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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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was Ausbeutung ist, ferner, daß der Freie, der Edle keine der Verrichtungen,
die den Sklaven obliegt, selbst auszuüben sich schämte: er zimmerte, schmiedete,
pflügte, und das Schlachten war sogar sein Vorrecht; endlich, daß seine
Bildung die seiner Sklaven weder an Höhe oder Tiefe noch an Umfang
übertraf.

Nun aber kommt das Bedenkliche! Nach Gobineau sollen die Ureinwohner
Griechenlands Nichtarier gewesen sein, und zwar im Norden, in Macedonien,
Thessalien und im nördlichen Teile von Hellas bis nach Theben mongolische
Finnen, im Süden schwarze oder wenigstens stark mit schwarzem Blut ver¬
mischte Semiten. Alle Sklaven und Hörige der Griechen, wie die laeedämo-
nischen Heloten und Periölen, sollen solche Ureinwohner gewesen sein, und
durch Vermischung mit ihnen, die die Mehrheit ausmachten, sollen die südlichen
Griechen allmählich zu Semiten geworden sein. Die nördlichen, namentlich
die Macedonier, sollen sich reiner erhalten, auch soll die mongolische Bei¬
mischung "veniger geschadet haben, weil der Grundcharakter des Mongolei,
kalte Verständigkeit und Sinn für das Nützliche sein, daher den politischen und
den sittlichen Charakter weniger verderben soll als das wildphantastische Neger-
uud Semiteublut. Die Perser, meint Gobineau, seien als arische Mischlinge
den Griechen ebenbürtig gewesen, solange bei diesen der Süden, Athen und
Lncedämon, im Vordergründe stand; thatsächlich sei auch nach Marathon und
Salamis Griechenland politisch nur ein Anhängsel des Perserreichs gewesen,
das seine Kriege mit griechischen Söldnern geführt und die seine Satrapen
umschmeichelnden griechischen Staatsmänner dotiert habe. Macedonien habe
dann aus dem einfachen Grunde nicht allein Griechenland, sondern auch das
Perserreich überwunden, weil es sich eines größern Prozentsatzes arischen Bluts
zu erfreuen gehabt habe. Natürlich sei dieser Vorzug vom Beginn seiner Welt¬
herrschaft an geschwunden, da es durch die Ausbreitung seiner Bevölkerung
dnrch ganz Vordemsicn eine stetig zunehmende Verdünnung seines arischen
Bluts erlitten habe. Die eigentlichen Griechen waren, wie gesagt, schon weit
früher entartet, schon in der Zeit ihrer geistigen Blüte mehr als halb semi¬
tisch, und während die Nordgricchen, am meisten und längsten die Mazedonier,
sittlich blieben und sich mit der Erbmonarchie eine vernünftige, Freiheit und
Autorität vereinigende politische Ordnung bewahrten, stürzte die semitische Leiden¬
schaftlichkeit, unterstützt durch den semitischen Hang zum Vernünfteln und Ab¬
strahieren, die Griechen in Laster und in Anarchie, eine Anarchie, die den
Schein der Freiheit mit der härtesten Tyrannei vereinigte. Man erdichtete
eine Person, das "Vaterland" (wir andern Pflegen zur Bezeichnung der Sache
das Wort "Staat" zu gebrauchen), "und man befahl dem Bürger, im Namen
alles nur erdenklichen Heiligen und Furchtbaren, im Namen des Gesetzes, des
Vorurteils und des Nimbus der öffentlichen Meinung, dieser Abstraktion seine
Neigungen, seine Vorstellungen, seine Gewohnheiten, jn seine intimsten Be¬
ziehungen, seine natürlichsten Zuneigungen zu opfern; und diese alle Tage,
alle Augenblicke geübte Entsagung war uur gleichsam die Scheidemünze jener


was Ausbeutung ist, ferner, daß der Freie, der Edle keine der Verrichtungen,
die den Sklaven obliegt, selbst auszuüben sich schämte: er zimmerte, schmiedete,
pflügte, und das Schlachten war sogar sein Vorrecht; endlich, daß seine
Bildung die seiner Sklaven weder an Höhe oder Tiefe noch an Umfang
übertraf.

Nun aber kommt das Bedenkliche! Nach Gobineau sollen die Ureinwohner
Griechenlands Nichtarier gewesen sein, und zwar im Norden, in Macedonien,
Thessalien und im nördlichen Teile von Hellas bis nach Theben mongolische
Finnen, im Süden schwarze oder wenigstens stark mit schwarzem Blut ver¬
mischte Semiten. Alle Sklaven und Hörige der Griechen, wie die laeedämo-
nischen Heloten und Periölen, sollen solche Ureinwohner gewesen sein, und
durch Vermischung mit ihnen, die die Mehrheit ausmachten, sollen die südlichen
Griechen allmählich zu Semiten geworden sein. Die nördlichen, namentlich
die Macedonier, sollen sich reiner erhalten, auch soll die mongolische Bei¬
mischung »veniger geschadet haben, weil der Grundcharakter des Mongolei,
kalte Verständigkeit und Sinn für das Nützliche sein, daher den politischen und
den sittlichen Charakter weniger verderben soll als das wildphantastische Neger-
uud Semiteublut. Die Perser, meint Gobineau, seien als arische Mischlinge
den Griechen ebenbürtig gewesen, solange bei diesen der Süden, Athen und
Lncedämon, im Vordergründe stand; thatsächlich sei auch nach Marathon und
Salamis Griechenland politisch nur ein Anhängsel des Perserreichs gewesen,
das seine Kriege mit griechischen Söldnern geführt und die seine Satrapen
umschmeichelnden griechischen Staatsmänner dotiert habe. Macedonien habe
dann aus dem einfachen Grunde nicht allein Griechenland, sondern auch das
Perserreich überwunden, weil es sich eines größern Prozentsatzes arischen Bluts
zu erfreuen gehabt habe. Natürlich sei dieser Vorzug vom Beginn seiner Welt¬
herrschaft an geschwunden, da es durch die Ausbreitung seiner Bevölkerung
dnrch ganz Vordemsicn eine stetig zunehmende Verdünnung seines arischen
Bluts erlitten habe. Die eigentlichen Griechen waren, wie gesagt, schon weit
früher entartet, schon in der Zeit ihrer geistigen Blüte mehr als halb semi¬
tisch, und während die Nordgricchen, am meisten und längsten die Mazedonier,
sittlich blieben und sich mit der Erbmonarchie eine vernünftige, Freiheit und
Autorität vereinigende politische Ordnung bewahrten, stürzte die semitische Leiden¬
schaftlichkeit, unterstützt durch den semitischen Hang zum Vernünfteln und Ab¬
strahieren, die Griechen in Laster und in Anarchie, eine Anarchie, die den
Schein der Freiheit mit der härtesten Tyrannei vereinigte. Man erdichtete
eine Person, das „Vaterland" (wir andern Pflegen zur Bezeichnung der Sache
das Wort „Staat" zu gebrauchen), „und man befahl dem Bürger, im Namen
alles nur erdenklichen Heiligen und Furchtbaren, im Namen des Gesetzes, des
Vorurteils und des Nimbus der öffentlichen Meinung, dieser Abstraktion seine
Neigungen, seine Vorstellungen, seine Gewohnheiten, jn seine intimsten Be¬
ziehungen, seine natürlichsten Zuneigungen zu opfern; und diese alle Tage,
alle Augenblicke geübte Entsagung war uur gleichsam die Scheidemünze jener


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/140>, abgerufen am 26.06.2024.