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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Gobineau über das klassische Altertum

sein müßte, U'cum es zur Flucht ins Eismeer käme. Daß die Kultur und
Geschichte erzeugende Kraft Vorderasiens und Europas die Wechselwirkung
vieler verschiedner, von verschiednen Ideen bewegter Nationen ist, erkennt Go-
bineau mit uns andern an, aber daß es die Bodengestalt sei, was die Ent¬
stehung verschiedner Nationalitäten teils ermöglicht, teils begünstigt habe, will
er durchaus nicht zugeben; den auffälligen Unterschied zwischen Hinterasien
und Europa samt Anatolien, den die Landkarte zeigt, sieht er gar nicht; er
konstruiert folgenden Unterschied, der alles erklären soll: In Hinternsien haben
nur teils gelbe und schwarze Menschen gegen einander, teils Weiße gegen gelbe
und schwarze gekämpft, und dabei konnte keine Jdeeufiille und kein Wechsel
der Ideen Herauskommen; auf dem historischen Schauplätze dagegen, im Nord¬
westen der Alten Welt, haben einander weiße Völker bekämpft, die in ver¬
schiednen Graden mit gelben und schwarzen gemischt waren, woher jedes seine
eigentümlichen Ideen hatte.

Richtig ist ohne Zweifel Gobineaus Ansicht, daß die Zahl der persischen
Arier zu klein war, als daß sie dem semitischen Vorderasien durch ihre Herr¬
schaft den arischen Stempel hätten aufdrucken können, aber seine Darstellung
der griechischen Geschichte fordert dann wieder unsern lebhaftesten Widerspruch
heraus. Der homerischen Welt gesteht er ja den arischen Charakter zu, und
seine Schilderung dieser Welt enthält manches Beachtenswerte. So z. B. führt
er nus, daß sich der Arier durch sein starkes Persönlichkeitsgefühl in einen
Widerspruch verwickle. Einmal wolle er unbedingt frei sein und gestehe jedem
Volksgenossen dasselbe Recht auf Freiheit zu. Andrerseits aber fühle er
das unabweisliche Bedürfnis, sich auszuzeichnen, zu herrschen, sich als Adlicher
edler Abstammung rühmen zu dürfen. Die Lösung des Widerspruchs gelinge
durch die Sklaverei, die den Freien Gleichheit untereinander und Freiheit, zu¬
gleich aber auch die Herrschaft über andre und den Adelscharakter verbürge.
Ob er aber diese zweifellos richtige geschichtliche Thatsache auf die homerischen
Griechen richtig anwendet, erscheint uns zweifelhaft. Er behauptet nämlich,
es sei den Griechen ursprünglich nicht erlaubt gewesen, einen Volksgenossen zu
versklaven, und auf diese Weise sei ihnen allen die Freiheit gewährleistet worden.
Er folgert dann weiter, Sklaverei könne überhaupt uur entstehn, wo höhere
Rassen niedere überwältigen, dn sich Gleiche von Gleichen nicht knechten ließen,
was für die Urzeit und'im großen und ganzen zutreffen mag, im einzelnen
aber doch viele Ausnahmen erleidet; denn in den traurigen Zeiten, wo die
Sarazenen und die Mongolen Europa verheerten, sind viel tausend Europäer
in die Sklaverei geschleppt worden und darin verblieben. Andrerseits haben
die Römer deutsche, die normünuischen Seeräuber deutsche und französische
Sklaven gehabt, und die Neger versklaven einander gegenseitig. Richtig ist
dünn wieder, daß die Lage der griechischen Sklaven in der homerischen Zeit
uicht hart, sogar angenehm war, was Gobineau darauf zurückführt, daß dem
Griechenvolk in seiner Jugend, wie überhaupt der arischen Rasse von Hans
aus, "das Verständnis für das Einträgliche" fehlte, also daß sie nicht wußten.


