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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Getreidezölle und Handelsverträge

Jedenfalls hat vor ihren: Verhalten das der Agrarier an Klarheit, an logischer
Korrektheit und an Offenheit sehr viel voraus.

Bei dem Beginn der Handelsvertragsüra in den sechziger Jahren spielten
die Getreidezölle in der Handelspolitik der bedeutendern europäischen Staaten
so gut wie gar keine Rolle. Außer England, Belgien und Holland, die mit
der Handelsfreiheit am besten zu fahren glaubten, importierte niemand Getreide,
lind der Getreideexpvrt, den mau brauchte, wurde von niemand behindert. Er
war mit den genannten drei Freihandelsstaaten ganz zufrieden. In der Haupt¬
sache bewegten sich die Haudelsvertragsverhandlnngen also ans dem Gebiet von
Industrie und Handel. Die Landwirtschaft hatte von hohen Zollen im all¬
gemeinen nur Nachteil, und die deutschen Landwirte waren deshalb bis in die
zweite Hälfte der siebziger Jahre hinein freihändlerisch "bis in die Knochen."
Ganz anders wurde die Stellung der Landwirtschaft zur Zoll- und Handels¬
vertragspolitik mit dem Überhandnehmen des Getreideimports.

Schon die Bismarckische Zolltarifreform von 1879 wurde wesentlich be¬
herrscht vom Agrarschutz, namentlich von dem Bedürfnis nach Getreidcschntz-
zöllen. Die Tarifgesetze der achtziger Jahre brachten den agrarischen Schwer¬
punkt in unsrer Zollpolitik vollends zur Geltung, und er beherrschte dann anch
die Handelsvcrtragspolitik der neunziger Jahre ebenso wie die der Gegenwart.
Gegenstand von Handelsverträgen ist der Getreidezoll bis jetzt überhaupt mir
einmal gewesen, und die Erfahrungen, die man dabei gemacht hat, sind nicht
gerade verlockend. Die Landwirte haben allen Grund, der Wiederholung des
Experiments mit schweren Bedenken entgegen zu sehen.

Werfen wir zunächst einen Rückblick ans unsre zwanzigjährige Getreide¬
zollpolitik.

Der Zoll betrug für die Tonne:
TReizenRoggenHaferGerste
MarkMarkMarkMark

vor 1880

1880/841010105

1885/8630301515

1887/91so504022,5

1892/190036352"20

- Preis betrugin Preußen alten Bestand?s für dieTonne bei
WeizenR oggenHaferGerste
MarkMarkMarkMark
1861/70204,6154,6140,2146,0
1871/75235,2179,2163,2170,8
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Getreidezölle und Handelsverträge

Jedenfalls hat vor ihren: Verhalten das der Agrarier an Klarheit, an logischer
Korrektheit und an Offenheit sehr viel voraus.

Bei dem Beginn der Handelsvertragsüra in den sechziger Jahren spielten
die Getreidezölle in der Handelspolitik der bedeutendern europäischen Staaten
so gut wie gar keine Rolle. Außer England, Belgien und Holland, die mit
der Handelsfreiheit am besten zu fahren glaubten, importierte niemand Getreide,
lind der Getreideexpvrt, den mau brauchte, wurde von niemand behindert. Er
war mit den genannten drei Freihandelsstaaten ganz zufrieden. In der Haupt¬
sache bewegten sich die Haudelsvertragsverhandlnngen also ans dem Gebiet von
Industrie und Handel. Die Landwirtschaft hatte von hohen Zollen im all¬
gemeinen nur Nachteil, und die deutschen Landwirte waren deshalb bis in die
zweite Hälfte der siebziger Jahre hinein freihändlerisch „bis in die Knochen."
Ganz anders wurde die Stellung der Landwirtschaft zur Zoll- und Handels¬
vertragspolitik mit dem Überhandnehmen des Getreideimports.

Schon die Bismarckische Zolltarifreform von 1879 wurde wesentlich be¬
herrscht vom Agrarschutz, namentlich von dem Bedürfnis nach Getreidcschntz-
zöllen. Die Tarifgesetze der achtziger Jahre brachten den agrarischen Schwer¬
punkt in unsrer Zollpolitik vollends zur Geltung, und er beherrschte dann anch
die Handelsvcrtragspolitik der neunziger Jahre ebenso wie die der Gegenwart.
Gegenstand von Handelsverträgen ist der Getreidezoll bis jetzt überhaupt mir
einmal gewesen, und die Erfahrungen, die man dabei gemacht hat, sind nicht
gerade verlockend. Die Landwirte haben allen Grund, der Wiederholung des
Experiments mit schweren Bedenken entgegen zu sehen.

Werfen wir zunächst einen Rückblick ans unsre zwanzigjährige Getreide¬
zollpolitik.

Der Zoll betrug für die Tonne:
TReizenRoggenHaferGerste
MarkMarkMarkMark

vor 1880

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- Preis betrugin Preußen alten Bestand?s für dieTonne bei
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/180>, abgerufen am 26.06.2024.