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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Getreidezölle und Handelsverträge

Der Weizenpreis war -- um auch das gleich hier zu bemerken -- in
Preußen niedriger ) oder höher (-s-) als in England um

MarkMark
1861/70- 43,41891/95I- 37,?.
1871/7S- II,S1896> 29,1
1876/80j- 4,41897!' 23,2
1881/85!- 8,61898-1- 25,0
1886/9031,1

Nachdem die Getreidezölle zum erstenmal die zweifelhafte Ehre gehabt
hatten, als Kompensationsobjekt bei Handelsverträgen zu dienen, trat, wie
man sieht, ein Preissturz ein, fast schlimmer als der, der überhaupt zur Ein¬
führung von Getreidezöllen geführt hatte. Hätte mau den Preisstand von
1895 und 1896 voraussehen können, so würden weder Bundesrat noch Reichs¬
tag die Zollhcrabsetznngen der sogenannten Caprivischen Handelsverträge an¬
genommen haben. Freilich hatte Bismarck selbst die unglückliche Idee gehabt,*)
die sehr starke Zollerhöhung von 1887 unter anderm auch damit zu begründe",
daß mau sich dadurch ein Kompensationsobjekt für die doch auch von ihm schon
in Aussicht genominnen neuen Handelsvertragsverhandlnngen schaffen müßte.
Ob er das so ganz ernst gemeint hat, mag bezweifelt werden. Thatsache ist.
daß es ausdrücklich ausgesprochen wurde und die vielleicht viel besser ganz
unterlassene Zollerhöhung von 30 auf 50 Mark (Weizen und Roggen) mit
deshalb die Reichstagsmehrheit gewann. Natürlich konnte niemand bei dem
Abschluß der neuen Handelsverträge voraussehen, daß der Preissturz 1892
kommen würde. Die Handelsverträge waren nicht schuld daran, aber die Be¬
nutzung der Getreidezölle als Kompensationsobjekt war schuld daran, daß unsre
Landwirtschaft weniger geschützt war, als sie größern Schutz bedürfte, und daß
dieses Mißverhältnis für die ganze Vertragsdauer festgelegt worden war. Man
weiß, was das für Schmerzen gemacht hat. Die Notstandsblüte des Antrags
Kanitz giebt beredtes Zeugnis.

Betrachtet man die Preisbewegung von 1861 bis 1898 näher, so ge¬
winnt man den Eindruck, daß die Getreidezölle darauf nur sehr wenig Einfluß
geübt haben können. Die Zollerhöhnngen haben den Preisfall, und die Zoll-
crmäßigung hat eine neue Preissteigerung nicht verhindert. Viel lehrt auch
der Preisstand vor der Zollära. Der verhängnisvolle Kulminationspunkt in
den siebziger Jahren nach einer ununterbrochneu Aufwürtsbewcguug seit den
Fünfzigern hatte zunächst das Unglück zu Wege gebracht, daß die Bodenpreise
und die Bodenspekulation übermäßig ins Kraut schössen, und daß sich unsre
Landwirte, zumal die größern im Osten, leider zu sehr der konservativen Wirt¬
schaftsweise entwöhnten, die nun einmal zu diesem Gewerbe, wenn es das
vornehmste bleiben soll, gehört. Die Zahlen erinnern aber auch daran, wie



Vergl. Buchenberger, Grundzüge der deutschen Agrarpolitik. I.Auflage. Berlin,
Paul Pnrey,'l897.
Getreidezölle und Handelsverträge

Der Weizenpreis war — um auch das gleich hier zu bemerken — in
Preußen niedriger ) oder höher (-s-) als in England um

MarkMark
1861/70- 43,41891/95I- 37,?.
1871/7S- II,S1896> 29,1
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1881/85!- 8,61898-1- 25,0
1886/9031,1

Nachdem die Getreidezölle zum erstenmal die zweifelhafte Ehre gehabt
hatten, als Kompensationsobjekt bei Handelsverträgen zu dienen, trat, wie
man sieht, ein Preissturz ein, fast schlimmer als der, der überhaupt zur Ein¬
führung von Getreidezöllen geführt hatte. Hätte mau den Preisstand von
1895 und 1896 voraussehen können, so würden weder Bundesrat noch Reichs¬
tag die Zollhcrabsetznngen der sogenannten Caprivischen Handelsverträge an¬
genommen haben. Freilich hatte Bismarck selbst die unglückliche Idee gehabt,*)
die sehr starke Zollerhöhung von 1887 unter anderm auch damit zu begründe»,
daß mau sich dadurch ein Kompensationsobjekt für die doch auch von ihm schon
in Aussicht genominnen neuen Handelsvertragsverhandlnngen schaffen müßte.
Ob er das so ganz ernst gemeint hat, mag bezweifelt werden. Thatsache ist.
daß es ausdrücklich ausgesprochen wurde und die vielleicht viel besser ganz
unterlassene Zollerhöhung von 30 auf 50 Mark (Weizen und Roggen) mit
deshalb die Reichstagsmehrheit gewann. Natürlich konnte niemand bei dem
Abschluß der neuen Handelsverträge voraussehen, daß der Preissturz 1892
kommen würde. Die Handelsverträge waren nicht schuld daran, aber die Be¬
nutzung der Getreidezölle als Kompensationsobjekt war schuld daran, daß unsre
Landwirtschaft weniger geschützt war, als sie größern Schutz bedürfte, und daß
dieses Mißverhältnis für die ganze Vertragsdauer festgelegt worden war. Man
weiß, was das für Schmerzen gemacht hat. Die Notstandsblüte des Antrags
Kanitz giebt beredtes Zeugnis.

