwirtschaft zu den Handelsverträgen von -hoher Bedeutung
ist. Conrad spricht sich darüber etwa folgendermaßen aus. Ist der Vorteil
des Schutzzolls für den Industriellen groß, so steigert er alsbald im Inland
selbst die Konkurrenz in dem betreffenden Industriezweige, wodurch in einiger
Zeit der Nachteil des Konsumenten wieder verschwindet. Ja, für Jndustrie-
zölle ist es ganz richtig, und sogar der zur Zeit schutzzöllnerische Professor
Van der Borght erkennt es an, „daß jeder wirksame Schutzzoll sich selbst
schließlich entbehrlich machen muß." Ganz anders, sagt Conrad, stehe die
Sache in der Landwirtschaft. Seien durch den Zoll die Preise in die Höhe
gegangen, so gehe auch die Pacht in die Hohe, der Wert des Grund und
Bodeus steige, der Besitzer, der in dem Augenblick der Auflegung des Zolls
das Gut in der Hand habe, mache dem entsprechend Gewinn, er erhalte eine
Kapitalschenknng. Ein neuer Pächter oder Käufer, der auf Grund der Zoll-
erhöhnng und der durch sie bewirkten Kornpreissteigernng mehr Pacht oder
einen größern Kaufpreis zahle, habe dann keinen entsprechenden Vorteil mehr
von dem Zoll. Dazu hänge die Herabsetzung des Zolls, die für ihn eine
Kapitalkonfiskation bedeute, wie ein Damoklesschwert über ihm.

Wörtlich sagt dieser alte Freund und Kenner der ostdeutschen Landwirt¬
schaft dann noch weiter: „Das hat sich auch in Deutschland in hohem Maße
gezeigt. Die Hoffnung auf die Wirkung der Zölle hat die Landwirte fast
anderthalb Jahrzehnte, 1880 bis 1895, veranlaßt, zu hohe Pacht, zu hohe
Kaufpreise zu bieten. Beide sind dadurch in der nmiatürlichen Hohe erhalten,



*) Handwörterbuch der SwntSmissenschnsten. L. Auslage.
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[0182] Getreidezölle und Handelsverträge es kommen mußte, daß mich so langem mit starkem Steigen der Preise das immer dichter bevölkerte und immer industrieller werdende Mittel- und West¬ europa schließlich den Getreideüberfluß des europäischen Ostens und Amerikas zu seiner Verproviantierung heranzog. Die hohen Preise mußten naturnotwendig die Erschließung des jungfräulichen Getreidebodens Amerikas provozieren. Konnten die Getreidezölle den Preisfall nicht verhindern, so haben sie doch, wie die Vergleichung der preußischen und der englischen Weizenpreise zeigt, insofern zunächst ihre Schuldigkeit gethan, daß sie den Preis auf dem deutschen Markt viel höher hielten, als er auf dem Weltmarkt stand. Es ist ganz richtig und sagt durchaus nichts gegen den Agrarzollschutz an sich, wenn Professor Conrad in Halle in seiner neuste» vortrefflichen Arbeit über Getreidezölle schreibt/') daß „ein dauernd auferlegter Getreidezoll die Preise des Inlands im großen Durchschnitt entsprechend erhöht," und daß davon „die Landwirte einen entsprechenden Vorteil, die Konsumenten den Nachteil haben." In gewissen Grenzen gilt das freilich für alle wirksam eingerichteten, ihren Zweck erfüllenden Schutzzölle. Aber es besteht doch ein wesentlicher, in der Natur der Sache begründeter Unterschied zwischen den Wirkungen des Getreideschutzzolls und des Jnduftriezvlls, der für die Beurteilung des Ver¬ hältnisses der Landwirtschaft zu den Handelsverträgen von -hoher Bedeutung ist. Conrad spricht sich darüber etwa folgendermaßen aus. Ist der Vorteil des Schutzzolls für den Industriellen groß, so steigert er alsbald im Inland selbst die Konkurrenz in dem betreffenden Industriezweige, wodurch in einiger Zeit der Nachteil des Konsumenten wieder verschwindet. Ja, für Jndustrie- zölle ist es ganz richtig, und sogar der zur Zeit schutzzöllnerische Professor Van der Borght erkennt es an, „daß jeder wirksame Schutzzoll sich selbst schließlich entbehrlich machen muß." Ganz anders, sagt Conrad, stehe die Sache in der Landwirtschaft. Seien durch den Zoll die Preise in die Höhe gegangen, so gehe auch die Pacht in die Hohe, der Wert des Grund und Bodeus steige, der Besitzer, der in dem Augenblick der Auflegung des Zolls das Gut in der Hand habe, mache dem entsprechend Gewinn, er erhalte eine Kapitalschenknng. Ein neuer Pächter oder Käufer, der auf Grund der Zoll- erhöhnng und der durch sie bewirkten Kornpreissteigernng mehr Pacht oder einen größern Kaufpreis zahle, habe dann keinen entsprechenden Vorteil mehr von dem Zoll. Dazu hänge die Herabsetzung des Zolls, die für ihn eine Kapitalkonfiskation bedeute, wie ein Damoklesschwert über ihm. Wörtlich sagt dieser alte Freund und Kenner der ostdeutschen Landwirt¬ schaft dann noch weiter: „Das hat sich auch in Deutschland in hohem Maße gezeigt. Die Hoffnung auf die Wirkung der Zölle hat die Landwirte fast anderthalb Jahrzehnte, 1880 bis 1895, veranlaßt, zu hohe Pacht, zu hohe Kaufpreise zu bieten. Beide sind dadurch in der nmiatürlichen Hohe erhalten, *) Handwörterbuch der SwntSmissenschnsten. L. Auslage.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/182>, abgerufen am 26.06.2024.