Grenzboten IV 1S00 ^
Gobineau über das klassische Altertum

sein müßte, U'cum es zur Flucht ins Eismeer käme. Daß die Kultur und
Geschichte erzeugende Kraft Vorderasiens und Europas die Wechselwirkung
vieler verschiedner, von verschiednen Ideen bewegter Nationen ist, erkennt Go-
bineau mit uns andern an, aber daß es die Bodengestalt sei, was die Ent¬
stehung verschiedner Nationalitäten teils ermöglicht, teils begünstigt habe, will
er durchaus nicht zugeben; den auffälligen Unterschied zwischen Hinterasien
und Europa samt Anatolien, den die Landkarte zeigt, sieht er gar nicht; er
konstruiert folgenden Unterschied, der alles erklären soll: In Hinternsien haben
nur teils gelbe und schwarze Menschen gegen einander, teils Weiße gegen gelbe
und schwarze gekämpft, und dabei konnte keine Jdeeufiille und kein Wechsel
der Ideen Herauskommen; auf dem historischen Schauplätze dagegen, im Nord¬
westen der Alten Welt, haben einander weiße Völker bekämpft, die in ver¬
schiednen Graden mit gelben und schwarzen gemischt waren, woher jedes seine
eigentümlichen Ideen hatte.

Richtig ist ohne Zweifel Gobineaus Ansicht, daß die Zahl der persischen
Arier zu klein war, als daß sie dem semitischen Vorderasien durch ihre Herr¬
schaft den arischen Stempel hätten aufdrucken können, aber seine Darstellung
der griechischen Geschichte fordert dann wieder unsern lebhaftesten Widerspruch
heraus. Der homerischen Welt gesteht er ja den arischen Charakter zu, und
seine Schilderung dieser Welt enthält manches Beachtenswerte. So z. B. führt
er nus, daß sich der Arier durch sein starkes Persönlichkeitsgefühl in einen
Widerspruch verwickle. Einmal wolle er unbedingt frei sein und gestehe jedem
Volksgenossen dasselbe Recht auf Freiheit zu. Andrerseits aber fühle er
das unabweisliche Bedürfnis, sich auszuzeichnen, zu herrschen, sich als Adlicher
edler Abstammung rühmen zu dürfen. Die Lösung des Widerspruchs gelinge
durch die Sklaverei, die den Freien Gleichheit untereinander und Freiheit, zu¬
gleich aber auch die Herrschaft über andre und den Adelscharakter verbürge.
Ob er aber diese zweifellos richtige geschichtliche Thatsache auf die homerischen
Griechen richtig anwendet, erscheint uns zweifelhaft. Er behauptet nämlich,
es sei den Griechen ursprünglich nicht erlaubt gewesen, einen Volksgenossen zu
versklaven, und auf diese Weise sei ihnen allen die Freiheit gewährleistet worden.
Er folgert dann weiter, Sklaverei könne überhaupt uur entstehn, wo höhere
Rassen niedere überwältigen, dn sich Gleiche von Gleichen nicht knechten ließen,
was für die Urzeit und'im großen und ganzen zutreffen mag, im einzelnen
aber doch viele Ausnahmen erleidet; denn in den traurigen Zeiten, wo die
Sarazenen und die Mongolen Europa verheerten, sind viel tausend Europäer
in die Sklaverei geschleppt worden und darin verblieben. Andrerseits haben
die Römer deutsche, die normünuischen Seeräuber deutsche und französische
Sklaven gehabt, und die Neger versklaven einander gegenseitig. Richtig ist
dünn wieder, daß die Lage der griechischen Sklaven in der homerischen Zeit
uicht hart, sogar angenehm war, was Gobineau darauf zurückführt, daß dem
Griechenvolk in seiner Jugend, wie überhaupt der arischen Rasse von Hans
aus, „das Verständnis für das Einträgliche" fehlte, also daß sie nicht wußten.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/139>, abgerufen am 26.06.2024.