Betrachtet man die Preisbewegung von 1861 bis 1898 näher, so ge¬
winnt man den Eindruck, daß die Getreidezölle darauf nur sehr wenig Einfluß
geübt haben können. Die Zollerhöhnngen haben den Preisfall, und die Zoll-
crmäßigung hat eine neue Preissteigerung nicht verhindert. Viel lehrt auch
der Preisstand vor der Zollära. Der verhängnisvolle Kulminationspunkt in
den siebziger Jahren nach einer ununterbrochneu Aufwürtsbewcguug seit den
Fünfzigern hatte zunächst das Unglück zu Wege gebracht, daß die Bodenpreise
und die Bodenspekulation übermäßig ins Kraut schössen, und daß sich unsre
Landwirte, zumal die größern im Osten, leider zu sehr der konservativen Wirt¬
schaftsweise entwöhnten, die nun einmal zu diesem Gewerbe, wenn es das
vornehmste bleiben soll, gehört. Die Zahlen erinnern aber auch daran, wie



Vergl. Buchenberger, Grundzüge der deutschen Agrarpolitik. I.Auflage. Berlin,
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[0181] Getreidezölle und Handelsverträge Der Weizenpreis war — um auch das gleich hier zu bemerken — in Preußen niedriger ) oder höher (-s-) als in England um MarkMark 1861/70- 43,41891/95I- 37,?. 1871/7S- II,S1896> 29,1 1876/80j- 4,41897!' 23,2 1881/85!- 8,61898-1- 25,0 1886/9031,1 Nachdem die Getreidezölle zum erstenmal die zweifelhafte Ehre gehabt hatten, als Kompensationsobjekt bei Handelsverträgen zu dienen, trat, wie man sieht, ein Preissturz ein, fast schlimmer als der, der überhaupt zur Ein¬ führung von Getreidezöllen geführt hatte. Hätte mau den Preisstand von 1895 und 1896 voraussehen können, so würden weder Bundesrat noch Reichs¬ tag die Zollhcrabsetznngen der sogenannten Caprivischen Handelsverträge an¬ genommen haben. Freilich hatte Bismarck selbst die unglückliche Idee gehabt,*) die sehr starke Zollerhöhung von 1887 unter anderm auch damit zu begründe», daß mau sich dadurch ein Kompensationsobjekt für die doch auch von ihm schon in Aussicht genominnen neuen Handelsvertragsverhandlnngen schaffen müßte. Ob er das so ganz ernst gemeint hat, mag bezweifelt werden. Thatsache ist. daß es ausdrücklich ausgesprochen wurde und die vielleicht viel besser ganz unterlassene Zollerhöhung von 30 auf 50 Mark (Weizen und Roggen) mit deshalb die Reichstagsmehrheit gewann. Natürlich konnte niemand bei dem Abschluß der neuen Handelsverträge voraussehen, daß der Preissturz 1892 kommen würde. Die Handelsverträge waren nicht schuld daran, aber die Be¬ nutzung der Getreidezölle als Kompensationsobjekt war schuld daran, daß unsre Landwirtschaft weniger geschützt war, als sie größern Schutz bedürfte, und daß dieses Mißverhältnis für die ganze Vertragsdauer festgelegt worden war. Man weiß, was das für Schmerzen gemacht hat. Die Notstandsblüte des Antrags Kanitz giebt beredtes Zeugnis. Betrachtet man die Preisbewegung von 1861 bis 1898 näher, so ge¬ winnt man den Eindruck, daß die Getreidezölle darauf nur sehr wenig Einfluß geübt haben können. Die Zollerhöhnngen haben den Preisfall, und die Zoll- crmäßigung hat eine neue Preissteigerung nicht verhindert. Viel lehrt auch der Preisstand vor der Zollära. Der verhängnisvolle Kulminationspunkt in den siebziger Jahren nach einer ununterbrochneu Aufwürtsbewcguug seit den Fünfzigern hatte zunächst das Unglück zu Wege gebracht, daß die Bodenpreise und die Bodenspekulation übermäßig ins Kraut schössen, und daß sich unsre Landwirte, zumal die größern im Osten, leider zu sehr der konservativen Wirt¬ schaftsweise entwöhnten, die nun einmal zu diesem Gewerbe, wenn es das vornehmste bleiben soll, gehört. Die Zahlen erinnern aber auch daran, wie Vergl. Buchenberger, Grundzüge der deutschen Agrarpolitik. I.Auflage. Berlin, Paul Pnrey,'l897.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/181>, abgerufen am 26.06.2024.